Die Verteidiger von Telegram-Gründer Pawel Durow sehen in dessen Festnahme staatliche Zensur. Ein absurder Vorwurf.
Es vergingen nur wenige Stunden nach der Festnahme von Telegram-Gründer Pawel Durow am Pariser Flughafen Le Bourget, da sprang ihm schon eine illustre Gruppe von Verteidigern bei. X-Chef Elon Musk postete ein Interview, das der rechtsgerichtete US-Moderator Tucker Carlson mit Durow im Frühjahr geführt hatte (und in dem Durow Musks Kauf von Twitter über den grünen Klee lobte) und schrieb darüber: "#FreePavel". Carlson selbst bezeichnete die Festnahme als eine "Warnung für jeden Plattformbetreiber, der sich weigert, die Wahrheit im Auftrag von Regierungen und Geheimdiensten zu zensieren". Disclaimer Capital
Der jüngst aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf ausgestiegene Politiker und Verschwörungsanhänger Robert F. Kennedy meinte: "Es war noch nie so dringend, die Meinungsfreiheit zu schützen." Italiens rechter Vizepremier Matteo Salvini behauptete, in Europa lebe man nun "unter Zensur". Und der Whistleblower Edward Snowden nannte die Verhaftung "einen Angriff auf die grundlegenden Menschenrechte der freien Rede".
Dass mit Durow am Samstagabend der Chef eines 900 Millionen Nutzer großen sozialen Netzwerks und Messengerdiensts in polizeilichen Gewahrsam genommen wurde, sendet für Durows Anhänger und Verteidiger ein klares Signal: Hier wird die Rede- und Meinungsfreiheit bedroht. Warum? Ein Szenario ist, dass Durow unter Druck der französischen Behörden staatlichen Stellen Zugriff auf Inhalte geben könnte, die bislang verschlüsselt und somit etwa für Ermittler unzugänglich waren. Sie sehen Durow als Garant des freien Meinungs- und Nachrichtenaustausches.
Doch diese Sichtweise ist zu simpel. Ja, Telegram ist ein unheimlich erfolgreicher und reichweitenstarker Dienst, der in autoritären Regimen auch Oppositionellen dient, um abseits gleichgeschalteter Medien ihre Botschaften unters Volk zu bringen – so passiert es derzeit auch in Russland. Das geht nur, weil die Nachrichten konsequent verschlüsselt sind – und man nicht fürchten muss, dass die Nachrichtendienste mitlesen.
Aber es ist auch ein Dienst, über den extreme politische Ansichten, Hass, selbst Terrorbotschaften verbreitet werden. Und auf dem im Schutz der Anonymität und Verschlüsselung auch alle denkbaren Formen der organisierten Kriminalität ihren Platz finden: "Telegram unterstützt und erleichtert Online- und Offline-Straftaten auf der ganzen Welt", sagt der Kriminologe David Maimon von der Georgia State University im März der "Financial Times". "Es geht von Betrug über den Handel mit Waffen, Drogen oder gar Menschen."
Und darum geht es offenbar auch bei den Ermittlungen in Frankreich, die letztlich Durows Festnahme am Samstag zur Folge hatten: Im Zentrum der Untersuchungen stehe die "nicht vorhandene Moderation und Kooperation der Plattform, insbesondere im Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Kindern", so Jean-Michel Bernigaud, Chef der Ermittlungsbehörde Ofmin. Frankreich ist damit nicht alleine: Auch deutsche Ministerien und Ermittlungsbehörden haben seit Jahren ihre Probleme damit, bestehende Gesetze bei Telegram durchzusetzen.
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Mit der Forderung, Nutzerdaten herauszugeben, bissen Ermittler regelmäßig auf Granit. Teilweise gelang es dem deutschen Staat nicht einmal, Schreiben an die vermeintliche Postadresse von Telegram in Dubai zuzustellen. Zwischenzeitlich kamen über ein Jahr lang keine Antworten auf Anfragen des Bundeskriminalamts zu Bestandsdaten von Nutzern. Inzwischen reagiere das Unternehmen aber wieder auf behördliche Entfernungsanordnungen, so eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums im Frühjahr.
Frankreich geht nun konsequenter dagegen vor und dürfte mit dem Festsetzen Durows nur zu erzwingen versuchen, was Telegram laut geltender Rechtslage schon lange machen müsste: Bei den Ermittlungen und der Verhinderung schlimmer Straftaten zu unterstützen. Was das konsequente Vorgehen etwa gegen Pädokriminalität mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit zu tun haben sollte, hat noch keiner sinnvoll erklären können.
Außer natürlich, man hängt einem besonders simplen Weltbild – so wie offenbar X-Chef Musk es tut. Der schrieb ebenfalls am Sonntag, Moderation sei nur "ein Propagandabegriff für Zensur". Dabei gibt es auf Plattformen, auf denen Hassrede und Terroraufrufe dominieren, keine Meinungsfreiheit – dort gilt das Recht des Stärkeren. Dem Einhalt zu gebieten, ist Aufgabe des Gesetzgebers. In Frankreich, Deutschland und der gesamten Europäischen Union gibt es aus diesem Grund entsprechende Regeln und Vorgaben. Jetzt werden sie durchgesetzt – und Durow sieht sich einem normalen rechtsstaatlichen Verfahren gegenüber.
Übrigens: Auch mehrere russische Regierungspolitiker kritisierten Durows Festnahme und bezeichneten ihn als "politischen Gefangenen". Ausgerechnet! Es sind mehr als zynische Aussagen, kommen sie doch aus einem Land, das Durow selbst einst mit politischer Repression ins Exil trieb – und in dem heute fundamentale Menschenrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung mit Füßen getreten wird. Dafür aber interessieren sich Durows Verteidiger nicht.