von Ali Özkök
Die neue Offensive setzt das selbsternannte Kalifat zu einer kritischen Zeit unter Druck. Einige Wochen zuvor starteten irakische Kräfte eine Offensive gegen die nordirakische Hochburg des IS, Mossul. Inzwischen kämpfen irakisch-arabische und kurdische Kräfte einen Städtekampf gegen die IS-Miliz. Im Irak sieht sich die Terrormiliz einem Zwei-Fronten-Krieg gegenüber.
Eine Erklärung der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), eine Allianz aus der PKK-nahen kurdischen YPG und kleineren arabischen Gruppen, informierte, dass die langerwartete Kampagne unter dem Namen „Rache des Euphrats“ am späten Samstag begonnen habe.
„Das Generalkommando der Syrischen Demokratischen Kräfte verkündet den gesegneten Beginn der großen Militärkampagne zur Befreiung von Rakka“, sagte die Pressesprecherin der SDF, Dschihan Scheich Ahmed, in der Stadt Ain Issa 50 Kilometer nördlich von Rakka. Die Erklärung wurde samt englischem Untertitel auf YouTube gestellt.
Rakka ist die syrische Bastion der extremistischen Miliz „Islamischer Staat“, von wo sie aus Trainingslager unterhält und Operationen leitet. Die Gruppe beaufsichtigt das zivile Leben in der Stadt in so gut wie allen ihren Elementen. Bäckereien, Banken, Schulen und Moscheen stehen unter direkter Kontrolle des IS.
Der Sondergesandte des US-Präsidenten im Kampf gegen den IS, Brett McGurk, bestätigte Reportern bei einem Zwischenstopp in Amman, dass die „Anfangsphase“ der Rakka-Offensive begonnen habe. Die SDF wird aus der Luft und am Boden von hunderten westlichen Spezialeinheiten unterstützt. RT Deutsch erhielt Bildmaterial aus Syrien, das mutmaßlich auf Sondereinsatzkommandos der US-Army hinweist, die die Stoßtruppen der SDF stärken. Die genaue Identität der Soldaten konnte nicht geklärt werden. Im Gespräch mit Militärexperten deutete sich an, dass es sich allerdings auch um britische SAS-Kommandos handeln könnte:
Anbei erklärt ein vermummter kanadischer Kämpfer in den Reihen der SDF, dass die Einheiten schnelle Geländegewinne gegen den IS verzeichnen:
„Die Rakka-Kampagne wird in Phasen ablaufen. Es gibt eine Isolationsphase, die heute begann, um sicherzustellen, dass der IS nicht aus Rakka ausbrechen kann“, sagte McGurk. Auch die SDF-Stellungnahme ergänzte, dass die Operation „die Hauptstadt des internationalen Terrorismus“ isolieren und daraufhin stürzen solle. Von den Vertretern wurde keine Information über den möglichen Zeitrahmen der Operationen gegeben.
SDF-Offensive löst regionale Spannungen aus
Die Planung der Rakka-Offensive wird durch eine Vielzahl an regionalen Faktoren verkompliziert. Darunter fallen türkische Bedenken über die Ausweitung des Einflusses der kurdischen YPG in Nordsyrien, die sie als Ableger der PKK ansieht. Die mehrheitlich arabische Bevölkerung der Provinz Rakka macht sich Sorgen über eine kurdische Präsenz, die vom Westen in der erdölreichen Region unterstützt wird.
Die SDF teilte am vergangenen Donnerstag mit, dass sie jegliche türkische Beteiligung an der Rakka-Kampagne ablehne. Die von der türkischen Armee unterstützten Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) kämpfen gegen den IS und sind der YPG, die vor allem von den USA unterstützt werden, feindlich gesinnt. Zwischen diesen Einheiten brachen in der Vergangenheit wiederholt Zusammenstöße aus.
Zuvor versprach die Türkei, dass sie eine eigene Operation auf Rakka starten wolle, um die sunnitisch-arabische Terrormiliz mittels syrisch-arabischer Rebellen zu befreien. Damit würde die türkische Regierung nicht nur den Einfluss der Kurden-Miliz eindämmen. Ankara suggeriert auch, dass die arabische Lokalbevölkerung die Befreier letztendlich nicht als Besatzer mit divergierenden ethnischen oder politischen Interessen wahrnehmen werde.
McGurk beteuerte, dass die „Vorhut“ der SDF-Kräfte, die in Rakka eindringen werde, aus ethnischen Arabern bestehen würde. Kurdische Kämpfer sollen nicht teilnehmen, die allerdings das kampfstarke Rückgrat der SDF bilden.
