In Solingen sticht ein Unbekannter auf Menschen ein. Der Täter flieht, die Polizei fahndet rastlos. Mit dem Anschlag wächst die Unsicherheit. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen.
Ein, zwei Sekunden – länger dauerten die Messerangriffe nicht. Von einem existiert ein Videomitschnitt, sagt die Düsseldorfer Polizei, er zeigt möglicherweise den Tathergang von Solingen am Freitagabend. Die Bilder sind aber so verschwommen, dass der Täter nicht zu erkennen sei, es sei aber zu sehen, wie dieser gezielt auf den Hals seiner Opfer einsteche.
"Ein gut geübter Messerstecher ist schneller als ein Pistolenschütze", sagt Polizeiführer Thorsten Fleiß, der den Einsatz in der Nacht geleitet hat. Am Samstagnachmittag sitzt er sichtlich angefasst im aufgeheizten Saal des Wuppertaler Polizeipräsidiums, draußen sind es 30 Grad. Er versucht den Dutzenden angereisten Journalistinnen und Journalisten zu erklären, warum das Festival der Vielfalt, mit dem die Solinger den 650. Geburtstag ihrer Stadt feiern wollten, in einer Tragödie endete und warum vor allem der Täter auch Stunden später noch nicht gefasst ist.
"Der läuft uns nicht in die Arme", sagt Fleiß. Auf dem Fest seien tausende Menschen gewesen, da könne ein Täter in der Menge schnell entkommen. "Selbst, wenn man unmittelbar daneben steht."
So bleiben die Fakten, die Polizei und Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt liefern können, dünn. Stattdessen bedienen sich die Ermittler der üblichen Floskeln für unklare Situationen: Es werde in alle Richtungen ermittelt, den Hinweisen aus der Bevölkerung werde nachgegangen, auch Durchsuchungen hätten bereits stattgefunden, wo, könne aus polizeitaktischen Gründen nicht berichtet werden.
Interview DJ Topic Solingen Anschlag 16:45
Fleiß bittet die Bevölkerung, Hinweise, auch Videos auf dem Hinweisportal, das die Polizei geschaltet habe, hochzuladen – und nicht in den Sozialen Medien. "Das führt zu Falschmeldungen und verunsichert die Bevölkerung."
Hier finden Sie die Webseite für Zeugen, Handyfotos und Videos
Eine konkretere Spur gibt es allerdings: Zwei Zeuginnen haben sich nach Aussage der Ermittler bei der Polizei gemeldet und von einem Gespräch zwischen zwei Männern berichtet, das sie kurz vor der Tat mitgehört hätten und in dem es um eine Messerattacke gegangen sein soll.
Einen der beiden, einen 15-Jährigen, hätten die Zeuginnen gekannt. Die Polizei nimmt ihn fest. Zu weiteren Aussagen zu dem Jugendlichen und möglichen Verbindungen zur Tat will sich die Polizei nicht äußern. Düsseldorfs Oberstaatsanwalt Markus Caspers spricht von "Bruchstücken", die bislang vorlägen, bis daraus ein Bild vom mutmaßlichen Täter erkennbar werde, könne es "Tage dauern". Eine terroristisch motivierte Tat werde jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Solingen Promi Reaktionen 16:02
Dass er besorgt sei, will der Polizeipräsident von Wuppertal, Markus Röhrl, unterdessen nicht verhehlen. Zwar habe es auch früher schon Messerattacken gegeben, doch Statistiken legten nahe, dass heute mehr Menschen bewaffnet auf die Straße gingen. "Wenn jemand ein Messer dabei hat, selbst nur, um sich zu verteidigen, ist die Gefahr groß, dass es zum Einsatz kommt."
Ein Messer sei billig und einfach am Körper zu tragen. Und es ist potenziell gefährlich. "Verletzungen mit dem Messer enden in vielen Fällen tödlich. Es dauert nur wenige Minuten, bis ein Opfer an den Blutungen stirbt, das hat der ein oder andere nicht im Blick." Das Polizeipräsidium Wuppertal will im Rahmen einer Gefährderansprache in den kommenden Wochen Intensiv- und Mehrfachtätern aufsuchen und ihnen das Tragen von Messern verbieten. Eine Taktik, die laut Röhr bereits erfolgreich in Dortmund praktiziert wird.
Unsicherheit in Solingen, Unsicherheit in Nordrhein-Westfalen, Unsicherheit im ganzen Land – bis dahin ist es nicht weit. "Eine solche Tat macht natürlich was mit allen Menschen, das Unsicherheitsgefühl ist da", räumt der Polizeipräsident ein. Und stellt damit verbunden die Frage: Kann so etwas in Zukunft wieder passieren?
Ja, sagt Röhrl, aber man könne und solle sich jetzt nicht zu Hause einschließen. "Wir werden die polizeiliche Präsenz erhöhen, alle Kollegen sind sensibilisiert", erklärt Thorsten Fleiß. Aber: Eine hundertprozentige Sicherheit könne niemand garantieren. Auch die Tragödie in Solingen hat niemand vorausgesehen.