Die Neuinfektionen mit dem Coronavirus erreichen in den USA immer neue traurige Rekorde. Präsident Donald Trump bleibt bei seinem Kurs und redet die Pandemie klein. Die Stimmung in der Gesellschaft kippt.
Stellen Sie sich vor, die größte Party des Jahres steht an – und keiner geht hin. In mehreren US-Bundesstaaten sah das, mehr oder weniger, so aus. Bars uns Restaurants waren geschlossen, Strände gesperrt, größere Versammlungen nicht gern gesehen. Happy Fourth of July.
An diesem "Indipendence Day", dem mittlerweile 244. Unabhängigkeitstag in der US-Geschichte, gab es keinen Anlass, in Feierlaune zu sein. Weder für Amerika, noch für Trump (der Präsident hat trotzdem mit Tausenden seiner Fans gefeiert). Das Coronavirus gerät außer Kontrolle. Täglich melden die USA mehr als 45.000 Neuinfektionen, in zahlreichen Bundesstaaten steigen die Fallzahlen rapide an – allein der Sunshine State Florida hat innerhalb eines Tages mehr als 11.400 neue Infektionen verzeichnet. Trauriger Rekord.
Die Kurve der Neuinfektionen in den USA zeigt deutlich nach oben, fast 130.000 Menschen sind dort durch das Virus gestorben.PAID Party statt Pandemie – wie die Amerikaner das Coronavirus ignorieren_15.30Uhr
"Ich bin nicht zufrieden damit, was passiert", sagte Anthony Fauci, der führende Immunologe in den USA. "Wir gehen in die falsche Richtung." Er warnte davor, dass die Neuinfektionen auf 100.000 pro Tag ansteigen könnten. "Wir müssen wirklich etwas tun", sagte er, "und wir müssen es schnell tun."
Aktuell besonders betroffen sind Staaten, die Faucis Warnungen offenbar nicht entschlossen genug umgesetzt und Einschränkungen früh gelockert hatten – und nun, im Angesicht der rasant steigenden Zahlen, wieder zurückrudern.
Die drei von republikanischen Gouverneuren geführten Staaten hatten auf Drängen des Präsidenten früh weitreichende Lockerungen durchgesetzt. Mit ihrem Kurswechsel stellen sie sich daher auch gegen Trump, der die Pandemie demonstrativ kleinredet. Besonders der republikanische Gouverneur von Arizona konterkariert seine Linie des laxen Umgangs. "Wir können uns nicht vormachen, dass dieses Virus von alleine verschwinden wird", sagte er im Zusammenhang mit der Wiedereinführung von Beschränkungen. Trump glaubt derweil, "das Virus wird irgendwann gewissermaßen einfach verschwinden". Doch auch in Kalifornien, das von einem demokratischen Gouverneur geführt wird, steigen die Infektionszahlen rasant und Beschränkungen werden reaktiviert.
An Trumps leichtfertigen Umgang mit der Coronakrise dürfte sich unterdessen nichts ändern. Am Unabhängigkeitstag erklärte er in einer Rede, dass 99 Prozent der gefundenen Fälle "komplett harmlos" seien, was angesichts der rasanten und tödlichen Ausbreitung des Virus kaum zu belegen sein dürfte.
Zwar konnte sich der Präsident nun doch dazu durchringen, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu befürworten ("Ich bin für Masken"). Doch offenbar nicht aus hygienischen Gründen: "Ich hatte sogar eine Maske auf und ich mochte irgendwie, wie ich ausgesehen habe", sagte er. Er habe ausgesehen wie der "Lone Ranger", einer fiktiven Western-Filmfigur.Donald Trump treibt den Preis für seine Wiederwahl hoch 18.29h
Sein Herausforderer um die US-Präsidentschaft, der frühere Vizepräsident Joe Biden, positioniert sich auch in dieser Hinsicht als Gegenpol zum Präsidenten. Er trägt praktisch bei allen öffentlichen Auftritten einen Mund-Nasen-Schutz. Am 4. Juli nannte er das Tragen einer Makse "das patriotischste, was man tun kann." Zuletzt veröffentlichte Bidens Team einen Wahlkampfspot, der eine Rede Trumps aufs Korn nimmt. Darin sagte der Präsident, dass die USA mit ihm als Präsidenten so oft gewinnen würden, dass es den Amerikanern fast schon zu viel werden würde. "Mr. President, es ist zu viel", steht über dem Clip, während die Kurve der Coronainfektionen in den USA in die Höhe schnellt.
Offenbar sehen immer mehr Amerikaner in Trump keinen guten Krisenmanager. Landesweite Umfragen, sowohl bei der Internetseite "RealClearPolitics" als auch beim Umfrageinstitut "FiveThirtyEight", sehen Joe Biden im Rennen um das Weiße Haus schon länger bei fast zehn Punkten Vorsprung. Derweil lässt das Virus die größte Volkswirtschaft der Welt straucheln. Trumps zentrales Wahlkampfversprechen, die greatest economy in the world, wackelt. Und dann wären da noch die landesweiten Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus, die Trump wohl aus kühlem Wahlkampfkalkül dämonisiert.
Das trübt den Blick der Amerikaner auf ihr Land. Nach einer Umfrage des Pew-Instituts, über die die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, seien fast neun von zehn Amerikaner unzufrieden mit dem Zustand der USA. 71 Prozent seien wütend, 66 Prozent haben Angst. Nur 17 Prozent seien noch stolz auf ihr Land.