Muskelaufbau ist wichtig für ein gesundes Leben. Aber wie gelingt er? Der Sportexperte Heinz Kleinöder verrät, worauf es bei Training, Ernährung und Schlaf ankommt.
Herr Kleinöder, Muskeln sehen gut aus. Abgesehen von der Optik – warum sollten wir sie trainieren?
Gut auszusehen ist eine Sache. Und es ist Geschmackssache, ob man mehr oder weniger davon haben möchte. Es gibt Sportarten, in denen die Muskeln verdickt sein sollen – allen voran das Bodybuilding. Der Spagat zum Skispringer, der vor allem funktionelle Muskulatur braucht, ist groß. Muskeltraining bereitet auf die Belastungen im Sport vor und dient der Verletzungsprophylaxe.
Und abseits des Leistungssports?
Muskeln können ein breites Spektrum bedienen. Wir profitieren unter anderem psychisch von ihnen, haben mehr Selbstbewusstsein. Sie sorgen insgesamt für mehr Lebensqualität. Besonders im Alter ist das wichtig. Damit die Menschen noch alleine aufstehen, sich bücken und am Leben teilnehmen können. Muskeln geben uns mehr Kraft und damit Sicherheit.
Viele Menschen wünschen sich mehr Muskeln. Aber wie bauen wir sie auf?
Beim Krafttraining trainieren wir den Muskel und geben ihm dadurch einen intensiven Reiz, ermüden ihn. Mikrorisse entstehen in der Muskulatur, was sich je nach Intensität durch Muskelkater bemerkbar machen kann. Die kleinen Verletzungen repariert der Körper in Regenerationsphasen selbst und der Muskel verdickt sich. Er bereitet sich auf die nächste Belastung vor. Sichtbar wird der Muskelaufbau aber erst nach ungefähr vier bis sechs Wochen.
Wie muss ich dafür trainieren?
Versetzen wir uns mal in den Muskel hinein. Er kann nicht zählen, wie viele Wiederholungen wir machen. Ihn interessiert in erster Linie, wie viel Spannung er bekommt, wie lange sie anhält und wie regelmäßig er sie bekommt. Eine bestimmte Zahl an Wiederholungen ist dabei nur ein Werkzeug. Am Ende muss der Muskel vor allem ausgelastet sein. Mit der Zeit kann man Wiederholungen und Gewicht allmählich steigern, bis es in den Maximalkraftbereich geht. Nur bitte dosiert und mit der Intensität nicht übertreiben.
Sonst?
Wenn ich meine Belastungsreserve zu sehr strapaziere, leidet das ganze System des Körpers früher oder später darunter. Der Muskel und die anderen Strukturen brauchen Zeit, um sich anzupassen.
Das richtige Maß zu finden, ist manchmal gar nicht so einfach.
Das stimmt. Aber alles, was über viermal Krafttraining pro Woche hinausgeht, hat nicht mehr viel mit Gesundheit zu tun. Ich sollte auf mein Muskelgefühl achten und erst wieder zum Training gehen, wenn ich ausgeruht bin. Wenn ich mich wieder "hungrig" fühle und Lust auf Bewegung habe.
Also ist Krafttraining die beste Möglichkeit, Muskeln aufzubauen?
Es ist der klassische Weg, aber auch bei anderen Sportarten bauen wir Muskeln auf. Im Gegensatz zum Training im Fitnessstudio ist der Muskelaufbau dann funktioneller und teils unsystematischer – zum Beispiel ist der Schlagarm eines Tennisspielers deutlich dicker als der andere Arm. Beim systematischen Aufbau geht es mehr darum, die Muskeln in ein Gleichgewicht zu bringen und so auszubalancieren, dass der Körper gut funktioniert.
Wie wichtig ist der Lebensstil außerhalb des Fitnessstudios?
Sehr wichtig. Da spielen viele Faktoren eine Rolle – Ernährung zum Beispiel. Wenn der Muskel etwa nach dem Training nicht zeitnah Eiweiß bekommt, kann er sich schlechter anpassen. Und wenn dann noch der Schlaf als wichtiger Teil der Regeneration fehlt, ist das auch nicht optimal. Das heißt: Training ist nur der Auslöser. Weitere Bedingungen für den Muskelaufbau müssen wir drumherum schaffen.
Was bedeutet "zeitnah" in Bezug auf die Eiweiß-Aufnahme?
