TikTok ist das meistgenutzte soziale Netzwerk – in den USA steht es nun vor dem Verbot. Auch im besten Fall wird sich die App dadurch drastisch verändern.
Ob für Modetipps, die neuesten Social-Hypes, ob Politik oder schnelle Unterhaltung: An TikTok führt für die jüngeren Generationen kein Weg vorbei. Doch auf die Fans der Hype-App kommen harte Zeiten zu. Denn TikTok, wie wir es kennen, dürfte demnächst der Vergangenheit angehören. Spätestens in einem Jahr wird es soweit sein.
Neun Monate hat TikTok-Betreiber Bytedance Zeit, sein US-Geschäft aus dem Dienst herauszulösen und es zu verkaufen, so will es ein gerade verabschiedetes Gesetz. Sollte es "ernsthafte" Kaufverhandlungen geben, sieht das Gesetz eine Fristerweiterung um noch einmal drei Monate vor. Dann muss TikTok amerikanisch sein – oder es wird dort verboten. Die Folgen dürften auch die europäischen Nutzer spüren und zwar unabhängig davon, ob die App verkauft oder verboten wird.
Mit knapp 150 Millionen Nutzern stellen die Amerikaner die mit Abstand größte Nutzergruppe von TikTok weltweit. Wird das Gesetz umgesetzt, fällt aber nicht nur die größte Nutzergruppe weg – sondern auch die im Westen kulturell einflussreichste. Für die übrigen Nutzer ist dabei fast egal, ob die Plattform verkauft oder gleich ganz verboten wird: Den Zugang zum US-TikTok verlieren sie ohnehin.
Das wird drastisch die Dynamik der Plattform verändern. Mit wenigen Ausnahmen stammen fast alle der meistgefolgten Accounts aus den USA. Trends, Memes und kulturelle Phänomene entstehen oft zuerst im englischsprachigen US-TikTok, verbreiten sich dann um den Globus. Ein Verlust der amerikanischen Nutzer würde daher nicht nur die Größe, sondern auch die kulturelle Vielfalt der Plattform einschränken. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Phänomene nicht mehr entstehen. So wie jetzt wird das neue TikTok aber sicher nicht sein.
Eine der spannendsten Fragen dürfte sein, wie die Influencer mit der Entwicklung umgehen. Auch sie müssen sich auf Änderungen gefasst machen – auf beiden Seiten der digitalen Mauer. Schließlich verlieren auch die US-Influencer Unmengen an Follower, selbst wenn der Extremfall eines Verbots nicht eintritt. Sollten die Einschnitte zu harsch sein, dürften sich diese Nutzer deshalb nach Alternativen umsehen – und ihre Millionen Follower mit ihnen. Das könnte zu einer Abwanderung von Nutzern zu anderen Plattformen führen, auf denen diese Influencer aktiv sind. Konkurrenten wie Instagram dürften bereits in den Startlöchern stehen, um die wichtigsten Akteure zum Wechsel zu bewegen.
Ob es dazu kommt, hängt aber auch von der konkreten Umsetzung des Verbotes ab. Laut der "New York Times" erklärt der Gesetzesentwurf lediglich, dass die App nicht mehr über iPhone und Android verbreitet werden darf. Dass sie auch aktiv von bereits genutzten Geräten entfernt wird, sieht er nicht vor. Das hieße aber: Wer die App in den USA bereits installiert hat, kann sie einfach weiternutzen – auch nach einem Verbot. Inwieweit sich die Inhalte dann durch Werbung und Kooperationen zu Geld machen lassen, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Auch Updates würde es keine mehr geben. Irgendwann wäre die App dann vermutlich nicht mehr nutzbar.
Ungeklärt ist auch die Frage nach dem Herzstück der App. Durch seinen ausgefeilten Algorithmus kann TikTok so gut wie keine andere App die Interessen der Nutzer identifizieren und ihnen dann passende neue Inhalte anzeigen. Ein erfolgreicher Verkauf müsste also auch den Algorithmus enthalten. Ob Bytedance den aber herausgeben will, steht auf einem anderen Blatt.
Das Gesetz wurde gerade erst im Repräsentatenhaus bestätigt, muss nun von Präsident Joe Biden unterschrieben werden, der allerdings bereits Zustimmung angekündigt hat. Bytedance kündigte schon vor der Unterschrift rechtliche Schritte an: Das Gesetz schränke die Redefreiheit der Nutzer:innen ein, argumentiert die Firma. Die Chancen stehen gar nicht so schlecht, berichten verschiedene US-Medien.
Doch auch wenn Bytedance verlieren sollte, ist noch vieles offen – etwa, wer die App eigentlich kaufen soll. Zwar sind mit Microsoft, Meta oder Apple große Namen im Gespräch, ob die sich aber nach Microsofts gescheitertem Kauf-Versuch 2020 wirklich daran versuchen wollen, weiß keiner. Microsoft-Chef Satya Nadella nannte den gescheiterten Kauf in einem Interview "das Merkwürdigste, an dem ich je gearbeitet habe". Viele weitere Interessenten dürften zwar das Kapital – im Raum stehen Summen bis zu 40 Milliarden Euro – beschaffen können. Ob sie den Betrieb dann wuppen könnten, ist aber ein ganz anderes Thema.
Und dann ist da noch die Frage, ob der Verkauf überhaupt von anderer Seite erlaubt wird. Weil der Algorithmus aus China stammt, könnte Peking den Export der Software auch einfach untersagen. Dann könnte man vielleicht die App und ihre Nutzerbasis übernehmen, der echte Grund für den Erfolg bliebe den Käufern aber verwehrt.
Ob die USA am Ende glücklicher sind, muss sich zeigen. Den Amerikanern geht es bei dem Gesetz um nicht weniger als die nationale Sicherheit. TikTok ist selbst im Vergleich zu Datenstaubsaugern wie Facebook extrem neugierig, wertet alle Daten über die Nutzer aus. Dass die App nicht von einem amerikanischen, sondern einem chinesischen Unternehmen betrieben wird, lässt beim Erzrivalen dann noch mehr die Alarmglocken schrillen.
Dabei geht es ganz konkret um die Angst vor der chinesischen Regierung. "Auch wenn unsere Social-Media-Plattformen in ihrer Reaktion auf ausländische Beeinflussungsoperationen holperten, gab es nie irgendwelche Bedenken, dass sie auf Anweisung ausländischer Gegner operieren", sagte etwa der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Mark Warner, vor der Abstimmung. "Das kann ich von TikTok nicht behaupten."
Ob das Ziel des Datenschutzes mit einem Verkauf erreicht wird, zweifeln einige Experten sogar an. "Wenn die Chinesen die Daten der Amerikaner wollen, brauchen sie dafür TikTok nicht", erklärte etwa Rechtsprofessor Alan Z. Rozenshtein bei "Lawfare". Weil die Daten dort quasi frei gehandelt werden, könne man sie auch einfach einkaufen. Statt eines Verbots würde ein Datenschutzgesetz wie die DSGVO das Schnüffel-Problem viel besser lösen, glauben viele Experten deshalb. Dass die EU gleichzeitig selbst mit der Plattform hadert und etwa den Suchtfaktor eines neuen TikTok-Features untersuchen will (hier erfahren Sie mehr), erscheint da fast als Randnotiz.
Quellen: Weißes Haus, New York Times, CNN, Wired, Reuters, Plattformer, Lawfare
