In der deutschen Bevölkerung ist die aktuelle NATO-Strategie gegenüber Russland umstritten. Wenn es um die geplante Entsendung der deutschen QRF (Quick Response Forces) geht, kann es deshalb in der Debatte auch schon mal richtig emotional werden. Davon unbeeindruckt verfolgt die vor allem von der CDU besetzte deutsche Führungsspitze weiterhin den offiziellen NATO-Kurs, der auf Konfrontation und nicht auf Kooperation mit Russland setzt.
Das Treffen der Verteidigungsminister des Bündnisses am 26. und 27. Oktober brachte deshalb keine Überraschungen. Die Parolen über die vermeintlich notwendige "Beruhigung" des "aggressiven Russlands" wegen "besorgter" baltischer NATO-Mitgliedstaaten gewinnen auch durch ihre ständige Wiederholung nicht an Überzeugungskraft. Dennoch mussten sie auch diesmal herhalten, als Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Beschluss zur Stationierung von rund 500 deutschen Soldaten in Litauen begründete. Die übrigen Soldaten zur Komplettierung der geplanten Truppe aus 1.000 Spezialkräften werden aus den Beneluxstaaten und aus Norwegen kommen.
Im Februar will die Führung des Bündnisses die Einzelheiten über den geplanten Einsatz bekanntgegeben. Dieser soll ab Sommer 2017 starten. Zur Erinnerung: Die langjährigen NATO-Mitgliedsstaaten Großbritannien, Kanada, Deutschland und USA übernehmen eine Art Schirmherrschaft über Estland, Lettland, Litauen und Polen. Daraus resultierend entsenden sie dorthin den Großteil der QRF-Gruppen, die den Codenamen "Speerspitze" tragen und nach dem Rotationsprinzip arbeiten.
Diese sollen das vermeintliche russische Vorhaben, die genannten Länder anzugreifen, vereiteln. Russland hingegen betrachtet die zunehmende NATO-Präsenz entlang seiner Grenze, zusammen mit weiteren Plänen wie dem geplanten "Raketenabwehrschild" in Osteuropa, seinerseits eher als Ausdruck aggressiven Stalkings vonseiten des Westens.
Dass die Maßnahme der NATO auf einer künstlich erzeugten Hysterie basiert, wird sogar einigen deutschen Medienmachern langsam klar. Es ist deshalb in der Berichterstattung zu diesem NATO-Treffen eine leichte rhetorische Verschiebung zu bemerken. So heißt es bei der ARD:
Mit einer Mischung aus Druck und Dialog will man dem Bemühen Moskaus begegnen, verlorenen Einfluss auf die Länder der ehemaligen Sowjetunion und das weitere geopolitische Umfeld zurückzugewinnen und den neuen alten Großmachtanspruch auch militärisch zu untermauern.
Es ist hier immerhin nicht mehr von "Abschreckung" einerseits und "Aggression" andererseits die Rede. Umso klarer und deutlicher kommt entsprechend das eigentliche Ziel dieser Umgruppierung von Truppen gen Osten zum Vorschein. Da wird einem geopolitischen Konkurrenten vollständig das Recht abgesprochen, eigene historisch gewachsene "Einflusszonen" zu behaupten. Wenn dieser dennoch versuchen sollte, Einfluss "zurückzugewinnen" - was mit Blick auf den sehr großen prozentualen Anteil russischer und russischsprachiger Bewohner des Baltikum ein durchaus nachvollziehbares Ziel ist -, dann sind die Polizeitruppen der "großen NATO-Brüder" da.
Die russischen Minderheiten könnten auf diese Weise am Ende in eine gefährliche Lage kommen. Wenn nämlich jeder denkbare Protest als "russische Aggression" gebrandmarkt werden und mithilfe der anwesenden Truppen im Keim erstickt werden kann, wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet. Protest, zum Beispiel gegen eine unzureichende Gewährleistung der Volksgruppenrechte in ehemaligen Sowjetrepubliken. Wie schnell eine solche Situation eintreten kann, zeigte der Maidan-Putsch in der Ukraine: Eine der ersten Maßnahmen, die auf diesen folgten, war die Aufhebung eines Sprachengesetzes, das die Minderheitenrechte der russischsprachigen Bevölkerung schützte.
Russlands Regierung quittiert die NATO-Tagung in Brüssel unterdessen mit demonstrativer Nichtbeachtung. Sie hat das Verhalten der NATO längst in Grundsatzdokumenten beurteilt und die Verteidigungsstrategie darauf angepasst.
Allerdings wird die russische Seite nicht müde, vor der kontinuierlichen Zunahme der Präsenz von US-Kriegsschiffen in den Gewässern des Schwarzen Meeres zu warnen. Russische Militärexperten verweisen dabei auf den Vertrag von Montreux aus dem Jahre 1936, wonach der Aufenthalt von Schiffen aus Nicht-Anrainerstaaten in den Schwarzmeergewässern auf 21 Tage beschränkt wird.
Im Falle einer wiederholten Verletzung der Konvention will die Russische Föderation sogar eine Blockade der Dardanellen, einer Meerenge zwischen der Ägäis und dem Marmarameer, nicht ausschließen.