Am besten innerhalb der ersten Stunde. Wenn es mit dem Essen zu lange dauert, kann man in der Zwischenzeit auch einen Proteinshake trinken, damit die Stoffe vorhanden sind, die der Muskel für den Aufbau braucht.
Worauf gilt es bei der Ernährung noch zu achten?
Generell ist es empfehlenswert, genügend Obst und Gemüse zu essen. Eine gesunde Mischkost ist die Basis. Eigentlich braucht es nichts Besonderes. Lebensmittel mit sogenannten "leeren" Kalorien sollte man aber möglichst weglassen. Zum Beispiel sehr zuckerhaltige Speisen wie Pudding.
Was braucht es vor dem Training?
Am besten ist es, den Muskel so vorzubereiten, dass er mit Energie geladen ist. Man sollte also Kohlenhydrate zu sich nehmen und möglichst nicht abgehetzt von der Arbeit kommen.
Und es ist egal, ob man Fleisch isst, sich vegetarisch oder gar vegan ernährt?
Alle diese Ernährungsformen sind mit dem Muskelaufbau vereinbar. Vegetarier können statt Fleisch auf Milchprodukte als Eiweißquelle zurückgreifen. Veganer müssen ihre Proteine aus Hülsenfrüchten oder Änlichem beziehen und ggf. gewisse Vitamine supplementieren, weil der Bedarf durch das Krafttraining steigt.
Warum ist Schlaf wichtig für den Muskelaufbau, Stress aber kontraproduktiv?
Es braucht Schlaf, um die regenerativen Prozesse in Gang zu setzen. Beim Krafttraining sprechen wir nicht nur die Muskeln an, sondern auch den Stoffwechsel, die Sehnen, Bänder, Knochen und vieles mehr. Wir brauchen also Ruhe, damit sich alle Systeme erholen können. Und wer gestresst ist, schläft in der Regel nicht gut.
Gefährdet Alkohol das Muskelwachstum?
Für den Muskelaufbau müssen wir koordinative Bewegungen ausüben. Besonders bei Übungen mit freien Gewichten ist das neuronal anspruchsvoll. Wer am Abend vor dem Training Alkohol trinkt, büßt am nächsten Tag an Präzision ein. Das Verletzungsrisiko steigt. Und wer nach dem Training trinkt, regeneriert schlechter. Alkohol schadet dem neuronalen System und damit auch dem Training. Ihn komplett wegzulassen, ist vielleicht utopisch. Aber in Kombination mit dem Training sollte man in Maßen trinken.
Wie unterscheidet sich der Muskelaufbau bei Männern und Frauen?
Ab dem elften, zwölften Lebensjahr geht die Schere zwischen Jungen und Mädchen dramatisch auseinander. Jungen haben dann durch Muskelzuwachs 30 bis 40 Prozent mehr Kraft. Das männliche Hormon Testosteron sorgt für diesen Booster-Effekt. Beim einen mehr, beim anderen weniger. Und Frauen haben zyklusbedingte Phasen, in denen sie mehr oder weniger Energie beim Training haben. Das beeinflusst den Muskelaufbau dann entsprechend positiv oder negativ.
Aus Ihrer Sicht als Trainingswissenschaftler: Welche Annahmen in Bezug auf Muskelaufbau sind falsch?
Wenn man es richtig macht, ist Krafttraining für Kinder und Jugendliche nicht gefährlich. Eltern befürchten häufig, dass es dem Körper ihrer Kinder schadet. Dabei bereitet es ihre Muskulatur auf den Breitensport vor. Denn die Kraft, die im Fußball, Leichtathletik, Turnen und anderen Sportarten benötigt wird, ist viel höher. Das Krafttraining dient also vor allem der Prävention.
Und bei den Erwachsenen?
Manche scheuen sich vor Muskelaufbau und sagen: "Ich will nicht aussehen wie Arnold Schwarzenegger." Dahinter steckt ein großes Unverständnis. Um solch einen Körper zu bekommen, bedarf es jahrelanger Mühen und Qualen sowie den entsprechenden genetischen Voraussetzungen. Gegebenenfalls werden zur Unterstützung des Muskelaufbaus auch illegale Stoffe wie Anabolika mit zahlreichen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit eingesetzt. Normale Menschen müssen sich darüber also keine Gedanken machen.