Der neue US-Präsident Donald Trump erhebt Anspruch auf Grönland. Doch warum fiel die Insel einst überhaupt an Dänemark? Verantwortlich dafür war ein evangelischer Pfarrer.
Mit 40 Gefolgsleuten ist Hans Egede in Bergen aufgebrochen. Mit ihm reisen seine Frau und seine Kinder. Die monatelange Fahrt ist beschwerlich. Kurz nachdem Egede mit seinem Dreimaster "Haabet" die Südspitze Grönlands passiert hat, stößt er auf Treibeis, Sturm und Graupel. Die Menschen an Bord frieren und hungern.
Am 3. Juli 1721 schließlich legt das Boot an einer Insel vor der Küste Grönlands an, es ist neblig und feucht – ungemütlich. Egede nennt den Ankunftsort dennoch Haabets Ø – die Hoffnungsinsel. Es ist ein Name mit Symbolcharakter. Hans Egede, evangelischer Pfarrer und nun auch Seemann, sucht im Nordatlantik eine jahrhundertealte Siedlung seiner Vorfahren, der sagenumwobenen Wikinger.
Egede hätte das beschauliche Leben eines Landpfarrers führen können. Warum er das nicht tat, hat er einmal selbst geschildert. Der Historiker Winfried Dolderer hat Egedes Erzählung viel später nachvollzogen. Demnach habe Hans Egede im Jahr 1709 eine Pfarrstelle auf den Lofoten angetreten, einer kargen Inselgruppe vor der norwegischen Nordküste. Während eines abendlichen Spazierganges habe der Pastor sich erinnert, vor langer Zeit gelesen zu haben, dass es in Grönland "Christen samt Kirchen und Klöstern gibt, von denen ich aber von jenen, die dorthin auf Walfang fuhren, nichts habe erfahren können".
Die Frage war: Wie ging es diesen Christen jetzt? Hans Egede beschloss in jenem Moment nach diesen alten Siedlern zu suchen. "Ich meinte besonders dazu verpflichtet zu sein."
Die Faszination für das Schicksal der weit gereisten Vorfahren war im 18. Jahrhundert weit verbreitet im Königreich Dänemark-Norwegen. Überlieferungen erzählten davon, dass der Wikinger Erich der Rote im Jahr 985 eine Gruppe isländischer Bauern auf langen schnellen Drachenschiffen nach Grönland geführt habe, wo sie eine Siedlung an der Südwestküste gründeten. 400 Jahre hielten sich die Niederlassungen der "Grænlendingar", dann brach der Kontakt zur Außenwelt ab. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts hatte niemand mehr etwas von den Siedlern auf Grönland gehört.
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In den nordischen Ländern erzählten sich die Menschen allerdings Geschichten von Nordmännern und -frauen, die noch tief in den südlichen Fjorden Grönlands leben mussten, vielleicht sogar in unermesslichem Reichtum. Diese Erzählungen hat auch Hans Egede gehört. Diese Siedler möchte er finden. Er reist persönlich nach Kopenhagen, erhält eine Audienz bei König Frederik IV und bittet darum, nach Grönland reisen zu dürfen. Anfang 1721 stimmt der König zu.
Hans Egede findet auf der "Hoffnungsinsel" keine europäischen Siedler, auch nicht auf dem nahen grönländischen Festland. Dort stehen allenfalls Ruinen. Egede, 35 Jahre alt, trifft stattdessen auf das Volk der Inuit. Laut dem Historiker Dolderer beschreibt Egede die Inuit folgendermaßen: "Diese Menschen sind nicht von heftiger oder böser Natur, sodass sie sich nicht leicht zu etwas Bösem reizen lassen. (…) Aber so erfreulich es ist, ihren Umgang zu beobachten, so unleidlich ist doch der Dreck und Gestank, der in ihren Häusern von Tran und Ähnlichem kommt." Die Inuit sind Menschen, die nach Meinung Egedes dringend einer "Zivilisierung ihrer Seelen" bedürften.
1724 tauft Hans Egede die ersten Inuitkinder. Er baut eine Kirche, eine Walfangstation und gründet eine Siedlung, aus der die heutige grönländische Hauptstadt Nuuk erwächst. Er ändert für die Inuit eine Zeile im Vaterunser. Aus "Unser täglich Brot gib uns heute" wird: "Unseren täglichen Seehund gib uns heute".
Egede mag wegen Überlieferungen aus der Vergangenheit nach Grönland gekommen sein. Seine Ankunft hat jedoch große Auswirkungen auf die Zukunft. Die Christianisierung und die Kolonisierung Grönlands gehen auf den 1758 verstorbenen Missionar zurück.
Der Kopenhagener Professor Robert Rix hat diese These auch in seinem 2023 erschienenen Buch "The Vanished Settlers of Greenland" vertreten. Dort schreibt Rix, dass die dänische Kolonisierung Grönlands im 18. Jahrhundert maßgeblich von dem Wunsch angetrieben wurde, den Kontakt zu den frühen Wikinger-Siedlern wiederherzustellen.
Rix zufolge haben sich die dänischen Ansprüche auf Grönland zu großen Teilen auf Manuskripte, Bücher und Karten der mittelalterlichen Siedler gestützt. Man habe geglaubt, dass deren Nachkommen noch in Grönland lebten. Egede und seine Zeitgenossen glaubten an eine unberührte nordische Zivilisation im fernen Grönland. Das war eine Fantasie. Stattdessen begannen die Gesandten aus Dänemark, die Insel zu kolonisieren. Schon Ende des 18. Jahrhunderts beherrschten die dänischen Kolonialherren den Handel und das Leben auf der Insel.
Seit 1922 erhebt sich ein Denkmal auf einer Anhöhe oberhalb der Hauptstadt Nuuk. Es ist eine Statue von Hans Egede. Seine Rolle in der Geschichte Grönlands wird heute kritisch gesehen. Im Sommer 2020 wurde der Sockel der Statue mit roter Farbe beschmiert. Es stand dort: "Decolonize" – entkolonisieren. Eine geplante 300-Jahr Feier im Jahr 2021 anlässlich der Landung Hans Egedes auf Grönland wurde abgesagt. Die Grönländer sahen keinen Anlass, den dänischen Pfarrer zu feiern.