Andriy Oleksijowitsch Lunin, auf diesen Namen hört der 1,91 Meter große Torhüter aus der Ukraine, dessen Stern schon sehr früh aufgegangen war und bereits rasch zu verglühen drohte. Nach einer 18-monatigen Odyssee durch Spanien scheint nun allerdings seine Karriere eine weitere Kehrtwende einzuschlagen und wieder auf den Pfad des Erfolges zurückgelangt zu sein: Ihm winkt „endlich“ ein Platz bei seinem Arbeitgeber, bei Real Madrid! Das notwenige Selbstvertrauen, um es eines Tages ganz an die Spitze zu schaffen, hat der Schlussmann selbst in schwierigen Zeiten nicht verloren – vielleicht das Erfolgsrezept auf dem Weg zum Fußball-Olymp?
Sein Profidebüt zelebrierte Lunin schon zur Saison 2016/17 im zarten Alter von 17 Jahren bei Dnipro Dnipropretovsk in seinem Heimatland. Am 11. Spieltag wurde er erstmals eingesetzt und machte von diesem Tag an auch keine Anstände mehr, seine Rolle wieder aufzugeben. Den Abstieg in die Zweitklassigkeit konnte der in Krasnograd geborene Torhüter allerdings nicht verhindern, weshalb für Lunin schnell ein Tapetenwechsel angestanden hatte und der Wechsel zu Zorya Lugansk realisiert wurde. Dort war er auch trotz des jungen Alters die unangefochtene Nummer 1 und konnte sich gar auf europäischer Ebene in der Europa League beweisen, was seinen Namen auf die Wunschliste großer Vereine zauberte.
Bereits nach seiner zweiten Spielzeit als Profifußballer in der Ukraine hätte der Lockruf für einen ambitionierten jungen Mann nicht größer sein können, denn da klopften schon die Verantwortlichen von der Concha Espina an der Tür des Torwart-Juwels und eisten den hochgewachsenen Schlussmann für stattliche 8,5 Millionen Euro aus der Ukraine los. Lunin wurde als Versprechen in die Zukunft betrachtet, weshalb die Königlichen auch eine Ablösesumme deutlich über dem damaligen Marktwert von 3,5 Millionen Euro bereit waren zu bezahlen und gleichzeitig das Talent mit einem Vertrag bis 2024 ausstatteten. Behutsam sollte er aufgebaut werden für spätere Jahre, denn bei der Ankunft des Ukrainers in der spanischen Hauptstadt duellierten sich mit Keylor Navas und Thibaut Courtois ohnehin bereits zwei hervorragende und gestandene Torleute um den Platz zwischen den Pfosten. Eine Leihe war die Lösung.
Und ab diesem Tag stagnierte der bis dato unaufhaltsame Aufstieg des Andriy Lunin. CD Leganés wurde für eine Saison lang der Arbeitgeber auf Zeit, wobei sein Aufgabengebiet weitestgehend auf die Zuschauerrolle beschränkt blieb. Am Platzhirschen Cuéllar kam Lunin schlichtweg nicht vorbei, weshalb nach einem viel zu langen Jahr ohne regelmäßige Praxis gerade einmal 544 Spielminuten aus sieben Einsätzen – inklusive Copa del Rey – auf dem Erfahrungskonto des Ukrainers verbucht werden konnten. Zu wenig! Auch sein Status als Junioren-Weltmeister, den er im Mai 2019 bei der U20-WM in Polen erringen konnte, half ihm in Leganés nicht weiter.
Vieles, aber kein Empfehlungsschreiben für die Merengues, wo im Sommer 2019 immernoch sowohl Courtois, als auch Navas unter Vertrags standen. Auch weil der späte Abgang des Costa Ricaners dem ukrainischem Talent nicht bekannt war, kam es zur nächsten Leihe. „Niemand wusste, dass Keylor Navas Real Madrid verlassen würde. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, in der Mannschaft zu bleiben“, verriet Lunin später und ärgerte sich entsprechend, wie alles verlaufen ist.
