Medien wollen bei Joe Biden einen Strategiewechsel ausgemacht haben. Tatsächlich verschickte der US-Präsident nun einen scharfen Brief an seine Kritiker. Doch das birgt eine Gefahr. Am Montagmorgen ging der US-Präsident in die Offensive. Da schickte er einen Brief an die demokratischen Mitglieder des Kongresses. Die trafen sich am Montag nach einer längeren Sitzungspause wieder zu einer parlamentarischen Sitzung – erstmals seit der TV-Debatte, in der Joe Biden einen verheerenden Eindruck hinterlassen hatte. Nun wandte sich der 81-Jährige mit dem Schreiben direkt an seine Parteikollegen und sagte ihnen, was er von den Rücktrittsforderungen hält, die seit der Debatte gefühlt stündlich an ihn gerichtet werden. Nichts. Nur, dass Biden es mit mehr Worten sagte. Es seien die Wähler gewesen, die ihn bei den Vorwahlen im Frühjahr als Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Partei auserkoren hätten. "Sie haben darüber abgestimmt. Nicht die Presse, nicht die Experten, nicht die großen Geldgeber oder irgendeine Gruppe Einzelner, egal, wie gut sie es gemeint haben", so der Präsident in dem Schreiben. Biden als Vorkämpfer gegen das Establishment Letzteres war offenkundig an die Handvoll demokratischer Spitzenpolitiker gerichtet, die in den vergangenen Tagen unter der Führung des Senators Mark Warner aus dem US-Bundesstaat Virginia einen Aufstand gegen Biden angezettelt hatten. Besonders erfolgreich war der allerdings nicht. Der innerparteiliche Putschversuch verpuffte, bevor er richtig begonnen hatte. Inzwischen hat Warner dem Präsidenten schon wieder die Hand ausgesteckt. "Da so viel auf dem Spiel steht bei der kommenden Wahl, müssen wir über den besten Weg sprechen, wie wir sie gewinnen", teilte Warner am Montag in einer Stellungnahme mit. Es klang fast versöhnlich. Biden kann sich vorerst also als Sieger im internen Machtkampf der Demokraten fühlen. Er hat die Rücktrittsstürme erst einmal überstanden. Die "Washington Post" will nun einen Strategiewechsel beim US-Präsidenten erkannt haben. Indem er sich gegen die Großspender, die Presse und sonstige Experten stelle, die ihm zuletzt den Rücktritt nahelegten, stilisiere er sich als Vorkämpfer gegen das Washingtoner Establishment. Tatsächlich unterstrich Biden in einem Interview mit dem Sender MSNBC am Montag, er kämpfe auch gegen die "Eliten". Und weiter: "Ich werde nirgendwo hingehen". Diese Strategie, so sie denn stimmt, hätte er mit Donald Trump gemein. Der hatte seinen Unterstützern stets versprochen, den vermeintlichen "Sumpf" in der Hauptstadt trockenzulegen. Also die korrupte Washingtoner Politik auf den Kopf zu stellen. Die Erzählung trug gerade mal bis zum Wahltag. Danach wurde Trump selbst des Polit-Sumpfes. "Post": Image des "Rebellen" ist hochgefährlich Allerdings könnte Biden von seinem Image des Kämpfers für die sogenannten "kleinen Leute" profitieren. Damit hat er schon in früheren Wahlkämpfen bei wichtigen Wählergruppen gepunktet. So geht das Narrativ nun: "Average Joe" ("Durchschnitts-Joe") gegen die snobistischen Besserwisser in ihren Maßanzügen, die ihn aus dem Rennen nehmen wollen. "Es interessiert mich nicht, was die Millionäre denken. Sie lagen 2020 falsch, sie lagen 2022 falsch ... und ich habe keine Lust mehr, irgendjemanden zu erklären, was ich tue. Ich werde kandidieren", schrieb Biden im Gestus des Outlaws in dem Brief am Montag. Was doch etwas seltsam erscheint, schließlich sitzt der Absender im Weißen Haus. Bidens Strategie dürfte mindestens gewagt sein, wie die "Washington Post" urteilt. Schließlich ist der Demokrat seit mehr als 50 Jahren Teil der Washingtoner Polit-Elite. Bidens neue Inszenierung als "insurgent", also als Rebell im Weißen Haus, sei hochgefährlich, so die Zeitung. "Er kann diese Karte genau einmal spielen. Wenn das nicht funktioniert, wird er mit dem Finger nie wieder auf die vermeintlich antidemokratischen Eliten zeigen können. Dann gibt es nur noch einen, den er verantwortlich machen kann: sich selbst."