Er steht morgens um drei zum Lernen auf, er ist der Beste des Jahrgangs. Der 19-jährige Jeremiah Mbai aus Kinakoni in Kenia büffelt hart für seinen Traum vom besseren Leben, doch ein großes Hindernis steht ihm im Weg. Seiner Mutter fehlt das Geld für die Schulgebühren.
Die Nacht ist tief und dunkel, wenn der Tag für Jeremiah Mbai beginnt. Zwischen drei und vier steht er meist auf. Langsam steigt er von seinem wackeligen Etagenbett herunter, immer darauf bedacht, niemanden im Schlafraum aufzuwecken. Kühle Luft weht durch den Mauerdurchbruch, der als Fenster dient. Er zieht sich etwas über, geht in den Klassenraum, macht das Licht an – und beginnt zu lernen.
"Das ist einfach die beste Zeit", sagt er, "dann ist Ruhe. Keiner stört mich. Dann kann ich mich konzentrieren."
Jeremiah ist 19 und besucht die Abschlussklasse der Secondary School – der weiterführenden Schule – von Kinakoni, des Projektdorfs von stern und Welthungerhilfe im Südosten Kenias. Nächtliche Lernsessions sind für ihn die Regel. Und sie haben sich bewährt: Jeremiah ist mit Abstand der Beste der Klasse. Insgesamt erreichte er im vergangenen Schuljahr 556 Punkte. Die zweitbeste kam gerade mal auf 424.
In vielen Gegenden der Welt hätte Jeremiah, ein höflicher, zurückhaltender junger Mann, beste Chancen auf einen guten Job. In Kinakoni steht in Frage, ob er überhaupt zur Schule gehen kann – weil seiner Mutter das Geld für die Gebühren fehlt.
Die "Mwalimu Mutua Maiyuku Secondary School" ähnelt vielen staatlichen Schulen auf dem Land in Kenia. Die Klassenräume sind kahl und unverputzt, ein paar alte Schulbänke, eine Tafel. Sonst nichts. Und der Schlafraum, in dem Jeremiah und ein paar andere "Boarder", also Kinder, für die die Schule auch Internat ist, leben, ähnelt eher einer Rumpelkammer: Stockbetten mit dünnen Matratzen, darüber löchrige Moskitonetze. Jeweils zwei Jungs teilen sich ein Bett, der Kopf des einen an den Füßen des anderen, für mehr reicht der Platz nicht. Hemden, Hosen und Habseligkeiten sind in kofferartigen Metallboxen verstaut.
Doch auch diese Schule kostet Geld. Wie alle Schulen in Kenia. Egal ob privat oder staatlich. Und wer nicht zahlt – darf nicht kommen.
Jeremiah hat vier Brüder und drei Schwestern, für alle waren oder sind Schulgebühren fällig – eine große Bürde für die Familie. Der Vater arbeitet als Putzmann in Nairobi, die Mutter als Köchin hier in der Schule.
Vor ein paar Jahren musste Jeremiah die Abschlussklasse der Grundschule wiederholen. "Zwei meiner Brüder waren damals schon auf der Secondary School. Die ist teurer als die Grundschule. Und meine Mutter hatte einfach nicht das Geld für ein drittes Kind dort", erzählt Jeremiah. Und klingt dabei, als ob er von einer leider etwas vermasselten Klassenarbeit spräche.
Auch in Kenia gibt es Stipendien- und Hilfsprogramme für begabte Schüler. Doch hier auf dem Land weiß kaum einer, wie man sich genau dafür bewirbt, auch Jeremiah nicht. Seine Mutter kann weder schreiben noch lesen. Und er selbst müsste erst einmal in die etwa 15 Kilometer entfernte Kleinstadt Mutomo kommen, um ein Internetcafé zu finden. Dort wüsste er dann zunächst kaum, was zu tun sollte: Denn Jeremiah Mbai, der Klassenbeste der Abschlussklasse, war noch nie im Netz.
Er hat einen Traum. "Ich möchte Lehrer werden. Chemie oder Mathematik", sagt er. Es klingt wenig exotisch für einen Überflieger – ein weit entferntes Ziel ist es trotzdem.