Wiesbaden hat ein neues Museum, das jeden Tag im Schnitt etliche hundert Gäste zählt. Schirmherr ist der erste Mann im Staat. Vormittags öffnet sich das weiße Gebäude nur bestimmten Besuchergruppen.
Das neue Wiesbadener Kunstmuseum Reinhard Ernst hat in seinen ersten 100 Tagen 60.000 Besucher angezogen und damit laut seinem Direktor Oliver Kornhoff "mehr Fans, als in das Stadion der Eintracht Frankfurt passen". Das Fußballstadion kann rund 58.000 Zuschauer fassen. Das kubusartige Museum Ernst des japanischen Stararchitekten Fumihiko Maki begrüßte Gäste vornehmlich aus Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Hinzu kamen Besucher etwa aus Asien, Südamerika, den USA und Neuseeland.
Kornhoff sprach von einer zusätzlichen Belebung der Wiesbadener Innenstadt mit Architektur der "Superklasse" und "Kunst von Weltrang" in der Wilhelmstraße 1. Museumsgründer, Namensgeber und Kunstsammler Reinhard Ernst sagte, er habe mit vielen Besuchern gerechnet - "in dieser Größenordnung allerdings nicht".
Vormittags nur für Kinder und Jugendliche geöffnet
An den fast 700 Gruppenführungen in den ersten 100 Tagen nahmen insgesamt rund 17.000 Besucherinnen und Besucher teil. Vormittags ist das lichtdurchflutete Museum mit abstrakter Kunst nur für Kinder und Jugendliche geöffnet. In dieser Zeit gab es bisher etwa 100 Gruppenführungen mit insgesamt gut 1500 Teilnehmern. "Die Vormittage sind bereits bis Dezember ausgebucht: Durchschnittlich werden im neuen Schuljahr drei bis vier Gruppen an jedem Vormittag das Museum erleben", teilte das Museum mit. Zugunsten des Kunsterlebnisses der jüngsten Besucherinnen und Besucher werde in dieser Zeit mit der Sperrung für Erwachsene bewusst auf Einnahmen verzichtet.
Die erste Schau in dem Neubau umfasst eine Auswahl von 60 der fast 1000 Werke des Kunstsammlers. Die Schirmherrschaft der ersten Sammlungspräsentation mit dem Titel "Farbe ist alles" hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übernommen. Hinzu kommen wechselnde Sonderausstellungen in dem weißen Gebäude, das Wiesbadener Bürger "Zuckerwürfel" getauft haben.
Sonderschau mit Werken von Helen Frankenthaler 2025
Von März 2025 an soll laut dem Museum die weltweit größte Privatsammlung der US-amerikanischen Künstlerin Helen Frankenthaler (1928 bis 2011) präsentiert werden, mit fast 50 Arbeiten ihrer Schaffensperioden 1950 bis 1990 in vier Ausstellungssälen. "Die meisten dieser Werke waren noch nie in Deutschland zu sehen", hieß es. Ihre intensive Auseinandersetzung mit Farbe und Form habe die abstrakte Malerei der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt.
Ernst, der mit Firmen für Antriebstechnik viel Geld verdient hat, schätzt den Wert seiner Kunstsammlung "auf einiges über 100 Millionen Euro". Bei Geschäftsreisen hat er sie in vier Jahrzehnten zusammengetragen. Museumsarchitekt Maki zählte zu den bedeutendsten Architekten seiner Heimat Japan. 1993 erhielt er den Pritzker-Preis als weltweit höchste Auszeichnung in seinem Fach. Kürzlich starb Maki im Alter von 95 Jahren in Tokio.
Polarisierende Architektur
Sein hochmoderner Museumsbau mit vier weißen verbundenen Kuben im Herzen der historischen Architektur von Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden stößt auf Begeisterung und Ablehnung. Ernst sagte, das sei ihm bewusst: "Es wird immer polarisieren." Er habe aber auch Besucher erlebt, die mit einer ablehnenden Haltung das Museum betreten und sich innen von der lichtdurchfluteten großzügigen Architektur überraschend begeistert gezeigt hätten. Manche hätten sich bei ihm sogar für ihre ursprüngliche Abneigung entschuldigt.
Museum Ernst