Seine Mutter gab einst Udo Lattek und Hans Krankl Spanisch-Unterricht. Bayer Leverkusens Manager Fernando Carro über seinen späten Einstieg ins Fußballgeschäft – und wie er Bayer in der europäischen Spitze halten will.
Herr Carro, Bayer Leverkusen zieht ins Finale der Europa League ein. Als Sie 2018 die Geschäftsführung übernahmen, sagten Sie: Ich will, dass der Verein Titel gewinnt, ich will, dass wir zu den besten 20 Klubs in Europa gehören. Hatten Sie damals ernsthaft daran geglaubt, diese Ziele erreichen zu können?
Natürlich habe ich daran geglaubt. Vielleicht war ich aber am Anfang zu aggressiv in der Zielsetzung nach außen. Jede Niederlage wird einem öffentlich vorgehalten wie ein Spiegel. Ach, wolltet ihr nicht Meister werden?, heißt es dann. Doch dass viel Potenzial in diesem Verein steckt, da war ich mir sehr sicher.
Sie sind im Alter von 53 Jahren als Quereinsteiger in den Fußball gekommen. Zuvor waren Sie mehr als 20 Jahre Manager beim Medienkonzern Bertelsmann, zu dem auch der stern gehört. Wie wurden Sie aufgenommen als Branchenfremder, der nie ein Bundesligaspiel bestritten hat?
Ich hatte schon immer ein stabiles Selbstvertrauen. Mit Rudi Völler (langjähriger Sportdirektor und Geschäftsführer Sport bei Bayer 04, Anm. d. Red.) habe ich schnell eine Basis gefunden. Rudi hat erkannt, dass Bayer 04 von meinen Fähigkeiten profitieren kann, gleichzeitig habe ich von ihm mit all seiner Erfahrung aus dem Fußballgeschäft sehr viel lernen können. Es war eine hervorragende Symbiose.
Dennoch: In einer eitlen Branche wie dem Fußball, die ihre Führungskräfte vor allem aus ehemaligen Spielern rekrutiert – hat da niemand die Nase gerümpft, als Sie kamen?
Das weiß ich nicht. Ganz unerfahren war ich jedenfalls nicht mit Leuten, die im Mittelpunkt des sportlichen Geschehens stehen. Ich bin in Barcelona aufgewachsen und durch meine Familie in engen Kontakt mit Hans Krankl und Udo Lattek gekommen.
Krankl, zweifacher Torschütze beim 3:2 der Österreicher gegen Deutschland bei der WM 1978. Die Schmach von Cordoba – aus deutscher Sicht. Woher kam der Kontakt?
Meine Mutter, die an einer deutschen Schule in Barcelona arbeitete, gab ihm und seiner Frau Inge Spanisch-Unterricht. Nach der WM in Argentinien hatte Barca Hans von Rapid Wien geholt. Er war neu in der Stadt, und wir haben uns angefreundet. Ich habe oft mit Hans Tennis gespielt.
Ein Teenager von 14 Jahren gegen einen erwachsenen Mann. Hatten Sie eine Chance?
Meistens habe ich Hans geschlagen. Wir haben auch später noch mal gespielt, da war er um die 50 und ich knapp 40 Jahre alt. Aber eindeutig war es fast immer.
Wie ist Ihr Verhältnis heute?
Wunderbar, daran hat sich nie etwas geändert. Die Freundschaft hält seit mehr als vier Jahrzehnten. Ich war bei den Hochzeiten seiner Töchter und letztes Jahr Gast bei seinem 70. Geburtstag.
Im Rückblick: War es dieses besondere Verhältnis zu Krankl, das Sie für den Fußball begeisterte?
Nein, das reicht weiter zurück. Ich war als kleines Kind Fan des FC Barcelona, bei mir drehte sich alles um Sport, besonders Fußball, Tennis und Leichtathletik. Das waren meine großen Leidenschaften.
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Sie haben später Wirtschaftsingenieurwesen in Karlsruhe studiert und bei Bertelsmann die Dienstleistungssparte Arvato geleitet. Alles inhaltlich weit entfernt von Ihren Leidenschaften.
Als ich 1993 zu Bertelsmann kam, wollte ich in das Unternehmen Ufa Sports, wo die Sportrechte lagen. Aber es hieß: Vergiss das, dort kannst du nichts lernen. Aber meine Liebe zum Sport hat das nicht getrübt. Später, als ich Leiter des Buchklubs in Spanien war, habe ich zahlreiche Sportbücher rausgebracht. Fußball, Formel 1, Tennis, die volle Bandbreite.
Jetzt sind Sie als Geschäftsführer des deutschen Meisters Bayer Leverkusen ganz nah dran am großen Sport – und eng an Xabi Alonso, dem derzeit wohl begehrtesten Fußballtrainer der Welt. Gibt es zwischen Ihnen, dem Katalanen, und Alonso, dem Basken, so etwas wie eine conexión española?
Es hilft sicherlich, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Aber dass Xabi sich bei Bayer 04 wohl fühlt, hat vor allem den Grund, dass er die Atmosphäre, die Zuverlässigkeit und Professionalität des Vereins schätzt.
Ganz Fußball-Europa blickt in diesen Wochen auf die Leverkusener Mannschaft, die den ewigen Meister Bayern München entthront hat. Wie wollen Sie verhindern, dass Ihre besten Spieler weggekauft werden von der Konkurrenz?
Wir haben in der Vergangenheit Spieler verloren, weil diese glaubten, man könne mit Bayer Leverkusen keine Titel gewinnen. Das ist nun widerlegt. Wir sind eine noch attraktivere Adresse geworden in Europa. Grundsätzlich aber hat sich an den Kräfteverhältnissen im deutschen Fußball nichts geändert – trotz unseres Erfolgs. Dem FC Bayern steht ungefähr das dreifache Budget zur Verfügung wie uns. Es wird eine Herausforderung, ganz oben zu bleiben.
Nochmal: Was können Sie tun, damit die Meistermannschaft nicht auseinandergerissen wird?
Wir sind noch in zwei Wettbewerben unterwegs, in der Europa League und im DFB-Pokal. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über Abgänge zu spekulieren. Wir wollen möglichst viele Spieler halten. Sie alle haben einen großen Beitrag geleistet zu dieser historisch erfolgreichen Saison.
Andere Mannschaften, die in den vergangenen zwanzig Jahren die Dominanz der Bayern kurzzeitig durchbrechen konnten, wie Stuttgart, Wolfsburg oder Dortmund, sind später tief gefallen. Was können Sie tun, um das zu vermeiden?
Das Wichtigste ist eine gewisse Kontinuität auf den Schlüsselpositionen der Organisation. Dies ist bei uns gewährleistet. Xabi Alonso wird im kommenden Jahr genauso hier seine Arbeit machen wie Simon Rolfes und ich. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir auch in der nächsten Saison und darüber hinaus eine starke Rolle spielen werden.