Ein Video-Clip sorgt für Aufregung: Charlotte Merz, Ehefrau des möglichen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, weist den Reporter einer Satire-Show zurecht. Welche Rolle spielt sie für die politischen Ambitionen ihres Mannes?
Es waren nur wenige Sekunden und ein Satz, die Charlotte Merz jüngst berühmt gemacht haben. In der üblichen Aufregungsspirale stehen nach der "wütenden Ansage" (ZDF) seiner Frau nun selbstverständlich nicht mehr nur die Wahlchancen des möglichen Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zur Debatte, sondern auch das Verfassungsverständnis der Juristin an seiner Seite, ja letztlich die grundsätzliche Interpretation der Meinungsfreiheit auf Parteiabenden.
Die "heute-show" wollte ihren Mann in einer für die Satire-Sendung üblichen Überraschungsbefragung zur Leitkultur interviewen, aber der wollte nicht antworten. Stattdessen wandte sich seine Frau an den Reporter Lutz van der Horst und sagte: "Leitkultur bedeutet als allererstes, zu fragen, ob man eine Antwort geben möchte." Das Mikrofon wegzudrücken hätte sich Frau Merz dabei in zweifacher Hinsicht sparen können: Es ist kein freundliches Verhalten gegenüber der Presse – und außerdem hat es nichts genützt. Man versteht sie trotzdem. Wirklich wütend allerdings klang ihre Ansage nicht, eher ein bisschen nach der Belehrung eines ungehobelten Angeklagten durch die Fernsehrichterin Barbara Salesch, wenn auch in tieferem Timbre.
Die Folgen für den CDU-Politiker sind noch nicht absehbar. Noch hat niemand verlangt, dass Merz nur Kanzlerkandidat werden kann, wenn er sich von der Frau scheiden lässt, die nicht zweifelsfrei auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung steht. Womöglich nützt es ihm sogar, weil seine Frau in dem Clip als resolute Person erscheint, die als Begleitung zu mehr in der Lage ist, als ihren Mann anzuhimmeln.
Charlotte Merz kommt aus dem Saarland. Die Juristerei hat bei ihr Familientradition: Vater Anwalt, Großvater Anwalt, Tante Richterin. "Alle unsere Tischgespräche drehten sich da natürlich zu Hause nur um ein Thema", hat sie einmal gesagt. Trotzdem – oder gerade deswegen – liebäugelte sie nach dem Abitur erst mit Chemie und Kunstgeschichte, ehe sie sich doch für Jura entschied. Im Studium in Bonn lernte sie auf einer Party Friedrich kennen, sie heirateten 1981, als das erste Kind schon unterwegs war. Nach dem Einzug von Merz in den Bundestag 1994 bezog das Paar mit seinen drei Kindern ein Haus in Arnsberg.
Später sollen ständige Sitzungen der CDU-Führung am Sonntagabend einer der ersten Streitpunkte zwischen der Parteivorsitzenden Angela Merkel und Fraktionschef Friedrich Merz gewesen sein, der mehr Rücksicht auf sein Familienleben verlangte. Andererseits instrumentalisierte Merz sein Privatleben damals politisch. Im Januar 1999, Merz war damals noch unter Wolfgang Schäuble Fraktionsvize mit Ambitionen, entstand eine Home-Story, wie sie heute kein Spitzenpolitiker mehr zulassen würde. Ein Bild zeigte Merz als Klarinettisten zusammen mit der Gemahlin bei der Hausmusik, ein anderes beim Sonntagsfrühstück mit Frau und zwei Töchtern. Es war ein bürgerliches Idyll, begleitet von Sätzen wie: "Wenn die Zeit reicht . . ." oder "Wenigstens am Sonntag . . .". Hier unterstrich die knappe Zeit vor allem die Bedeutung des aufstrebenden Politikers. Im Text der Geschichte sagte Charlotte Merz über die Überzeugungskraft ihres Mannes, dass sie ihm sogar glaube, wenn er behaupte, draußen scheine die Sonne, obwohl es regne. Klarinette spielt Merz heute übrigens nicht mehr.
Über Charlotte Merz kursieren unterschiedliche Darstellungen, was ihre Sicht auf das politische Comeback des Gatten betrifft. Die einen behaupten, sie habe eine Rolle wie einst Nancy Reagan, die ihren Mann jeden Morgen mit dem Satz geweckt haben soll: "Aufstehen, Ronald, Präsident werden!". Merz‘ Biografen Jutta Falke-Ischinger und Daniel Goffart hingegen schreiben, Charlotte Merz habe mit gemischten Gefühlen auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre geblickt. Da die drei Kinder schon aus dem Haus seien, habe man zuletzt mehr Zeit für private Aktivitäten und Reisen gehabt. Damit ist es nun wieder vorbei.
Unübersehbar ist, dass Charlotte Merz ihren Mann bei Frauen beliebter machen soll. Umfragen attestieren dem CDU-Chef, dass ihm in dieser Wählergruppe Sympathien fehlen, auch wenn er das bestreitet. 25 Jahre nach der großen Home-Story konnte sich Charlotte Merz jüngst wieder in der "Bild am Sonntag" (BamS) als moderne, berufstätige Mutter präsentieren. In jungen Jahren habe sie sich zum Beispiel bei der Examensvorbereitung zwischen Schreib- und Wickeltisch aufgeteilt, sich aber mit ihrem Mann stets bei der Kinderbetreuung abgewechselt. "Als berufstätige Mutter hat man das Beste aus zwei Welten. Ich hätte nie aufs Arbeiten verzichten wollen", sagte sie der "BamS", es gebe ihr eine innere Unabhängigkeit. Charlotte Merz arbeitet als Familienrichterin, seit 2016 ist sie zudem Direktorin am Amtsgericht Arnsberg. "Mein Mann hat jede meiner beruflichen Entscheidungen unterstützt." Botschaft: Friedrich Merz, der Anti-Macho.
43 Jahre hält die Merz-Ehe inzwischen. Der Sohn leitet eine philosophische Akademie in Freiburg, eine Tochter ist Medizinerin, die andere setzt als Juristin die Familientradition fort. Im Umgang mit ihrem Mann soll Charlotte Merz, so berichten es Falke-Ischinger und Goffart, von eher trockenem Humor sein.
Laut Charlotte Merz ruft ihr Mann, wenn er unterwegs ist, "jeden Tag mindestens zweimal zu Hause an, um zu fragen, ob alles okay ist". Ein Grund dafür sei, dass Merz schon in jungen Jahren zwei Geschwister verloren hat.
Gemeinsam haben Friedrich und Charlotte Merz eine Stiftung mit 450.000 Euro Kapital gegründet, die sich in Arnsberg engagiert. Einmal im Jahr erhalten die Jahrgangsbesten von 26 Schulen ein Buch – und vielleicht die eine oder andere Lektion in Leitkultur, in aller Freundlichkeit.
