Das Hardcore Blinduro wurde als absolute Grenzerfahrung für alle Rennsport-Enthusiasten angekündigt. Und tatsächlich trägt das Zweitages-Rennen im tschechischen Plesivec den Namen völlig zurecht. Diese Erfahrung haben am vergangenen Wochenende Max Schumann und Ines Thoma gemacht, die einen unterhaltsamen Rennbericht mitsamt toller Fotostory mitgebracht haben!
„… Hardcore Blinduro wird wieder anspruchsvoll sein. Der Berg Pleßberg zehrt hart. Du wirst leiden! Du wirst alleine sein. Keine Freunde, die dich unterstützen. Es gibt weder eine technische Zone, in der Du dein Fahrrad reparieren kannst, noch eine Feedzone, in der Du Wasser bekommst. Du wirst es bereuen. Du kannst damit aber umgehen. Allein. Nur Du. Dein Fahrrad. Rucksack. Und das raue Erzgebirge. Bist du mutig genug für eine grausame Erfahrung?!“
Hardcore Blinduro
Die Ankündigung zum diesjährigen Hardcore Blinduro hätte uns fast aus den Klickpedalen gehauen. Ob das an einer holprig tschechisch-deutschen Übersetzung liegt, Michal Prokops schwarzem Humor oder uns alteingesessene Enduristen hier tatsächlich etwas ganz und gar Schreckliches erwartet, interessiert uns zu sehr. So packen wir kurzentschlossen möglichst viel Federweg in den Bulli und machen uns auf gen Osten in ein verlängertes Enduro-Wochenende der anderen Art.
Kaum haben wir das verkehrsüberlastete Münchner Eck überwunden, liegt Tschechien näher als gedacht. Und unmittelbar hinter der Grenze weht uns mit unverständlichen Ortsnamen und Plattenbauten aus verwittertem Beton echter Ostblock-Charme entgegen. Wir gönnen uns zur Akklimatisation erstmal einen übertrieben flowigen (Flowtrails) bis grob-rumpligen (Enduro und DH-Strecke) Tag im Bikepark Klinovec, den wir bisher absolut zu Unrecht ignoriert haben.
Bei unserer Ankunft in Plesivec am Freitagabend ist das Eventgelände bereits gut mit Campingvehikeln aller Alters- und Preiskategorien gefüllt: Feuerwehrautos, Wohnmobile, Dachzelte auf Kleinwagen, Zelte, Hängematte. „Du wirst alleine sein“ können wir also von vorneherein ausschließen, als wir zusammen mit einigen Freunden wie Tobias Woggon, Dennis Stratmann, Kai, Ronny, Tina von Ghost und Daniel Jahn eine Wagenburg der Extraklasse bauen. Beim abendlichen Renn-Einstimmungs-Bier werden die Erlebnisberichte aus dem Vorjahr am Campingtisch ausgetauscht. Wir erfahren, dass das Verlassen des Sportgeräts durchaus Teil der Erfahrung sein wird, dass pro Tag 4 Stages gefahren werden und eine erschreckend dünne Informationslage über Länge, Schwierigkeit oder Art der Strecke vorliegt. Richtiges blindes Rennen-Fahren also. Enduro, wie es im Lehrbuch steht. Ein echtes Abenteuer.
Wir verbringen einen gemütlichen Vanlife-Vormittag, da die ersten Starter erst gegen 11 Uhr das Startgelände verlassen und haben so genug Zeit, nach alter Enduro-Manier mal wieder einen Renn-Rucksack zu packen. Was in den Anfangsjahren des Sports noch Gang und Gäbe war, hat sich im Laufe der Zeit hin zu leichtem Gepäck (aka kleinen Hüftbeuteln, überfüllten Hosentaschen und allerlei Strapse am Rahmen) gewandelt. Doch ohne Verpflegungszone und das Wissen ob Wasser verfügbar sein wird, packen wir brav 2 Liter Flüssigkeit, Werkzeug, eine Regenjacke und Energieriegel ein. Das Ersatzschaltwerk, Ersatzbremsscheiben oder gar Bremshebel lassen wird daheim – so was haben wir noch nie gebraucht und wollen trotz der immer wilder werdenden Erfahrungsberichte des Vorabends auch hier nicht damit anfangen. Stattdessen nehmen wir uns „materialschonendes Fahren” vor.