Denn bei seiner neuen Destination innerhalb von LaLiga sollte es nicht besser werden Lunin der Durchbruch erneut verwehrt bleiben. Mit Real Valladolid fand sich zwar ein entsprechender Interessent, beim Klub von Vereinsboss Ronaldo Nazário wurde für den damals 20-Jährigen allerdings alles noch schlimmer: Kein Einsatz in LaLiga und zwei, wenn man so möchte, Mitleids-Auftritte in der Copa gegen Teams wie Tolosa CF oder Marbella FC wurden dem Talent in der gesamten Hinserie gegönnt. „Warum mir in Valladolid nicht vertraut wurde, muss man die Trainer fragen, nicht mich“, reagierte Lunin im Nachhinein leicht verschnupft auf seine Nicht-Berücksichtigung. Es sollte der absolute Tiefpunkt einer noch so frischen Karriere sein. Und es half nur noch eines: die Reißleine! Im Winter verabschiedete sich Lunin aus Valladolid und machte auf dem Papier zunächst einen Schritt zurück, in die zweite spanische Liga zu Real Oviedo.
Und diese Entscheidung wurde zur erneuten Kehrtwende in der Laufbahn von Andriy Lunin – diesmal wieder in die gewünschte Richtung. Der Ukrainer nahm auf Anhieb den Platz als Stammkeeper ein, überzeugte mit beständigen Leistungen und avancierte zum Garanten für sein Team im Abstiegskampf, welcher auch dank seiner Leistungen erfolgreich gemeistert wurde. Als Lunin in Oviedo anheuerte, standen die Asturier auf dem 17. von 22 Plätzen, am Ende half der Ukrainer in 20 Partien (sechs zu Null, 20 Gegentore) beim Erreichen von Rang 15 mit.
Nach anderthalb katastrophalen Jahren auf der iberischen Halbinsel war der zweimalige A-Nationalspieler der Ukraine augenscheinlich (endlich) akklimatisiert.
Und kaum war durch den Zug an der Reißleine der Wendepunkt erzwungen, ging es für Lunin diesen Sommer direkt wieder zwei Schritte nach vorne: Nachdem schon länger bekannt war, dass Alphonse Areola wohl kein weiteres Jahr bei den Merengues verbringen würde, ergab sich wieder die ein Jahr zuvor verpasste und weiterhin interessante Vakanz auf der Position hinter Thibaut Courtois. Mit Luca Zidane, dem Sohn des französischen Real-Trainers stand zwar noch eine weitere königliche Leihgabe mit Option auf Rückkehr zur Verfügung, doch augenscheinlich hatte sich „Zizou“ bereits gegen seinen Sohn und für Andriy Lunin als den Stellverteter auf der Linie ausgesprochen, sodass nach der verkürzten Sommerpause der als bester Torhüter der U20-WM 2019 ausgezeichnte Lunin wieder in der spanischen Hauptstadt aufschlagen darf. „Ich bereite mich täglich darauf vor, in der ersten Mannschaft von Real Madrid zu spielen“, verkündete der Spieler schon im Mai, vor der offiziellen Verkündung seiner Rückkehr, vielversprechend.
Wenn Reals Saisonvorbereitung Ende August beginnt, ist Lunin bereits seit zwei Jahren in Spanien und zumindest auf dem richtigen Weg. Und Stand jetzt wird er zu Beginn der „Pretemporada“ bei den Blancos sein und höchstwahrscheinlich dann auch bleiben. Courtois hingegen wird vorerst die unangefochtene Nummer 1 bleiben und mit 28 Jahren ist er noch lange nicht mit einem Ablaufdatum versehen.
Lunin wird sich also weiter in Geduld sowie harter Arbeit üben müssen, seinen Optimismus hat er jedenfalls auch während der monatelangen Odyssee durch Spanien nicht eingebüßt: „Klar sehe ich mich als Torwart von Real Madrid. Wenn es nicht so wäre, würde es keinen Sinn machen, nach Madrid zu gehen“, sagte der 21-Jährige kürzlich und lies gleichzeitig seine Gefühlslage durchblicken. „Ich tue alles mögliche, um dieses Ziel zu erreichen. Wann das sein wird, weiß ich nicht. Wenn der Moment kommt, dann bin ich überzeugt, dass es einer der besten Momente meines Lebens sein wird. Oder der beste.“ Bis es soweit ist, wird sicher noch einige Zeit vergehen. Die Zuversicht und das Talent lassen allerdings darauf hoffen, dass er es eines Tages bis in den Olymp des Fußballs schaffen wird.