Wurde bei der Eröffnungsshow der Olympischen Spiele wirklich Jesus Christus verhöhnt? Nein. Und dass der Vatikan die tatsächliche Symbolik nicht erkennt, ist der eigentliche Skandal.
Bei Minute 3:04:52 der Olympia-Eröffnung wechselt die Kamera also auf DJ Barbara Butch, die auch als lesbische Aktivistin bekannt ist und sich für Body Positivity einsetzt. Sie hat ihre Hände zu einem Herz geformt und trägt einen güldenen Strahlenkranz im Haar. Dann zieht die Kamera das Bild auf. Drag Queens und Performer stehen um sie herum und bewegen sich tänzerisch zu Figuren.
Das ist also der große Skandal bei der Eröffnungsparade der Olympischen Spiele von Paris?
Die Ansicht, die nun zur großen Schande von Paris stilisiert wird, ist nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen. Man muss schnell sein, um diesen Screenshot zu bekommen. Angeblich soll diese bunte Truppe an das "Letzte Abendmahl" Leonardo Da Vincis erinnern. Man sollte sich vielleicht eher über die Verfasstheit der Bischöfe und Rechtspopulisten Sorgen machen, die in dieser Szenerie den christlichen Heiland mit seinen Jüngern erblickt zu haben glauben.
Olympia Paris Eröffnungsfeier 2.37
Bereits im Programm war zu lesen, was hier tatsächlich als Inspiration diente: "Götter des Olymps". Diese und nur diese Assoziation ergibt im Zusammenhang mit Olympia Sinn. Spätestens als Chansonnier Philippe Katerine als blauer Dionysos verkleidet vor dem Ensemble liegend sein "Tous Nu" anstimmt, eine ironische Hymne an die Nacktheit, wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, sich wieder abzuregen.
Hätte Thomas Jolly, der 42-Jährige Regisseur des Spektakels, vorgehabt, sich eine der Schlüsselszenen der Passionsgeschichte vorzuknöpfen, hätte er das weltberühmte Gemälde vielleicht ein bisschen akkurater nachgestellt, etwa mit 12 statt 15 Menschen als Jünger. Auch der Strahlenkranz mit Swarovski-Kristallen und integriertem Kopfhörer, den DJ Barbara Butch in ihrer Frisur trägt, ist kein schlüssiger Hinweis, wurden schließlich auch Kunstgott Apollon, oder gar Buddha lange vor Leonardos Wirken mit einer solchen Gloriole ausgestattet. Jesus Christus auf Da Vincis Gemälde hingegen nicht.
Kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele von Paris hatte Papst Franziskus I. noch auf Twitter ausgelobt, die Olympischen Spiele mögen helfen, die Menschen zusammenzubringen und Grenzen abzubauen. Eigentlich genau das, was auch Jolly nach eigenem Bekunden vorhatte: "Eine Botschaft der Liebe und der Inklusion." Kurienerzbischof Vincenzo Paglia, Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, wetterte bereits am Folgetag, er habe "eine blasphemische Verhöhnung eines der heiligsten Momente des Christentums" erkannt, die Kollegen von der französischen Bischofskonferenz beklagten "Maßlosigkeit und Provokation".
Die berüchtigte Internationale aller üblichen Verdächtigen ließ nicht lange auf sich warten. Elon Musk beklagte noch während der Zeremonie auf seiner Plattform X, das Dargebotene sei "extrem respektlos gegenüber Christen", Ex-Präsident Trump wollte "satanische Drag Queens" erblickt haben. Die Sprecherin des russischen Kremls witterte eine "LGBT-Verschwörung", Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, dass sich die "metaphysischen Bande zu Gott, zum Vaterland und zur Familie" in Frankreich gelöst hätten, Le Pen-Nichte Marion Maréchal meint, "Linksaktivisten, haben die Zeremonie ideologisch als Geisel genommen, und zu einer internationalen Schande" gemacht. Aus Deutschland meldete sich AfD-Sittenwächterin Beatrix von Storch zu Wort: "Erst dieser Haufen Transen und dann die Verhöhnung der gesamten Christenheit" schreibt sie auf X, im eigenen Titelbild den Schriftzug "Woke", mit den fünf olympischen Ringen als "o".
Wer je in Paris war, die dortige weltberühmte Fashion-Szene kennt, in den Clubs der französischen Metropole feiern war, weiß um die Bedeutung von Crossdressern und Drags. Sie laufen seit jeher über die Catwalks und tanzen nicht nur durch die Diskotheken, sondern auch durch die französische und damit auch die europäische Kunstgeschichte. All dies aus dem Eröffnungs-Spektakel auszusparen, wäre Verrat am französischen Kulturgut.
Selbst wenn Regisseur Thomas Jolly, der nun in den sozialen Medien mit homophoben und auch antisemitischen Beschimpfungen überzogen wird, auf das berühmte Gemälde Leonardo da Vincis Bezug genommen hätte, wäre die Aufregung unangebracht. Ein Bild aus der Werkstatt Leonardo da Vincis ist keine Reliquie, die Komposition dieses mitunter bekanntesten Motivs der Kunstgeschichte nachzuahmen, kommt keinesfalls der Verspottung des Sakraments der heiligen Kommunion gleich.
Es wurde immer wieder zitiert, von großen Modemarken wie Marithé and François Girbaud oder Otto Kern, von VW, von Künstlern wie Slavadore Dali, David La Chapelle oder Andy Warhol, außerdem hängt in jeder zweiten Pizzeria eine lustige Version des Motivs mit Hollywoodstars, Marilyn Monroe übrigens in der Tischmitte, wobei da Vinci als der Erlöser Platz genommen hatte. Dass dies möglich ist, gehört übrigens auch zu einem wichtigen Erbe des Kontinents, das in Frankreich seinen Ausgang nahm: der Aufklärung.
Das Christentum ist in der Tat in Gefahr. Weltweit nimmt laut Weltverfolgungsindex die Christenverfolgung zu, allein 2023 wurden an die 5000 Christen aufgrund ihres Religionsbekenntnisses ermordet. Darüber sollte man sprechen. Und auch die zentralen Lehren des Jesus von Nazareth scheinen nicht viel Anklang ausgerechnet bei denen zu finden, die sich jetzt lautstark als Verteidiger der Christenheit aufpudeln. Wer die Welt mit Hass überzieht, wie im konkreten Fall gegen die Performer der Olympia-Eröffnung hetzt, ist alles mögliche, aber kein guter Christ.