Imane Khelif lässt sich vom Rummel um ihre Person zumindest im Ring nicht beeinflussen. Auch das Halbfinale gewann sie souverän – und hat nun ein klares Ziel. Aus Paris berichtet Alexander Kohne So einen Siegestanz hatten die Zuschauer auf dem altehrwürdigen Court Philippe Chatrier noch nicht gesehen: Wie aufgestachelt drehte sich Imane Khelif um die eigene Achse, hob die Knie und fuchtelte wild mit den Zeigefingern herum. Dazu verzog sie das Gesicht zu einer archaisch anmutenden Jubelgrimasse. Auslöser dieser Aktion war der vorangegangene Sieg der algerischen Boxerin im Halbfinale der Olympischen Spiele auf der Anlage von Roland Garros, wo sonst Tennis gespielt wird. Dabei zählte nicht ausschließlich, dass Khelif die Thailänderin Janjaem Suwannapheng problemlos mit 5:0 besiegt hatte und damit am Freitagabend in der Gewichtsklasse bis 66 Kilogramm um Gold kämpft. Es war vor allem eine Reaktion auf den Druck, der sich bei der 25-Jährigen während über einer Woche aufgebaut hatte und den sie eigentlich gar nicht wollte. Doch seit Ihrer Zulassung zum olympischen Turnier wird jeder Schritt Khelifs im Ring genaustens unter die Lupe genommen . Khelifs besondere Leistungsfokussierung Nachdem sie bei der Weltmeisterschaft im Vorjahr nach einem weiterhin nicht genau geklärten Geschlechtstest disqualifiziert worden war, sah sie sich vor und nach ihren ersten beiden Kämpfen in Paris harschen Anfeindungen ausgesetzt – vor allem in sozialen Medien ( Lesen Sie hier weitere Hintergründe zum Fall Khelif. ). "Ich schaue mir nicht an, was da über mich gesagt wurde", erklärte die Algerierin am Dienstagabend nach dem Kampf in einer Presserunde, bei der auch t-online dabei war. Ihr Ziel sei der Gewinn der Goldmedaille. Wichtig sei nur, dass sie ihre Leistung bringe. Und das tat Khelif. Unterstützt von Hunderten algerischer Fans im mit 10.000 Zuschauern fast bis auf den letzten Platz besetzten Tennisstadion, zeigte sie eine von Beginn an überzeugende Leistung. Entsprechend deutlich war das Ergebnis von 5:0. Die Verletzung von Khelifs "menschlicher Würde" "Ich bin sehr stolz, auf das, was ich erreicht habe. Ich habe alles gegeben, was ich hatte", sagte Khelif beim Fernsehsender beIN Sports und betonte: "Ich konzentriere mich auf die Konkurrenz, andere Dinge sind nicht wichtig." Ganz so einfach war es für sie zuletzt aber nicht, diese "anderen Dinge" auszublenden. Noch vor wenigen Tagen hatte die Algerierin in einem Interview des Videoportals SNTV gesagt, dass sie sich in ihrer "menschlichen Würde" verletzt fühle und ein Ende der Diskussionen gefordert. "Ich sende eine Botschaft an die Menschen in der Welt, damit sie aufhören, Athleten zu mobben, weil es Auswirkungen hat, massive Auswirkungen", fügte die 25-Jährige an: "Es kann Menschen zerstören, es kann die Gedanken, den Geist und den Verstand von Menschen töten." Kremlews Anschuldigungen Seit Tagen gibt es Streit über die Hintergründe der Disqualifikation durch den damaligen Boxverband IBA. Dieser wird vom unter Korruptionsverdacht stehenden Präsidenten Umar Kremlew geleitet. Der Vertraute von Wladimir Putin hatte verkündet, dass Khelif eine Betrügerin sei, weil sie sowohl ein X- als auch ein Y-Chromosom habe. Dies ist normalerweise nur bei Männern üblich ( lesen Sie hier die Hintergründe dazu ). Da die IBA vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) wegen zahlreicher Skandale nicht mehr anerkannt wird und deshalb das IOC selbst die Wettkämpfe in Paris organisiert, dürfen Khelif und die Taiwanerin Lin Yu-Ting, die bei der WM aus ähnlichen Gründen disqualifiziert worden war, bei den Spielen in Paris starten. Kremlew hatte behauptet: "Wir haben wissenschaftliche Tests, die zeigen, dass sie männlich sind." Fahrt aufgenommen hatte die Debatte um Khelif nach ihrem Sieg nach 46 Sekunden im ersten Olympia-Auftritt gegen die Italienerin Angela Carini. Diese war daraufhin im Ring unter Tränen zusammengebrochen ( mehr dazu lesen Sie hier ).