Anlässlich des Jahrestags des Hamas-Angriffs auf Israel hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "Antisemitismus und blinden Israel-Hass" verurteilt. Er rief in am Sonntag in einem Video-Podcast zur Solidarität mit den Juden in Deutschland auf. Am Wochenende gedachten tausende Menschen bundesweit der Opfer des Hamas-Angriffs wie auch des Kriegs im Gazastreifen. Bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Berlin kam es zu Konfrontationen mit der Polizei.
Scholz sagte, auch in Deutschland bereite vielen der durch den Hamas-Angriff ausgelöste Gaza-Krieg große Sorgen. "In unserer freien Gesellschaft darf man immer um den besten Weg ringen und als Demokraten auch streiten." Es dürfe aber niemals sein, "dass Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens hier in Deutschland in Angst und Schrecken leben müssen."
"Den Jüdinnen und Juden hier in Deutschland gilt die volle Solidarität unseres Staates – und die Solidarität aller Anständigen in diesem Land", sagte der Kanzler weiter. Mit dem "abscheulichen" Angriff auf Israel habe die Hamas zugleich eine Katastrophe für das palästinensische Volk ausgelöst, fügte Scholz hinzu.
Angesichts des Ausmaßes an Leid und Zerstörung setze sich die Bundesregierung "weiterhin beharrlich für einen Waffenstillstand ein". Der Kanzler mahnte, die Waffenruhe müsse "jetzt endlich zustande kommen" – damit die Zivilbevölkerung im Gazastreifen besser geschützt werde und auch besser versorgt werden könne. "Und damit endlich die israelischen Geiseln freikommen!"
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, prangerte Aufrufe zu "offenen Israel-Hass-Protesten" als "neuen Tiefpunkt der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft" an. Wer angesichts des Jahrestags des grausamen Anschlags nicht in der Lage sei, "wenigstens ein Stück Empathie für Jüdinnen und Juden, für die Menschen Israels, zu empfinden, der wird es nie tun - und der hat ein gewaltiges Problem", sagte Schuster den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
Bundesweit wurde am Samstag und Sonntag auf mehreren Kundgebungen der Opfer des Hamas-Überfall gedacht, der sich am Montag zum ersten Mal jährt. Zudem gab es zahlreiche Demonstrationen gegen das israelische Vorgehen im Gazakrieg.
In Berlin war die Polizei nach eigenen Angaben am Sonntag mit 600 Männern und Frauen bei den Demonstrationen im Einsatz. Im Stadtteil Kreuzberg starteten rund 3500 Menschen einen Protestmarsch unter dem Motto "Demonstration gegen den Genozid in Gaza", wie eine Polizeisprecherin sagte.
Während der Abschlusskundgebung im Bezirk Neukölln hätten Teilnehmer die Einsatzkräfte unter anderem mit Flaschen und Steinen angegriffen. Die Polizei habe die Versammlung daraufhin aufgelöst, teilte die Polizeisprecherin mit. Mehrere Beamtinnen und Beamte seien verletzt worden. Gegen mehrere Teilnehmer seien "freiheitsbeschränkende Maßnahmen" verhängt worden, sagte die Sprecherin, ohne dies zu präzisieren.
Eine pro-israelische Kundgebung im Berliner Bezirk Mitte mit etwa 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verlief nach Angaben der Polizei friedlich. Auch bei weiteren Versammlungen in der Hauptstadt zum Jahrestag des Hamas-Angriffs gab es demnach keine besonderen Vorfälle.
Bereits am Samstag hatten in Berlin nach Polizeiangaben rund 1800 Menschen an einer pro-palästinensischen Kundgebung teilgenommen. Zu einer pro-israelischen Demonstration kamen etwa 650 Menschen. Die Versammlungen verliefen "überwiegend störungsfrei", wie ein Polizeisprecher sagte. Auch in Hamburg protestierten am Samstag hunderte Menschen gegen den Gaza-Krieg.
Weitere Kundgebungen und Veranstaltungen wird es am Montag geben - etwa in Frankfurt am Main, wo das dortige Verwaltungsgericht ein von der Stadt ausgesprochenes Verbot einer pro-palästinensischen Kundgebung aufhob.
In Berlin spricht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montagnachmittag nach einem interreligiösen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und nimmt an der zentralen Gedenkveranstaltung der Jüdischen Gemeinde teil. Scholz ist am Abend zu Gast bei der Gedenkzeremonie der jüdischen Gemeinde Hamburg.
Am 7. Oktober 2023 waren hunderte Kämpfer der Hamas und verbündeter islamistischer Gruppen vom Gazastreifen aus in den Süden Israels eingedrungen. In mehreren Ortschaften, auf einem Musikfestival und als Geiseln im Gazastreifen wurden israelischen Angaben zufolge insgesamt 1205 Menschen getötet, überwiegend Zivilisten. Von den 251 von der Hamas verschleppten Geiseln werden derzeit noch 97 im Gazastreifen festgehalten.
Israel geht seit dem Großangriff der Hamas massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach jüngsten Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können, mehr als 41.800 Menschen getötet.
Seit knapp zwei Wochen geht die israelische Armee zudem massiv gegen die mit der Hamas verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon vor, die seit dem 7. Oktober ihre Luftangriffe auf Israel verstärkt hatte. Offiziellen libanesischen Angaben zufolge wurden seit dem 23. September mehr als 1100 Menschen durch israelische Angriffe im Libanon getötet.