Eine Abschiebung sei oft grausam und unmenschlich, heißt es. Hier erzählen zwei junge Bundespolizisten, warum sie freiwillig helfen, Menschen aus Deutschland wegzubringen.
Zwei junge Bundespolizisten, Leonie und Cedric (ihre Nachnamen behalten sie lieber für sich), haben sich dafür entschieden, Einblicke in ihren Alltag als "Personenbegleiter Luft" zu gewähren – ihr Job als Abschiebe-Einsatzkräfte. Auch ihr Ausbildungsleiter Jochen stand dem stern als Gesprächspartner zur Verfügung. "Viele Bürgerinnen und Bürger haben ein falsches Bild davon, wie Rückführungen eigentlich ablaufen und welche hohen Anforderungen an uns durchführende Beamtinnen und Beamten gestellt werden", erzählt Leonie. Für die 23-jährige Beamtin und ihren gleichaltrigen Kollegen ist der Gang in die Öffentlichkeit nicht ohne Gefahr, denn wer als "Abschiebehelfer" bekannt wird, setzt sich einem persönlichen Risiko aus.
Bundespolizisten wurden in der Vergangenheit an ihren Privatadressen aufgesucht und bedroht, etwa weil Betroffene mit der Abschiebung eines Familienmitglieds nicht einverstanden waren. Auch kam es vor, dass Radmuttern an Dienstfahrzeugen gelockert wurden, um so gegen Abschiebungen zu protestieren – eine Form des Protests, die Leben kosten kann. Ein Großteil der Beamtinnen und Beamten erzählen daher nur ihrem engsten Familien- und Freundeskreis von ihrem Arbeitsalltag. "Vieles, was im Rahmen einer Rückführung passiert, geschieht daher jenseits der öffentlichen Wahrnehmung", so Cedric. Was die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht wüssten: Abschiebungen durchführen darf nicht jeder.
"Die Grundvoraussetzungen für die begleitenden Beamtinnen und Beamten sind ein besonders hohes Maß an Empathie und sehr gute Englischkenntnisse", so Jochen, Ausbildungsleiter für die spezielle Fortbildung Personenbegleiter Luft. "Über diese erste Vorauswahl entscheiden Führungspersonen aus den eigenen Dienststellen." Nur besonders geeignete Kolleginnen und Kollegen dürften dann den Weiterbildungslehrgang besuchen.
Der Lehrgang dauert drei Wochen. "Auch viele Menschen aus meinem persönlichen Umfeld wussten gar nicht, dass wir extra geschult werden, wenn wir Rückführungen begleiten", erzählt Leonie. Sie ist seit zwei Jahren bei der Bundespolizei in Hamburg – normalerweise am Hauptbahnhof auf Streife oder zur Unterstützung auf St. Pauli oder bei Fußballspielen. Was sie antreibt: "Ich möchte Menschen die Rückkehr in ihr Heimatland so angenehm wie möglich gestalten." Die Dienststelle des ebenfalls 23-jährigen Bundespolizisten Cedric ist am Frankfurter Flughafen. "Neben der Kontrolle der Einreise gehört die kontrollierte und manchmal eben auch begleitete Ausreise aus Deutschland auch zu den Aufgaben der Bundespolizei", sagt Cedric. Aus diesem Grund habe er sich für die Weiterbildung entschieden.
Ich möchte Menschen die Rückkehr in ihr Heimatland so angenehm wie möglich gestalten.
Mit Beginn der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 gab es bundesweit rund 600 dieser speziell geschulten Bundespolizisten. Inzwischen sind es mehr als 2000. "Der Bedarf wird hoch bleiben", sagt Ausbildungsleiter Jochen. Pro Lehrgang werden um die 15 Personen ausgebildet. Neben Bundespolizistinnen und -polizisten sind auch externe Teilnehmer dabei, etwa Mitarbeiter von Zentralen Ausländerbehörden, aber auch Polizisten aus den Bundesländern und dem europäischen Ausland. In Leonies und Cedrics Gruppe sind zwei Polizisten aus Italien.
Was auffällt: Einige im Lehrgang haben selbst eine Migrationsgeschichte, beispielsweise Wurzeln in Afghanistan oder Sri Lanka. "Diese Kollegen verfügen natürlich über unschätzbare Sprach- und Kulturkenntnisse, die bei so einem Einsatz helfen können, um Situationen zu deeskalieren", so Ausbildungsleiter Jochen. Und Deeskalation sei oberste Prämisse: "Es ist menschlich und verständlich, dass sich die Rückzuführenden in einer Ausnahmesituation befinden und dementsprechend emotional reagieren." In rund 80 Prozent der Fälle könnten die Beamtinnen und Beamten jedoch allein durch Worte die aufgeheizte Situation beruhigen. "Sobald man den Rückzuführenden in die Augen schaut und mit ihnen sehr ruhig und empathisch umgeht, ist eigentlich in den meisten Fällen alles gut", so Jochen. Wer keinen menschlichen Umgang mit den Abzuschiebenden hinbekomme, müsse den Lehrgang verlassen.
Ein wichtiger Teil der Ausbildung liegt daher auf der interkulturellen Kompetenz und Kommunikation: Welche Unterschiede gibt es in Bezug auf Körpersprache oder die Lautstärke der Stimme? "Etwas, was in Deutschland unhöflich und bedrohlich wirkt, kann in anderen Teilen der Welt völlig normal sein", erzählt Bundespolizist Cedric. "Wir klären unser Gegenüber über alle Schritte auf, die wir gemeinsam gehen. Wenn wir jemanden beispielsweise fixieren müssen, weil er Widerstand leistet, dann erklären wir der Person, dass wir dies zu seiner eigenen Sicherheit machen, um mögliche Verletzungen zu verhindern." Kollegin Leonie ergänzt: "Es gibt keine Abschiebung um jeden Preis. Das Wohlergehen der Rückzuführenden steht über allem."
