Der Anschlag von Solingen rückt die Debatte um Abschiebungen in den Fokus. Wie viele gibt es und wie viele scheitern – und weshalb? Ein Überblick. Eigentlich hätte er nicht mehr in Deutschland sein dürfen: Der Syrer Issa al-H., der am Freitagabend in Solingen mutmaßlich drei Menschen tötete und acht verletzte, sollte 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden. Doch das scheiterte. Die genauen Ursachen und Antworten sollen jetzt Behörden liefern. Eine Rolle spielen dabei strikte Fristen. Wie lauten diese Regelungen und wie viele Abschiebungen hat es zuletzt gegeben? Diese und andere Fragen im Überblick: Wie viele Menschen in Deutschland sind ausreisepflichtig? Insgesamt gelten etwas mehr als 233.000 Menschen in Deutschland als ausreisepflichtig (Stichtag 31. März 2024), wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion antwortete. Davon besaß der Großteil (knapp 187.000) eine Duldung, also eine temporäre Aussetzung der Abschiebung. Dieser Status kann aus einer Vielzahl von Gründen verteilt werden. In vielen Fällen fehlen etwa die Reisedokumente. Das liegt in den meisten Fällen nicht an den Asylbewerbern selbst, sondern an den Heimatbehörden, die eine Ausstellung verweigern. Dann gibt es familiäre Gründe, etwa, wenn der Ehepartner oder ein minderjähriges Kind eine Duldung besitzt. Auch eine schwere Krankheit kann eine Abschiebung verhindern. Wer eine Ausbildung macht oder arbeitet, kann ebenfalls vor Abschiebung geschützt sein. In anderen Fällen lassen die Zustände im Heimatland eine Abschiebung aus humanitären Gründen nicht zu, wie etwa in Russland oder derzeit noch Afghanistan . Rund 45.000 Menschen besitzen diesen Status nicht. Dann ist in der Regel eine Abschiebung angedacht. Wie viele Menschen werden abgeschoben? Nach Angaben der Bundesregierung wurden 2023 mehr als 16.000 Menschen zurückgeführt, eine deutliche Steigerung im Vergleich zu 2022. Dieser Trend hat sich 2024 weiter fortgesetzt, im ersten Quartal 2024 gab es knapp 4.800 Abschiebungen, wie die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linksfraktion zeigt. Ein knappes Drittel der Abschiebungen 2023 erfolgte innerhalb der EU nach dem Dublin-Abkommen. Das betrifft Ausländer, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert worden sind und nach geltendem Recht dort Asyl beantragen müssten. Das gilt auch für den Täter von Solingen, der über Bulgarien in die EU einreiste und dementsprechend dort hätte bleiben müssen. Aufenthaltserlaubnis auf Probe möglich Die meisten Abschiebungen gab es den Angaben zufolge 2023 und im ersten Quartal 2024 nach Georgien, Österreich und Nordmazedonien , am häufigsten waren Georgier, Türken, Nordmazedonier, Albaner und Afghanen von den Maßnahmen betroffen. Die Zahl der ausreisepflichtigen Personen sank damit 2023 erstmals seit zehn Jahren. Zudem steigt die Zahl derer, die Deutschland freiwillig verlassen – und dafür finanzielle Unterstützung bekommen. Allerdings haben die sinkenden Zahlen nicht nur mit Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen zu tun. Die Ampel hat mit dem Chancenaufenthaltsrecht auch vielen Langzeit-Geduldeten eine neue Tür geöffnet. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen – sie dürfen etwa nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sein – eineinhalb Jahre eine Art Aufenthaltserlaubnis auf Probe erlangen. Dies kann dazu führen, dass die Person später dauerhaft in Deutschland bleiben kann. Auch das senkt die Zahlen der Ausreisepflichtigen. Wie viele Abschiebungen scheitern? Es scheitern deutlich mehr Abschiebungen, als durchgeführt werden. 2023 waren es mehr als 31.000, im ersten Quartal 2024 mehr als 7.000. Auch das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken. Der überwiegende Teil scheitert bereits, bevor die Ausreisepflichtigen an die Bundespolizei, die die Abschiebung in der Regel ausführt, übergeben werden. Warum das so ist, dafür gibt die Regierung nur schwammige Begründungen an. So sind in der Statistik als hauptsächliche Gründe "Stornierung des Ersuchens" und "nicht erfolgte Zuführung" aufgelistet. Dahinter verbergen sich eine Vielzahl an Gründen: So kann es etwa sein, dass die ausreisepflichtige Person erfolgreich gegen die Abschiebung geklagt hat. Oder dass die Ausländerbehörde in der Hoffnung, dass die Papiere rechtzeitig vorliegen, die Abschiebung terminiert hat. Wie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik 2020 auswertete, könnte sich hinter diesen Kategorien auch Personalmangel verbergen. Frist bei Verdächtigem verpasst Ein weiterer Grund ist, dass der Ausreisepflichtige nicht auffindbar ist – wie auch Issa al-H. Er sollte nach Bulgarien überstellt werden, da er dort in die EU eingereist ist und das Land nach der sogenannten Dublin-Regelung für ihn zuständig ist. Für solche Überstellungen gelten strikte Regelungen: Deutschland muss ein Übernahmegesuch an Bulgarien stellen, das Land muss dem daraufhin zustimmen. Das passiert nur in einem kleinen Teil der Fälle, 2023 etwa akzeptierte Bulgarien 3,5 Prozent der Rücknahmegesuche Deutschlands. Anschließend haben die deutschen Behörden sechs Monate Zeit, den Asylbewerber zu überstellen. Ist dieser für die Abschiebung nicht auffindbar, dann können die Behörden die Frist auf 18 Monate verlängern. Wie die "Welt" am Sonntag berichtete, wurde das im Falle von al-H. versäumt. Nach seiner gescheiterten Abschiebung Anfang 2023 lief die Frist im Sommer 2023 aus, die offizielle Zuständigkeit lag ab dem Zeitpunkt bei Deutschland.