Nachdem er drei Menschen mit einem Messer getötet hat, tauchte der Mann im Tumult des Stadtfestes unter. Wie spürt man einen Täter auf, über den nahezu nichts bekannt ist?
Herr Poitz, während wir sprechen, ist der Täter von Solingen seit beinahe 20 Stunden auf der Flucht. Das ist eine ganz schön lange Zeit.
Es gibt keine Durchschnittszeit, wie lange ein Täter normalerweise flüchtig ist, ehe er gestellt wird. Aber Sie haben Recht, das ist schon eine lange Zeit. Ich gehe jedoch fest davon aus, dass der Mann in den nächsten Stunden gefasst wird.
Ist es ungewöhnlich, dass ein Täter nach so einem Attentat von so einem belebten Ort flüchten und untertauchen kann?
Das ist schon sehr ungewöhnlich. Normalerweise stellen Polizisten oder Passanten in solchen Fällen die Täter sehr schnell.
Wie läuft eine Fahndung in einem solchen Fall direkt nach dem Notruf ab?
Als erstes findet eine Täterbeschreibung statt, die zunächst innerhalb des Bundeslandes an die Einsatzkräfte durchgegeben wird. Danach wird die Täterbeschreibung bundesweit herausgegeben. Bestenfalls hat man vielleicht schon erste Erkenntnisse zum Täter und schaut in den Datensystemen nach, ob man so Näheres zu der flüchtigen Person herausfinden kann. Eventuell werden auch Funkzellenabgleichungen durchgeführt.
Wie schnell kommt man in einer solchen unübersichtlichen Lage zu einer Täterbeschreibung?
Die Täterbeschreibung hat man relativ schnell durch Zeugenbefragungen. Leider ist die natürlich aufgrund subjektiver Wahrnehmungen nicht super verlässlich. Bei dem einen Zeugen ist die Jeans blau, bei dem anderen grün. Daraus die flüchtige Person richtig einzugrenzen, ist häufig sehr schwierig. Einfach weil die Beschreibungen der Zeugen sehr allgemein sind.
Gerade in Solingen hat man das Gefühl, dass es keine richtige Beschreibung des Täters gibt. Die Polizei hat sich bislang nicht einmal ansatzweise zu einer öffentlichen Täterbeschreibung durchgerungen.
Das wird aus meiner Sicht aus ermittlungstaktischen Gründen bewusst so gehandhabt. Dadurch soll vermieden werden, dass Hinweise an die Öffentlichkeit gelangen, die den Täter oder sein Umfeld warnen könnten. Die Kollegen arbeiten mit Hochdruck und dafür braucht es einen geschützten Raum.
Aber es läuft aktuell ein Mann da draußen rum, der Willens und in der Lage ist, Menschen zu töten. Warum wird da die Bevölkerung nicht mit einer Täterbeschreibung gewarnt? Das könnte doch auch für Hinweise sorgen.
Dass eine Unsicherheit in der Bevölkerung herrscht, ist völlig nachvollziehbar. Aber in der aktuellen Gemengelage geht es erst einmal um Strafverfolgung und nicht um Prävention. Wenn die Identität des Täters zweifelsfrei geklärt ist, wird es eine Öffentlichkeitsfahndung geben. Solange bringt es aber nichts, eine vage Beschreibung zu veröffentlichen, in der es heißt: Männliche Person bekleidet mit schwarzer Jacke und Jeanshose.
Können Sie beschreiben, was in einem Fall wie Solingen geschieht, wenn über Funk kommt, dass ein Täter flüchtig ist? Riegelt man dann die Stadt ab?
Das kann man so sagen. Die Polizei macht eine sogenannte Ringalarmfahndung. Da werden Ringe mit Polizisten in der Stadt gebildet, um die Ein- und Abreise zu kontrollieren. Parallel werden Daten in den Fahndungssystemen abgefragt.
Was bringt diese Datenabfrage?
Im Idealfall passt eine Personenbeschreibung auf einen Menschen, der bereits im System hinterlegt ist. Dann kann der Name oder die Identität festgestellt und geschaut werden, welches Fahrzeug der Täter fährt oder wo wohnt er. Das ist im Fall von Solingen aber bislang, soweit ich weiß, nicht der Fall.
Nun ist der Täter schon länger flüchtig. Welche Rolle spielt Zeit bei so einer Fahndung?
Es wird immer schwieriger. Nicht nur die Polizei agiert, sondern auch der Täter. Der versucht womöglich seine Identität zu verschleiern oder ins Ausland zu fliehen. Jede Minute, jede Stunde, die vergeht, macht die Fahndung nicht leichter.
Halten Sie es für eine realistische Option, dass der Täter sich ins Ausland absetzt? Belgien und die Niederlande liegen nicht allzu weit entfernt.
Wir haben momentan Sommer- und Tourismuszeit. Natürlich ist es da leicht, das Land zu verlassen. Die Polizisten nahe der Grenze werden aber sensibilisiert sein, dass der Täter ausreisen könnte. Aber solange die Identität nicht geklärt ist, ist es sehr schwierig, Stichproben zu machen.