Kein Ex-Staatsanwalt, kein Ex-Astronaut, sondern ein Ex-Highschool-Lehrer. Kamala Harris überrascht mit der Wahl ihrer Nummer Zwei. Aber Tim Walz ist genau das, was die USA brauchen – einfach ein netter Kerl.
Gottchen, sieht der Mann lieb aus. Schlohweiße Haarreste, gemütliche Fältchen um die gütigen Augen und ein Lachen, das herzlicher kaum sein könnte. Ja, Tim Walz hat etwas von einem frischrasierten Santa Claus in Nadelstreifen. Passenderweise ist er der Gouverneur von Minnesota, das sich in der Weihnachtszeit regelmäßig in ein puderzuckriges Winterwonderland verwandelt. Zumindest bisher. Denn schon bald könnte der unbekannte Landesfürst aus dem Norden der zweitmächtigste Mann der USA sein.
Doch: Hat sich Präsidentschaftanwärterin Kamala Harris mit der Wahl ihres Vizekandidatin einen Gefallen getan? Oder anders gefragt: Braucht es wirklich einen netten Typen, wenn der Gegner Donald Trump heißt? Ja. Genau den braucht es. Infobox US-Wahl-NL
Am Ende hatte Kamala Harris die Qual der Wahl: Ex-Lehrer oder Ex-Staatsanwalt? Nicht gerade "Sophies Entscheidung", glaubte das Gros des Expertentums. Sie – wir – täuschten uns.
Auf den ersten, vielleicht auch auf den zweiten Blick ist tatsächlich eher Josh Shapiro der ideale "Running Mate". Der ist nicht nur gerade richtig ambitioniert und bei der Parteibasis beliebt, sondern vor allem der Gouverneur von Pennsylvania. Und Kamala Harris braucht den Wackelstaat im "Rostgürtel", wenn sie Joe Biden beerben will.
Walz' Minnesota hingegen ist kein Swing State, ist nicht wahlentscheidend. Was nicht heißt, dass Walz mit leeren Händen kommt. Als einfacher Farmersjunge spricht er fließend Unter- und Mittelschicht. Mit seiner direkten, unprätentiösen Art nimmt er auch Menschen auf dem Land für sich ein. Zuletzt nannte er das Team-Trump "weird" – schlicht komisch. Nicht gerade die volle verbale Breitseite. Aber simpel. Ehrlich. Keine neurepublikanisches Gallespucken. Harris nahm das Wort umgehend in ihr Anti-Trump-Vokabular auf. Als Gouverneur hat Walz außerdem mehr als einmal ein in den USA lang vergessenes Kunststück vollbracht: den sogenannten Kompromiss. Für Walz muss es nicht A oder B sein, wenn mit einem ABC alle leben können. Portrait DPA Wer ist Tim Walz? 18.12
Und trotzdem … Nüchtern betrachtet ist Tim Walz sicher nicht die erste Wahl für die Nummer Zwei. Aber, wenn mehr als 160 Millionen Menschen wählen, geht es nicht bloß um reine Logik, sondern um's Herz. Und Kamala Harris ist auch nur ein Mensch. "Sie mochte ihn einfach", bringt es das Magazin "Politico" auf den Punkt.
Genau das hat Walz der Konkurrenz voraus. Lieber ein Typ, der Kinder umarmt, als einer, der Kinder von ihren Eltern trennt:
Die Gespaltenen Staaten von Amerika brauchen 2024 nicht noch einen Zyniker der Macht, nicht noch einen brettharten Prügelrhetoriker. Auch, wenn die meisten Amerikaner seinen Namen bis heute nie gehört haben: Wer hätte nicht gerne den lieben Onkel Timmi als Vizepräsident?