„Wenn es um Rakka selbst geht, wollen wir eine Einheit, die Rakka endgültig befreit, die in erster Linie aus dem lokalen Gebiet kommt, Araber. Wir haben viele dieser Kämpfer ausgebildet und diese Einheit wird weiterwachsen, wenn wir in die nächste Phase der Kampagne übergehen“, sagte McGurk.
Die SDF gab in diesem Zusammenhang an, dass arabische Gruppen an der Operation teilnehmen werden. Sie forderte Rakkas Zivilisten auf, Gebiete zu meiden, in denen IS-Kämpfer positioniert sind, und zum „befreiten Territorium“ überzulaufen.
Im Interview mit RT Deutsch kommentierte der Nahost-Analyst der Henry Jackson Society, Kyle W. Orton, auf die Frage, ob die Aussagen von SDF und McGurk über lokale arabische Kräfte realistisch wären, dass dies mit der SDF strukturell gar nicht möglich sei.
"Die SDF ist ein Kampfverband, der sich aus der kurdischen PKK zusammenstellt. Dieser wird er auch bleiben", gab Orton zu bedenken.
Aus öffentlich zugänglichen Informationen geht über das Profil der SDF folgendes hervor:
Die SDF wird von einem Zusammenschluss westlicher Staaten unterstützt, der unter Führung der USA seit 2014 Ziele in Syrien aus der Luft angreift. Die SDF war das Ergebnis einer neuen Syrienpolitik der USA.
Wie US-Medien berichteten, sollte der SDF auch mit Waffen ausgerüstet werden und eine Truppe von mehr als 20.000 Kurden und bis zu 5.000 Arabern sollte im Nordosten Syriens gefördert werden. Dabei wurde offen geschrieben, dass es in erster Linie um die YPG geht, die arabischen Beteiligten des SDF seien militärisch schwach, politisch unzuverlässig, und dienten nur als Feigenblätter. Für die US-Administration sind die YPG ein wichtiger Partner, obwohl sie der PKK nahestehen, die in den USA immer noch als Terrororganisation gilt.
Die Spannungen zwischen der Türkei und der FSA einerseits und den USA, anderen westlichen Staaten und die SDF andererseits steigen. Deshalb warnte Orton, dass sich in Syrien ein Konflikt im Konflikt anbahnen könnte, wovon nur der IS profitieren könne. Er sagte:
"Die Türkei ist eine echte Wildcard wegen der US-Unterstützung für die SDF. Gegenwärtig können die USA die Türken noch ruhig halten. Die SDF liegt auch noch Monate weit entfernt von Rakka. Es sieht allerdings düster aus. Die SDF wird keine starke arabische Einheit aufbauen. Sie könnten es versuchen."
Bei einem Überraschungsbesuch in der Türkei am Sonntag räumte der Generalstabschef der USA, Joseph Dunford, ein:
"Wir wussten immer, dass die SDF nicht die richtige Lösung für die Kontrolle und Regierung von Rakka ist."
IS soll in Irak und Syrien möglichst zur gleichen Zeit kollabieren
Ein Angriff auf Rakka ist lange erwartet worden. Am 25. Oktober sagte der US-Verteidigungsminister Ashton Carter, dass sich die Schlacht um Rakka mit der begonnenen Offensive auf Mossul „überlappen“ werde.
Der oberste US-amerikanische Militärkommandeur im Irak, General Stephen Townsend, sagte vergangenen Monat, dass die US-geführte Anti-IS-Koalition unbedingt Rakka isolieren müsse. Der Grund dafür seien immanente Bedenken, dass der IS auf umfassende Terrorangriffe im Ausland umsatteln könnte. Die würden von Rakka aus geplant werden.
Frankreich drängte ebenfalls auf eine gleichzeitige Offensive an beiden Fronten. Präsident Francois Hollande sagte vergangenen Monat, es gäbe Hinweise, dass die IS-Kämpfer aus Mossul nach Rakka fliehen. Man müsse verhindern, dass sich die Kämpfer in der Region reorganisieren könnten. Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian sagte am Sonntag im Europe Radio 1:
„Wir müssen nach Rakka gehen. Es werden lokale Kräfte sein, die Rakka befreien werden. Französische Kräfte, die US-Streitkräfte und die restliche Anti-IS-Koalition tragen mit Luftschlägen zur Zerschlagung des IS bei.“
„Die Mosul-Rakka-Region kann nicht voneinander getrennt werden, weil das IS-Gebiet diese Region überspannt“, sagte er.
Seit ihrer Gründung im Frühjahr 2015 auf Druck der USA hat die SDF entlang der syrisch-türkischen Grenze weite Landstriche erobert und den dschihadistischen IS auf 30 Kilometer vor Rakka zurückgedrängt.