Am Frankfurter Hauptbahnhof wird am Dienstagabend ein Mann erschossen. Auch zwei Tage danach sind die Hintergründe der Tat noch unklar
Eigentlich ist es ein ganz normaler Reisetag, dieser Dienstagabend am Frankfurter Hauptbahnhof. Es ist kurz vor 21 Uhr. Menschen gehen durch die Bahnhofshalle, ziehen Koffer hinter sich her, die Eiligen laufen zu ihren Gleisen, andere genehmigen sich Fast Food gegen den Hunger. 493.000 Menschen kommen hier täglich vorbei, nur der Hamburger Hauptbahnhof verzeichnet mehr Reisende.
Dann zerreißen drei Schüsse das Treiben. An Gleis 9 liegt ein Mann am Boden, tot. Menschen schreien, laufen in Panik davon. "Ich hatte Todesangst", berichtet ein junger Mann. Es ist eine Hinrichtung inmitten von Menschen, quasi im Vorbeigehen, an einem Ort, der öffentlicher kaum sein könnte.
Und nun, zwei Tage später, stellt sich noch immer die Frage: Was steckt hinter dieser schrecklichen Tat?
Bislang deutet alles darauf hin, dass es sich um einen gezielten Mord handelt. Der Täter ging offenbar überlegt vor und wählte sein Opfer nicht zufällig aus. Nach der Tat schmiss der Mann die Pistole in Richtung des Opfers auf den Boden, schoss nicht wild um sich und lief zu Gleis 7, wo er in einen Zug steigen wollte. Laut regulärem Abfahrtsplan müsste es der ICE 526 in Richtung Dortmund gewesen sein. Weit kam er nicht, zwei Bundespolizisten stellten sich ihm in den Weg und überwältigten ihn.
Derweil kursiert ein Video im Netz, das die Tat zeigen soll und augenscheinlich authentisch ist. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft wollen jedoch gegenüber dem stern die Echtheit des Videos bestätigen, das mutmaßlich aus einer Überwachungskamera stammt. "Das verbreitete Video kommentieren wir nicht", heißt es.
Auf dem Video ist zu sehen, wie ein Mann direkt neben einem anderen Reisenden steht, als sich von hinten ein anderer Mann mit blauer Hose und hellem Oberteil nähert. Er kommt zielstrebig auf sein Opfer zu, nimmt die Pistole in die rechte Hand und schießt ihm einhändig aus wenigen Zentimetern in den Kopf. Der Mann sackt zusammen, und der Täter schießt noch mal auf sein am Boden liegendes Opfer. Im Weggehen blickt er noch einmal zurück, als wolle er sichergehen, dass sein Opfer tatsächlich tot ist. Dann joggt er davon, während um ihn herum Menschen panisch davonlaufen.
Der Mann, den die Bundespolizisten vor Ort festnahmen, ist ein 54-jähriger Türke, der bislang nicht polizeibekannt gewesen ist. Er soll laut Angaben der Staatsanwaltschaft zuletzt in Baden-Württemberg gemeldet gewesen sein. Seit wann er in Deutschland lebt, konnten die ermittelnden Behörden auf Nachfrage des stern am Donnerstag noch nicht sagen. "Das ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen und kann derzeit noch nicht beantwortet werden", so Dominik Mies, Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Auch, ob er legal eine Waffe tragen durfte, ist noch nicht geklärt. Ebenso wie das Modell der Pistole.
Nach wie vor schweigt der Tatverdächtige gegenüber den Ermittlern und macht keine Angaben zum Tatvorwurf. Mittlerweile sitzt er in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord vor. Sein Motiv bleibt unklar. Auch in welcher Beziehung Täter und Opfer zueinander standen, wird noch ermittelt. "Derzeit haben wir keine weiteren Informationen zum Hintergrund der Tat", so Oberstaatsanwalt Mies.
Nach Informationen des stern lebte das Opfer nicht in Deutschland und war 27 Jahre alt. Wann der ebenfalls aus der Türkei stammende Mann nach Deutschland einreist war und warum er sich aktuell hier aufhielt, ist noch unklar. "Die Einreisedaten des Opfers werden derzeit überprüft", sagt Oberstaatsanwalt Mies dem stern.
Frankfurt Mann erschossen 6.45
Rätselhaft bleibt, warum für eine solche Tat ein so öffentlicher Ort gewählt wurde. "Das hat etwas Demonstratives, vielleicht sogar Inszeniertes", sagte der Kriminalpsychologe Rudolf Egg der Deutschen Presseagentur. "Wer in aller Öffentlichkeit eine solche Tat begeht, nimmt ein sehr hohes Entdeckungsrisiko in Kauf", so der frühere langjährige Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. Dem Täter müsse klar gewesen sein, dass Überwachungskameras die Tat aufzeichnen und es viele Zeugen gibt. Er müsse damit gerechnet haben, dass er nicht davonkommt, was eine lebenslange Freiheitsstrafe zur Konsequenz hat.
"Wenn jemand so etwas macht, dann muss er schon ein sehr starkes Motiv haben oder unter sehr großem Druck gestanden haben", sagte Egg. Vielleicht habe es auch keine andere Möglichkeit gegeben, die Tat zu begehen. Derzeit könne man nur spekulieren, auch ob etwa Organisierte Kriminalität oder Drogenkriminalität dahinter stünden; Familienehre oder Eifersucht seien ebenfalls denkbar. Ausschließen, so viel sei klar, könne man Stand heute gar nichts.