Ich kann die Verzweiflung des Anderen verstehen.
Auf einer menschlichen Ebene sei die Verzweiflung der Betroffenen zu verstehen. Auch hierauf werden die Personenbegleiter Luft in Rollenspielen vorbereitet, einer der Ausbilder übernimmt dann die Rolle des Abzuschiebenden. "Manche wehren sich mit Händen und Füßen, setzen Gewalt und alle vorhandenen Körperflüssigkeiten gegen die Beamten und das Umfeld ein", sagt Leonie. Piloten von Linienflugzeugen würden dann auch mal die Mitnahme verweigern. Auch käme es immer wieder vor, dass auf Linienflügen mitreisende Passagiere die Abschiebung verhindern wollen, weil sie Mitleid mit der abzuschiebenden Person hätten. "Wir erklären dann den Menschen, dass man nicht einfach so abgeschoben wird: In allen Fällen hat es zuvor eine oder mehrere Aufforderungen gegeben, Deutschland freiwillig zu verlassen", so die junge Polizistin. Davor hat eine Behörde die Entscheidung getroffen. Meist ein Gericht diese noch überprüft. Wenn Freiwilligkeit jedoch nicht fruchtet, ist die Rückführung durch die Bundespolizei der allerletzte mögliche Schritt. "Erst dann wird die Ausreisepflicht durch Begleitung umgesetzt, da ist von unserer Seite keine Willkür im Spiel. Das wissen viele Bürgerinnen und Bürger nicht."
Im Jahr 1999 kam es zum bislang einzigen Todesfall während einer Rückführung. Der Sudanese Aamir Ageeb hatte während des Flugs starken Widerstand geleistet und wurde von den begleitenden Polizisten mit seinem Kopf zwischen die Knie gedrückt, wobei seine Atemwege blockiert wurden und er erstickte. "Dieser schreckliche Vorfall gab den Anlass für eine komplette Überarbeitung des Rückführungsprozederes und die Entwicklung neuer Techniken", so Ausbildungsleiter Jochen.
"Wir bringen den Beamtinnen und Beamten bei, mit Techniken zu arbeiten, die die Gliedmaßen des Rückzuführenden kontrollieren, so dass das Gegenüber keine Möglichkeit hat, seine eigene Muskelkraft gegen unsere Beamten anzuwenden." In der Regel bilden zwei bis vier Beamte ein sogenanntes "Escort-Team", das einen Rückzuführenden begleitet. "Zwei Kollegen sichern jeweils eine Seite der Person, der Dritte ist in erster Linie für die Kommunikation mit der Person zuständig und sichert die Person von hinten", erklärt Bundespolizist Cedric. Wenn der Widerstand besonders groß sei, käme noch ein vierter Kollege hinzu.
"Wenn wir eine begleitete Ausreise durchführen, sind wir in zivil unterwegs", erzählt Leonie. "Unsere Dienstwaffen haben wir im Ausland nicht dabei und auch sonst nur wenige Führungs- und Einsatzmittel." Neben der eigenen Körperkraft kommen zum Beispiel eine Spuckschutzhaube, Plastikhandfesseln oder ein speziell entwickelter "Festhaltegurt" zum Einsatz. Letzterer wird auf der Rückseite mithilfe eines robusten Schlosses verschlossen, die Hände des Rückzuführenden werden an flexibel einstellbaren Schlaufen fixiert und können bis zu einer Länge von rund 50 Zentimetern freigegeben werden. Auf diese Weise kann der Betroffene zur Toilette gehen, und auch selbstständig essen und trinken.
Um das Verletzungsrisiko so gering wie möglich zu halten, versuche man, eine möglichst umfangreiche Sicherung zu betreiben. "Aus fast allem kann man, wenn der Wille da ist, eine Waffe machen und diese gegen sich selbst oder andere einsetzen: Toilettenspiegel, WC-Bürsten, Handyhüllen oder Panzerglasfolien vom Handy. Auch eingenähte Rasierklingen haben wir schon gefunden." Auf dem Trainingsgelände befindet sich daher eine nachgebaute Hafteinrichtung, inklusive Zelle, Empfangsbereich und Vernehmungsraum. Ausbilder verstecken Nadeln und andere potenziell gefährliche Gegenstände, die die angehenden Personenbegleiter Luft finden und entfernen müssen.
"Ein Telefonhörer mit Kabel kann lebensgefährlich und am Ende der Grund für eine abgebrochene Rückführung sein." Auch der Nachbau einer Flugzeugkabine und einer Schleuse im Sicherheitsbereich sind vorhanden. "Beim Einsteigen ins Flugzeug sind die Escort-Teams angehalten, den Kopf des Rückzuführenden besonders zu schützen", so Jochen. Die beengten Verhältnisse im Inneren des Flugzeugs böten die Gefahr, sich beispielsweise beim Hinsetzen an den Gepäckablagen selbst zu verletzten. Auch hierfür werden die Personenbegleiter Luft sensibilisiert.
Die Vorstellung, dass Rückführungen brachial und voller Gewalt seien, stimme nicht. "Wir versuchen, solange es geht, alles kommunikativ zu lösen."
Transparenzhinweis: Die Autorin ist Reporterin der Mediengruppe RTL, zu der auch der stern gehört.