Tausende Fans feiern auf der Hamburger Reeperbahn eine EM-Party. Dann fallen Schüsse. Ein Video zeigt dramatische Szenen.
Dass etwas geschehen ist, ist schon im Umfeld der Reeperbahn zu sehen. Unzählige Kleinbusse von Landes- und Bundespolizei stehen auf dem Hamburger Kiez, mit hintereinandergeparkten Wagen ist die Zufahrt zu der weltberühmten Amüsiermeile abgesperrt. Ein Hubschrauber kreist über dem Stadtteil St. Pauli.
Rund um dem Tatort, an der Ecke Reeperbahn/Silbersackstraße haben Polizeibeamte Gitter aufgestellt – niemand kommt durch. Denn kurz zuvor sind Schüsse gefallen, am Tag des EM-Spiels zwischen den Niederlanden und Polen einige Kilometer nordwestlich im Hamburger Volksparkstadion.
Es müssen sich dramatische Szenen abgespielt haben, so schildert es Polizeisprecherin Sandra Levgrün im Gespräch mit dem stern."Gegen 12.30 Uhr ist ein Mann mit einer Hacke und einem Molotowcocktail aus einem Lokal und auf Passanten zugelaufen", sagt die Beamtin. "Polizeibeamte haben dann von der Schusswaffe Gebrauch gemacht." Der Angreifer sei in ein Krankenhaus gekommen. Weitere Verletzte gebe es nicht.
Tausende niederländische Fans feierten zum Zeitpunkt des Vorfalls auf der Reeperbahn, zogen an dem Dönerimbiss "Do Mundo" vorbei, sangen, schwenkten Fahnen, freuten sich auf das Duell mit Polen. Viel von ihnen dürften auf dem Weg zum offiziellen Fanfest einen Kilometer weiter am anderen Ende der Reeperbahn gewesen sein. Ein Großaufgebot der Polizei begleitete den Fanmarsch – und hat womöglich Schlimmeres verhindert.FS Hamburg Reeperbahn Angriff 14.45
Er habe den Angreifer aus der Tür treten sehen, sagt ein Zeuge später, und noch"Waffe!" gerufen. Ein Video der Sekunden danach konnte der stern einsehen. Sofort bildet sich vor der Menschenmasse ein schützender Ring aus Polizisten, der dunkel gekleidete Angreifer geht auf die Beamten zu. In der linken Hand eine Flasche, aus deren Hals ein Lappen hängt, in der rechten augenscheinlich ein Hammer, wie ihn Dachdecker zum Zerkleinern von Schieferplatten nutzen. Die Beamten weichen nicht zurück, ziehen ihre Waffen. Auch Zivilfahnder mit gezückten Pistolen nähern sich dem bewaffneten Mann. Dann fallen Schüsse, der Mann geht in der Slibersackstraße zu Boden. Die Gefahr ist vorbei.
Es seien zuerst mehrere Warnschüsse abgegeben worden, heißt es am Tatort. Alles weitere müssten die Ermittlungen zeigen. "So eine Situation wünscht sich kein Polizeibeamter und keine Polizeibeamtin", sagt Behördensprecherin Levgrün. Routinemäßig ermittle in Hamburg nun auch das Dezernat für Interne Ermittlungen, um zu prüfen, ob der Einsatz der Schusswaffe rechtmäßig war.
Doch viel mehr bewegt die Umstehenden an diesem Sonntagnachmittag die Frage, was hinter der Attacke steckt. Zeugen wollen Rufe des Mannes gehört haben, als dieser das Lokal verließ, sagt Levgrün. "Aber sie haben nicht einmal die Sprache erkennen können." Hinweise auf ein Motiv haben die Ermittler in den Stunden nach dem Angriff noch nicht. Möglicherweise sei der Mann psychisch krank, heißt es. Ob es einen Bezug zur Fußball-EM gibt, sei noch vollkommen unklar. Auch zur Identität des Mannes kann die Polizei vorerst keine Angaben machen.Angriff St. Pauli 13.05
Die meisten der feiernden Fußballfans hätten von dem Vorfall nichts mitbekommen. "Es herrschte Partystimmung, es war ausgelassen, es war laut", sagt Polizeisprecherin Levgrün. Erst als immer mehr Polizeikräfte zum Tatort gekommen seien, habe sich etwas Unruhe breitgemacht. Von Panik sei aber keine Spur gewesen.
Trotz der verhinderten Attacke auf der Reeperbahn – von einer erhöhten Gefährdung für das Vorrundenspiel im Volkspark und das Fanfest auf dem Heiligengeistfeld geht die Polizei nicht aus. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ohnehin denkbar hoch.
Rund um den Tatort geht schon kurz nach den Schüssen das Leben weiter: In den Kneipen läuft die Vorberichterstattung zum EM-Spiel, die Zapfhähne sind im Dauerbetrieb. Niederländische und polnische Fans freuen sich auf ein Fußballfest. Dass sich kurz zuvor nur wenige Meter entfernt dramatische Szenen abgespielt haben, hat sich zwar rumgesprochen, aber Angst herrscht nicht auf dem Kiez. "Es ist so viel Polizei hier", sagt ein in Orange gekleideter Fan zum stern. "Wir feiern weiter."
Inzwischen hat sich der Himmel über Hamburg zugezogen, es regnet. Fernsehreporterinnen und -reporter aus aller Welt berichten von der Reeperbahn über den Zwischenfall am Rande des EM-Spiels. Hinter ihnen hat die Polizei die Silbersackstraße weiterhin abgesperrt. Auf der Fahrbahn liegen der Rucksack und der Schieferhammer des Angreifers im Regen. In 30 Minuten ist Anpfiff im Hamburger Volksparkstadion. Am Abend werden sie hier auf der Reeperbahn wieder feiern, die Fans aus Polen und den Niederlanden. Und auch die Polizei wird da sein.