Lehrer, Football-Trainer, Vater, Veteran, Jäger – Kamala Harris holt sich mit Tim Walz einen Mann aus dem Mittleren Westen an ihre Seite, dessen Biografie in starkem Kontrast zu ihrer eigenen steht.
Bis vor Kurzem war Tim Walz jenseits von Minnesota noch ein Nobody. Doch nun hat US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris den Gouverneur des Bundesstaats im Mittleren Westen zu ihrem Kandidaten für das Vizepräsidentenamt auserkoren. Seinen senkrechten Aufstieg hat der 60-jährige frühere Nationalgardist, Lehrer, Footballtrainer und Abgeordnete nicht zuletzt einem Schlagwort zu verdanken, das er in den vergangenen Wochen mit Riesenerfolg in die Wahlkampagne gegen Donald Trump eingeführt hat: "weird".
Das Attribut bedeutet "seltsam" oder "merkwürdig" und wird von Walz auf Trump wie auch dessen Vize-Kandidaten J.D. Vance angewendet. Es ist nicht so verunglimpfend wie die von Trump permanent verbreiteten Beschimpfungen, stempelt die republikanischen Rivalen aber zu Figuren mit schrägen und realitätsfernen Ansichten – und damit zu Lachnummern.Kommentar Kamala 08.14
Walz machte es vor – und "weird" ist seither zu der Bezeichnung geworden, die Vizepräsidentin Harris und andere Vertreter ihrer Partei permanent auf Trump und Vance anwenden. Mit dem griffigen Attribut hat Walz seine für die Harris-Kampagne wertvolle Fähigkeit bewiesen, einfach und schlagkräftig zu formulieren – in Worten, die den Zugang auch zu Wählern ohne akademische Bildung erschließen.
Als weißer älterer Mann soll Walz die Komplementärfigur zu Harris sein, die als erste Frau, Schwarze und Person asiatischer Herkunft der US-Geschichte das Präsidentenamt übernehmen könnte. Mit dem Gouverneur von Minnesota hat sie also eine strategische Wahl getroffen, mit der sie die Attraktivität ihrer Kampagne über die Kernklientel der Demokraten hinaus erweitern will.
So soll Walz der Vizepräsidentin dabei helfen, solche Wählergruppen zu überzeugen, in denen die Demokraten oft als abgehoben und elitär gelten. Und als Repräsentant des Mittleren Westens soll er dazu beitragen, für den Wahlausgang womöglich entscheidende "Swing States" seiner Region zu gewinnen.
Zwar gehört das traditionell die Demokraten favorisierende Minnesota selbst nicht zum Kreis jener Bundesstaaten, in denen sie akut eine Niederlage bei der Wahl im November befürchten müssen. Aber Harris setzt darauf, dass Walz viele Wähler in anderen Mittelweststaaten wie Wisconsin und Michigan ansprechen kann, die zum engeren Kreis der bei der Wahl auf der Kippe stehenden Bundesstaaten gezählt werden.
Die wechselvolle Vita des zweifachen Vaters weist ihn als Mann mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen aus, der alles andere als abgehoben ist. Walz wuchs in einer Kleinstadt im ländlich geprägten und ebenfalls zum Mittleren Westen gehörenden Bundesstaat Nebraska auf. Sein Vater war Verwalter einer öffentlichen Schule und starb an Krebs, als Walz 19 Jahre alt war.
Schon als 17-Jähriger schrieb er sich bei der Nationalgarde ein, von der er im Laufe seiner insgesamt 24-jährigen Zugehörigkeit an die unterschiedlichsten Orte entsandt wurde, unter anderem in die Arktis. 1989 machte er einen Abschluss in Sozialwissenschaften an einer Hochschule in Nebraska.
Als Lehrer war Walz unter anderem in einem Indigenen-Reservat im Bundesstaat South Dakota und – im Rahmen eines Programms der Harvard-Universität – in China tätig. Seine Ehefrau Gwen lernte er in seinem Heimatstaat Nebraska kennen. Sie heirateten 1994 und zogen später in Gwens Heimatstaat Minnesota, wo die beiden an derselben High School als Lehrer arbeiteten und er auch als Footballtrainer tätig war.
Kamala Harris' mögliche Vizekandidaten 19:11
Erst in der Mitte seiner Laufbahn wechselte Walz in die Politik: 2006 wurde er in das Repräsentantenhaus in Washington gewählt, 2018 dann zum Gouverneur von Minnesota. In seinem politischen Profil verbindet sich das volksnahe Auftreten und die klare Sprache mit linken inhaltlichen Positionen.
Als Gouverneur setzte er sich etwa für die Bereitstellung kostenloser Schulmahlzeiten, den Schutz des Rechts auf Abtreibung, die Stärkung des Wahlrechts, den Ausbau erneuerbarer Energien, Steuersenkungen für die Mittelschicht und die Ausweitung des bezahlten Urlaubs für Arbeitnehmer in Minnesota ein.
Seine Haltung zu Waffen hat sich im Laufe der Jahre verändert. "Ich bin ein Veteran, ein Jäger und ein Waffenbesitzer. Aber ich bin auch ein Vater. Und viele Jahre lang war ich Lehrer", schrieb er Ende Juli auf der Plattform X. Waffengesetze seien keine Bedrohung seiner Rechte. "Es geht darum, unsere Kinder zu schützen."
"Wir haben dieselben Werte. Wir glauben, wir können den Mittleren Westen gewinnen", sagte Walz bereits vor zwei Wochen über Harris. Nachdem er dann am Dienstag von ihr als Vizekandidat rekrutiert war, zeigte er sich aufgeregt: "Es erinnert mich ein bisschen an den ersten Schultag", bekannte er im Onlinedienst X – und fügte sogleich kämpferisch mit Blick auf die Wahlkampagne hinzu: "Nun lasst uns das erledigen, Leute!"