Jahrzehnte lang schloss die Nasa queere Menschen von ihren Programmen aus. Die Fotografin Mackenzie Calle setzt ihnen mit ihrem prämierten Projekt "The Gay Space Agency" nun ein Denkmal.
In der Schule interessierte sie sich besonders für Mathematik und Raumfahrt. Später studierte die Amerikanerin Mackenzie Calle dann Fotografie und arbeitet heute als Fotoreporterin. Zufällig stieß sie von einiger Zeit auf einen Zeitungsartikel über die Astrophysikerin Sally Ride. Sie war 1983 die erste US-Amerikanerin, die mit einem Spaceshuttle in den Weltraum flog. Erst nach ihrem Tod im Jahr 2012 wurde bekannt, dass sie 27 Jahre mit einer Frau, der Kinderbuchautorin Tam O'Shaughnessy, zusammengelebt hatte. "Komischerweise war das gar kein großer Aufreger in den Medien", sagt Calle im Gespräch mit dem stern.
Die in New York lebende Fotografin wollte mehr darüber erfahren und begann zu recherchieren: "Ich bin selbst queer und beschäftige mich mit dem Thema sexuelle Orientierung vor allem im historischen Kontext. Dabei entdeckte sie zu ihrer Überraschung, welche große Rolle das Thema in der Raumfahrt über Jahrzehnt gespielt hatte. Die ersten sieben Astronauten des Mercury-Projekts Ende der 1950er-Jahre waren allesamt erfahrene Kampfpiloten und heterosexuelle Männer.
"Bis 1973 war es schwulen Männern verboten, in einer Bundesbehörde zu arbeiten", sagt Calle. Also tat auch die Nasa alles dafür, um ausschließlich heterosexuell orientierte Männer ins All zu schicken. "Sie hatte eine ganz bestimmte Vision davon, wer Astronaut werden sollte: Sie entsprach dem damals herrschenden Bild traditionellen amerikanischen Mannes, der für seine Familie sorgt." Stark, aber nicht zu machohaft, so die Vorstellung.
"Die Kandidaten mussten sich zahlreichen psychologischen Tests unterziehen", sagt Calle. Dazu gehörte unter anderem der berühmte Rorschach-Text. Dabei sollten die Männer auf abstrakten Tintenklacks-Bildern weibliche Körperformen erkennen. Daneben mussten die angehenden Astronauten hunderte von psychologischen Fragen beantworten. Grundlage dafür war der vom Psychologie-Professor Allen Edwards entwickelte Edwards Personal Preference Schedule (EPPS). Er umfasste je 15 Fragen aus 15 Themenkomplexen, für die es jeweils zwei alternative Antwortmöglichkeiten gab. Ein Fragenbereich betraf die sexuelle Orientierung: Die Männer mussten dort laut Calle etwa angeben, ob sie andersgeschlechtliche Menschen lieben und küssen würden.
Nicht nur Männer wurden so auf ihre "Unbedenklichkeit" hin überprüft. Auch Sally Ride wäre wohl niemals ins All aufgebrochen, hätte die Nasa von ihrer Liebe zu einer Frau erfahren. Von 1982 bis 1987 war Sally Ride mit dem Astronauten Steven Hawley verheiratet. Die Ehe endete praktisch zeitgleich mit ihrer Laufbahn bei der Weltraumorganisation.
Die sexuelle Diskriminierung der Nasa hat die Fotografin Mackenzie Calle zu einem besonderen Fotoprojekt inspiriert. Ausgangspunkt war die Frage: Was wäre, wenn es neben der Nasa auch eine queere Raumfahrtorganisation gegeben hätte oder heute geben würde? Unter dem Titel "The Gay Space Agency" kombinierte sie historische Aufnahmen mit Fragen oder Abbildungen aus den psychologischen Tests oder ersetzte tatsächliche Astronauten durch queere Aspirantinnen und Aspiranten, die sich für Raumfahrt interessieren. Mit diesem Projekt wurde sie eine der 24 Gewinnerinnen und Gewinner des World Press Photo Awards 2024.
Calle freut sich über die Aufmerksamkeit für ihr Anliegen, gleichwohl sieht sie noch viel Handlungsbedarf. "Bis heute hat sich die Nasa nicht mit dieser diskriminierenden Praxis über Jahrzehnte auseinandergesetzt. Es gab auch keinerlei Entschuldigung gegenüber den Betroffenen", bedauert Calle. Heute gibt es bei der Raumfahrtorganisation zwar keine Tests zur sexuellen Orientierung mehr. Dennoch outen sich in der Weltraumbranche nur die wenigsten, die sich als Teil der LGBTQ-Gemeinschaft identifizieren, wie eine Studie unter Nasa-Astronauten aus dem Jahr 2022 zeigte. "Wie Sally Ride fürchten sie Nachteile für ihre Karriere oder gar von irgendwelchen Programmen ausgeschlossen zu werden", sagt Calle. Dabei sollte doch nur eines darüber entscheiden, ob jemand in einem (Raumfahrt-) Projekt arbeitet: ob er oder sie dafür qualifiziert ist und brennt.