3-2-1 – und schon sind wir unterwegs: ohne festgelegte Startzeiten sind die Transfer-Fahrten entspannt und spaßig. Unserer geselligen Runde haben sich Enduro-Raketen wie Texi (Chrsitian Textor) und „Team Austria“ (Matthias Stonig und Gerd Skant) angeschlossen. Die erste Stage ist extrem eckig und ja, das Erzgebirge ist rau. Felsen, Wurzeln, steil, verblockt, hängend und widersinnig. Wir sind in den letzten Jahren bereits blinde Rennen, also Rennen ohne vorheriges Training, wie die Trans Provence gefahren und haben sie lieben gelernt. Dort folgen die Rennstrecken hier nicht bestehenden Wanderwegen, die in ihrer Anlage und Orientierung meist sinnig und vorhersehbar sind. Das ist hier komplett anders: Die Trails sind frisch und wild in den Wald gesteckt und folgen oft nur dem Sinn, möglichst wenig Sinn zu haben. Die Begriffe „herumstuhlen“ oder „einparken“ sind daher gängige Ausdrücke bei der obligatorischen Stage-Nachbesprechung im Uphill. Es wird teilweise geschoben, ein bis zwei Füße abgesetzt und man bezweifelt mitunter mehrfach pro Kurve, ob Klickpedale die richtige Wahl waren. Hier, mitten den hängenden Wurzelsektionen, die gerne in schier bodenlosen Steilabfahrten durch fiese Felsen münden, fühlt man sich dann plötzlich doch ganz schön allein. Und eine gewisse „Grausamkeit“ lässt sich der Streckenführung in dem Moment auch nicht absprechen. Wenige Tiefenmeter nach der Zieldurchfahrt, als sich der hechelnde Atem und der weit aufgerissene Blick langsam wieder beruhigen, wird unsere Meute an Einzelkämpfern durch gemeinschaftliches Verfehlen der Ideallinie geeint. Fahrfehler gehören für alle dazu. Die Sturzrangliste führen Texi und Irm (Erik Irmisch) an, die bereits auf der ersten Stage 3 mal zu Boden gegangen sind.
Feed- oder Technikzone vermissen wir keineswegs. Die Tage sind mit jeweils 1.000 Höhenmetern sportlich, aber nicht zu lang und leicht ohne Support zu bewältigen. Außer dem ein oder anderen Kurbelarm oder Schaltwerk, das in den Steinfeldern zurückbleibt – aber da hätte eine Feedzone auch nicht direkt weitergeholfen.
Der Red Bull DJ Truck heizt am Abend zwar ordentlich ein, aber 90 % der über 300 Starter sind wohl zu müde zum Feiern und haben sich nach 1 bis 2 Pivos bereits in die Dachzelte verzogen.
Der zweite Renntag startet etwas früher, was angesichts der sich bereits am Morgen auftürmenden Gewitterwolken hoffentlich ein gutes Omen ist. Bereits nach der ersten Stage übertönt das Donnergrollen unsere über Felsstufen kratzenden Pedale. Wir mogeln uns also weiterhin so schnell wie möglich durch alle von Michal und seiner Crew pink markierten Stolpersteine und Problemwurzeln. Auch die Transfers werden angesichts des drohenden Regens heute etwas schwungvoller angegangen. Am Ende haben wir aber Glück. Wirklich nass werden wir nur in dem tretlagertiefen Schlammloch, das besonders lustige Trailbauer in Stage 6 integriert haben, um am Renntag freudig jubelnd jedem mutigen Biker zu dem kleinen Moorbad zu gratulieren. Echter Regen wäre unserer Meinung aber auch gar keine Option gewesen. Denn nasse Bedingungen hätten den Charakter des Ausflugs deutlich von Biketour zu Berglauf verschoben. Und so läuft es an Tag 2 bei Trockenheit für fast allen Beteiligten schon deutlich runder. Was zum Teil der minimal zahmeren Streckenführung zuzuschreiben ist, vor allem aber wohl dem etwas gezähmten Temperament der Rennfahrer, die langsam aus den vielen Fahrfehlern lernen. Vorausschauendes Fahren und nichts überstürzen, trotzdem einen gewissen Schwung und Fahrfluss aufrechterhalten sind häufig wiederholte, 9mal-kluge Ratschläge, die hier tatsächlich weiterhelfen.
Das Grande Finale bietet das zuschauerfreundlich in unmittelbarer Nähe des Eventgeländes gelegene „Steinfeld des Grauens“ – einmal in diesen Irrgarten aus Felsbrocken hineingesteuert (und Hals über Kopf die Orientierung verloren) geht es für viele Enduristen nur auf 2 Füßen weiter. Ines ist mit den anderen Fahrerinnen heute bereits früher gestartet und hat sich aufgrund der Regenvorhersage und der damit einhergehenden Unfahrbarkeit der Stolperstellen entschlossen, nicht wie gestern auf die Jungs zu warten. Nun genießt sie nach ihrem Sieg in der Damenklasse den Rockgarten von außen und hat sich mit Kamera bewaffnet unter die grölende tschechische Zuschauermenge gemischt.
Der deutliche Sieger des Rennens, der junge Lokalmatador Vojta Blaha, zelebriert hier einen wilden Rocknroll und schmeißt dabei seine Füße von den Pedalen in alle Richtungen. Der Zweitplatzierte deutsche EWS-Prinz Texi hingegen tänzelt kontrolliert-elegant über die pink markierten Felsspitzen hinweg und hinterlässt große Augen bei den tschechischen Zuschauern, die hier vor allem Alu und Carbon auf Fels knallen sehen wollen.
Nach dem Felspektakel trennen den wagemutigen Rennfahrer nur noch 3 schnelle Wiesenkurven und 2 Kurbelumdrehungen vom wohlverdienten Pilsener. Und wir stoßen gemeinsam mit unserer deutsch-österreichischen Rennreise-Gruppe und einigen neugewonnen tschechischen Bikefreunden auf ein einzigartiges Renn-Wochenende an. Spätestes jetzt sind wir nicht mehr alleine!