Es geht um Kryptohandys, das FBI ist involviert, ein Staat will geheim bleiben: Was nach Thriller klingt, gilt als realer Erfolg von Ermittlern. Ob sie gewonnene Daten nutzen dürfen, war lange unklar.
Zur Aufklärung schwerer Straftaten dürfen Ermittler in Deutschland Daten von Kryptohandys des Anbieters "Anom" nutzen, die das FBI gezielt an Kriminelle verkaufen ließ. Die US-Polizeibehörde hatte Codes, um verschlüsselte Chat-Nachrichten mitlesen zu können. Höchstrichterlich hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe anhand eines Falls aus Tübingen nun geklärt, dass die von den USA übermittelten Daten als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie der Aufklärung schwerer Straftaten dienen. Das war lange unklar.
Schwerste Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität
Das Bundeskriminalamt (BKA) startete im März 2021 im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main – Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität - Ermittlungen in diesem Zusammenhang. Nach früheren Angaben geht es um Daten zu rund 2.700 Nutzern mit Deutschlandbezug und um schwerste Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität.
Im Juli 2022 hatte das BKA mitgeteilt, bis dahin knapp 1.000 Nutzer identifiziert und mehr als 280 Ermittlungsverfahren eingeleitet zu haben. Schon damals seien rund 140 Haftbefehle vollstreckt gewesen. In der Bilanz nach mehreren Durchsuchungen standen zudem etwa einige Tausend Kilogramm Cannabis und synthetische Drogen sowie Dutzende sichergestellte Schusswaffen.
Staat will geheim bleiben
Bislang war es mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung umstritten, ob die "Anom"-Daten als Beweise verwertet werden dürfen, wie es in einem Beitrag der "Kriminalpolitischen Zeitschrift" heißt. Mit den sogenannten "EncroChat"-Fällen sei "AnomChat" nicht vergleichbar. Wegen vieler rechtlicher Fragen und den Umständen der Datenerhebung habe die Rechtsprechung zu letzteren dazu tendiert, ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot anzunehmen.
Hintergrund ist unter anderem, dass ein Server, an den bei Versand einer Chatnachricht eine Kopie gesendet wurde, seit Sommer 2019 in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union stand, dessen Identität das FBI auf dessen Bitte nicht preisgab. Unbekannt ist nach BGH-Angaben auch, warum dieser Staat um Geheimhaltung bat. Das Aus- und Weiterleiten der Daten sei laut einem Gerichtsbeschluss bis zum 7. Juni 2021 begrenzt gewesen.
Das BKA habe über eine internetbasierte Auswerteplattform Zugang zu den entschlüsselten Daten mit Deutschlandbezug erhalten. Das US-Justizministerium habe auf ein Rechtshilfeersuchen der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft hin dem Verwerten der Daten zugestimmt.
"Designed by criminals for criminals"
Nach Auffassung des 1. Strafsenats am BGH in Karlsruhe wiegt es in der Abwägung nicht so schwer, dass einige Informationen geheim sind und selbst die deutsche Justiz manches nur vom Hörensagen weiß. (Az.: 1 StR 54/24)
Ob ein Beweisverwertungsverbot besteht, sei ausschließlich nach deutschem Recht zu beantworten. Ausländische Ermittlungsmaßnahmen müssten nicht nach dortigem Recht überprüft werden. "Es ist auch nicht entscheidend, ob die deutschen Ermittlungsbehörden in gleicher Weise hätten vorgehen dürfen."
Die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis seien begrenzt gewesen, befand der BGH laut Mitteilung: "Die Maßnahmen richteten sich ausschließlich gegen Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Beteiligung an Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere im Bereich des Betäubungsmittel- und Waffenhandels, bestanden."
Schon der Vertriebsweg habe sich auf kriminelle Kreise beschränkt. Der BGH zitiert den Slogan "designed by criminals for criminals" (auf Deutsch: von Kriminellen für Kriminelle entwickelt). Dies und die hohen Kosten sprächen für den Verdacht, dass der Nutzer das Gerät zur Planung und Begehung schwerer Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität einsetzte.
Versteckt in Taschenrechnerfunktion
Im konkreten Fall muss das Landgericht Tübingen zwar noch einmal verhandeln. Dabei geht es aber nicht um die Frage der Daten-Verwertung. Hintergrund ist unter anderem, dass das Cannabisgesetz zwischenzeitlich in Kraft getreten ist.
Das Landgericht hatte den Angeklagten im Oktober 2023 wegen 35 Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt und angeordnet, dass mehr als eine halbe Million Euro an Taterlösen eingezogen werde. Die "Anom"-App sei in der Taschenrechnerfunktion seines Mobiltelefons versteckt gewesen.