Einst war er demokratischer Hoffnungsträger, nun ist er quasi Alleinherrscher, der jegliche Opposition unterdrückt: Kais Saied steht vor einer neuen Amtszeit in Tunesien. Als Kais Saied vor fünf Jahren zum Präsidenten Tunesiens gewählt wurde, galt er als Hoffnungsträger. Am Sonntag stellt er sich erneut zur Wahl – als inzwischen autoritärer Herrscher, der seine Gegner mundtot macht. "Er glaubt, dass er eine revolutionäre göttliche Mission hat, die den Willen des Volkes erfüllt", sagt Romdhane Ben Amor vom tunesischen Forum für soziale und wirtschaftliche Rechte (FTDES). Wahlkampf zu machen hielt der 66-Jährige offenbar für unnötig. Er begnügte sich mit ein paar Besuchen in Armenvierteln, wo er angebliche "Verschwörungen der Feinde Tunesiens" anprangerte. Konkurrenten hat Saied nur noch wenige: Seinen gewichtigsten Rivalen verweigerte die Wahlbehörde die Kandidatur, so hat er nur zwei Gegenkandidaten. Seit 2022 quasi Alleinherrscher 2019 hatte eine überwältigende Mehrheit von 73 Prozent in einer demokratischen Wahl für Saied gestimmt. "Das Volk will" lautete sein Motto damals – in Anlehnung an den Slogan des Arabischen Frühlings. 2011 hatten Massenproteste für mehr Demokratie den Langzeitherrscher Zine El Abidine Ben Ali gestürzt. 2021 löste Saied dann das Parlament auf – vorgeblich, um politische und wirtschaftliche Blockaden aufzulösen und die Korruption besser bekämpfen zu können. Ein Jahr später baute er seine Macht noch weiter aus: Er setzte den Obersten Richterrat ab und besetzte die Leitung der Wahlbehörde nach seinen Vorstellungen. Im Sommer 2022 ließ Saied schließlich in einem Referendum über eine Verfassungsänderung abstimmen, die ihm praktisch die Rolle des Alleinherrschers sicherte. Kritiker sehen darin Parallelen zur Herrschaft Ben Alis. In drei Jahren wechselte Saied drei Mal den Regierungschef und dutzende Minister aus. "Besorgniserregender Rückgang der Grundrechte" Ab Februar 2023 wurden Politiker und Geschäftsleute die sich gegen den Staatschef gestellt hatten, festgenommen, 2024 folgten die Festnahmen bekannter Gewerkschafter, Bürgerrechtsaktivisten und Journalisten. Die meisten von ihnen sitzen immer noch im Gefängnis. Fünf Jahre nach Saieds Amtsantritt bescheinigt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Tunesien "einen besorgniserregenden Rückgang der Grundrechte im Geburtsland des Arabischen Frühlings" und spricht von einer "autoritären Wende", die die Errungenschaften der Revolution zunichte gemacht habe. Auch von außen verbittet sich Saied jegliche Einmischung. Er behauptet, tunesische Menschenrechtsgruppen erhielten "riesige Summen" aus dem Ausland, die darauf abzielten, das Land zu untergraben. Im vergangenen Jahr lehnte er ein Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die hochverschuldete tunesische Wirtschaft ab, weil er keine "ausländischen Diktate" akzeptieren wolle. Wichtiger Partner für USA und Frankreich Dennoch ist Tunesien weiterhin ein strategisch wichtiger Partner in der Region für die USA und Frankreich – seine wichtigsten finanziellen Unterstützer und Waffenlieferanten. Und die EU schloss 2023 einen Migrationspakt mit Tunesien, um die Zuwanderung über das Mittelmeer einzuschränken. Saied wurde 1958 in Beni Khiar im Osten Tunesiens geboren und wuchs in einer Mittelschichtfamilie auf. Er war Professor für Verfassungsrecht und ist mit der Richterin Ichraf Chebil verheiratet, mit der er zwei Töchter und einen Sohn hat. Er gilt als sehr konservativ, vor allem in Bezug auf Homosexualität. Saied liebt klassische arabische Musik und Kalligrafie, weshalb er Reden und Briefe oft mit Tinte und Federkiel verfasst. Bekannt wurde er 2011, als er im Fernsehen über Verfassungsrecht sprach. Als Präsident ist Saied jedoch weniger kommunikativ. Nur selten spricht er mit Journalisten. Seine öffentlichen Äußerungen beschränkt er oft auf wütende Video-Monologe in Anzug und Krawatte, die das Präsidialamt im Onlinenetzwerk Facebook veröffentlicht. Der Schriftsteller Youssef Seddik hatte Saied regelmäßig vor der Wahl 2019 besucht. Damals war er "beeindruckt von seiner Freundlichkeit und seiner Fähigkeit zuzuhören", sagt er. Heute hingegen "redet er zum Volk in einer verzerrten Sprache, die außer ihm selbst niemand versteht".