Lukas Märtens ist in die Fußstapfen der deutschen Schwimmlegende Michael Groß getreten. So wirklich fassen konnte der neue Olympiasieger das nicht – und erlebte einen bemerkenswerten Gefühlsumschwung. Aus Paris berichtet Alexander Kohne Während seine Schwester hemmungslos heulte, stand der neue Olympiasieger leicht apathisch am Beckenrand und zuckte mit den Schultern: kein Weltrekord, aber Gold. "Die ganzen Eindrücke haben mich einfach übermannt. Ich habe angeschlagen, auf die Anzeigetafel geschaut und gedacht: Ne, das kann nicht sein", erklärte Lukas Märtens nach seinem Sieg über 400 Meter Freistil. Dieser Erfolg vor 17.000 ohrenbetäubend lauten Zuschauern in Paris war historisch, denn erstmals seit "Albatros" Michael Groß vor 36 Jahren gibt es wieder einen deutschen Olympiasieger im Beckenschwimmen. Die Dimension seines Coups war Märtens eine knappe Stunde später noch nicht wirklich klar. Im Gegenteil. Die Ordnung der Gedanken nach dem Sieg "Ich muss meine Gedanken und Gefühle jetzt auch erst einmal ordnen", sagte der Magdeburger in einer Presserunde, bei der auch t-online zugegen war. Während der neue Olympiasieger noch versuchte, das Geschehene einzuordnen, war seine Schwester Leonie, die ebenfalls zum deutschen Schwimmteam gehört, auf der Tribüne mehrfach in Tränen ausgebrochen. In der gigantischen La Défense Arena, einem überdachten Rugbystadion, das während der Spiele zur Schwimmhalle umfunktioniert ist, bestimmte Märtens das Rennen von Beginn an. Vom Ausgang war der 1,92 Meter große Modellathlet dennoch etwas überrascht: "Nach der Saison und den ganzen Strapazen war das alles andere als abzusehen – auch wenn die Vorleistungen dafürgesprochen haben." Doch genau diese Vorleistungen schienen sichtbar auf Märtens gelastet zu haben. Denn als Weltjahresbester galt er fast drei lange Monate als Topfavorit auf den Titel. Das war auch der Grund, warum die Gemütszustände des 22-Jährigen nach den wichtigsten 3:41,78 Minuten seines Sportlerlebens mehrfach schwankten. Ans erstaunte Achselzucken direkt nach dem Rennen und einem eher reservierten Jubel schloss sich bei der Medaillenübergabe der Kampf mit den Tränen an. Nachdem Märtens mehrfach versucht hatte, diesen durch wiederholtes Blinzeln für sich zu entscheiden, folgte eine emotionale Explosion und er weinte ähnlich hemmungslos wie seine Schwester. Das Olympische Dorf: Plötzlich brandet aus dem Nichts lauter Jubel auf Er habe einfach an die Stationen auf dem Weg zur obersten Stufe des olympischen Treppchens gedacht. "Ich habe viel überwunden, viele Höhen und Tiefen gehabt und durch die stehe ich jetzt hier", veranschaulichte Märtens, der in diesem Zusammenhang auch die wichtigsten Menschen in seinem Leben nannte: "Ich bin stolz auf meine Familie, ich glaube, die weinen immer noch alle, und das wird auch erst mal so weitergehen. Ich bin allen dankbar." Da interessierte es ihn wenig, dass der Weltrekord von Paul Biedermann (3:40,07), den der Hallenser vor 15 Jahren in einem mittlerweile nicht mehr zugelassenen Hightech-Anzug geschwommen hatte, auf dem Weg zum Olympiasieg nicht gefallen war. Zumal er über den Großteil des Rennens schneller als Biedermann bei dessen Fabelrennen geschwommen war. Da rückt der Weltrekord in den Hintergrund "Viele haben erwartet, dass der Rekord fällt. Aber es ist mir scheißegal, ob der jetzt gefallen ist oder nicht. Ich bin ganz oben und das habe ich mir verdient", entgegnete Märtens. Und im Gegensatz zum Weltrekordhalter kann er sich nun Olympiasieger nennen. Dabei soll es allerdings nicht bleiben, deutete Märtens nach dem größten Erfolg seiner Karriere an. Er wolle ab sofort jede Minute zur Regeneration nutzen, weil er noch die "eine oder andere" Chance auf Edelmetall in Paris habe. Sollte es damit klappen, dürfte es bei Familie Märtens sicher erneut emotional werden.