Im Jahr 1967 kam der berühmte Film „Die Reifeprüfung“ in die Kinos, der nicht nur Dustin Hoffmann weltberühmt machte, sondern der Welt ebenso den ganz fantastischen Song „Mrs. Robinson“ von Simon & Garfunkel schenkte. Zu einer „Reifeprüfung“ wurde im Vorfeld die Partie beider Borussias stilisiert, natürlich medial einmal mehr arg eindimensional in Richtung der falschen Borussia aus Dortmund gedreht, eine Woche nach einem am Ende glücklichen Punktgewinn gegen den FC Bayern. Immerhin, so der Eindruck vor dem Spiel, wurde das Auswärtsspiel an der wunderschönen Hennes-Weisweiler-Allee als sportliche Herausforderung in Dortmund angesehen.
Nach dem leistungsgerechten 1:1 am Samstagabend können wir festhalten, dass einige Akteure die Reifeprüfung nicht bestanden haben. Da wäre zum einen Nico Schlotterbeck, der nach Spielschluss angefressen ins Mikrofon raunte, dass „ein Verein wie Borussia Dortmund mit einem Remis in Mönchengladbach nicht zufrieden sein“ könne, was nach zuvor lediglich einem Auswärtspunkt in fünf Spielen auf fremden Plätzen eine bemerkenswert realitätsferne wie respektlose Aussage ist.
Zur weiteren Prüfung trat Mönchengladbachs Lieblings-Schiedsrichter Tobias Stieler an. Unvergessen seine aus purer Arroganz und Verblendung ob seiner eigenen Strahlkraft verhängte gelb-rote Karte gegen Alassane Plea in Leipzig. Mindestens zwei Elfmeterpfiffe verwehrte Stieler der Fohlenelf an diesem Abend, was er nach Spielschluss reichlich selbstgefällig am Sky-Tisch mehr schlecht als recht erklärte, dabei noch en passant fallen ließ, dass er „manchmal schon ein ganz gutes Gefühl für Situationen“ habe. Immerhin kennt Fußball-Deutschland nach dem Tritt Ramy Bensebainis auf den Fuß von Joe Scally den Tatbestand des "Unfalls", der, so erfuhren wir weiter, eben nicht elfmeterwürdig zu sein schien.
Was uns zur dritten Reifeprüfung des Abends brachte, die Tomas Cvancara ebenfalls nicht bestand. Der Tscheche, der wenige Tage vorher einen juristischen Streit in seiner alten Heimat gegen einen Journalisten um angeblichen Koks-Konsum gewann, gab dem chronisch peniblen Stieler zwei Steilvorlagen zu zwei gelben Karten binnen einer Minute.
Durchaus bestanden – und das erfreulicherweise immer selbstverständlicher – hat die wahre Borussia diesen Test gegen einen auf dem Papier stärkeren Gegner. Das Spiel wird rückblickend nicht als Highlight in Saison-Rückblicken auftauchen, aber die Wehrhaftigkeit, mit der Gerardo Seoanes Elf inzwischen in diesen Partien auftritt, ist sehr erfreulich und nach den zahllosen blutleeren Auftritten der Vergangenheit explizit zu loben. Die Achse aus Nicolas, Itakura, Weigl, Reitz, Plea und Kleindienst wirkt eingespielter, allzu fatale Fauxpas in der Defensive kommen immer seltener vor, der Gegentorschnitt sank auf eins pro Spiel in den vergangenen sieben Partien, wobei alleine drei Gegentore bei der obligatorischen Auswärtsniederlage in Freiburg zu verschmerzen waren.
Selbst Seoane, in der Vergangenheit oft zurecht wegen taktischer Eindimensionalität kritisiert, scheint inzwischen mit klareren Ideen in die Partien zu gehen. So rutschten Kevin Stöger und Nico Elvedi für Robin Hack und Marvin Friedrich in die Startelf, was Seoane mit taktischen Ideen überraschend offen vor Spielbeginn erklärte. Wie weiter oben erwähnt: Ein fußballerisches Feuerwerk konnten beide Mannschaften nicht entfachen, Fehlpässe dominierten beidseitig die Offensivbemühungen.
Stöger war engagiert, aber auch viel mit Defensivaufgaben beschäftigt und Plea fremdelt mit der Position auf dem linken Flügel, auf den er ausweichen musste. Franck Honorat auf der gegenüberliegenden Seite hatte einen schweren Stand gegen den quirligen Jamie Gittens und den abgezockten Bensebaini.
Eben dieser Gittens, man hatte es von Beginn an irgendwie kommen sehen, durfte Mitte der zweiten Halbzeit mit dem erst zweiten ernstzunehmenden Torschuss der Gäste die sehenswerte Führung für seine Farben erzielen - staunend beobachtet von gleich zwei Gegenspielern (Honorat & Scally). Doch nur wenige Minuten später riss Pascal Groß Tim Kleindienst auf dem Weg zum Tor um, was Schiedsrichter Stieler einmal mehr falsch eingeschätzt hätte, so dass es an diesem Abend erneut eine Prüfung (sic!) brauchte, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun.
Der VAR aus Köln bat Stieler an den Spielfeldrand, der dann nur wenige Augenblicke brauchte, um das klare Foul entsprechend mit Elfmeter zu ahnden, den Stöger sicher zum verdienten Endstand verwandelte. Danach hatten aus Gladbacher Sicht nur noch Robin Hack (an die Latte) und BVB-Stürmer Serhou Guirassy (neben den Pfosten) je eine gute Chance auf einen Siegtreffer.
Abschließen wollen wir an dieser Stelle aber mit einem jungen Mann, der seit Wochen immer reifer auf dem Spielfeld wird: Lukas Ullrich. Schon in Berlin als das größere Talent als sein direkter Konkurrent und Vorgänger aus der Hertha-Akademie, Luca Netz, angesehen, spielt Ullrich inzwischen Woche für Woche mehr als souverän und setzt auch offensiv tolle Akzente. Man darf gespannt sein, ob Seoane weiter an Ullrich festhält, wenn Netz nach seiner Verletzung in den Kader zurückkehrt.
Das Schöne: Ullrich ist erst 20 Jahre jung, genau wie Dustin Hoffmann im eingangs erwähnten US-Film. Ob es weitere Parallelen Ullrichs zur Filmfigur Hoffmans gibt, soll an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. Der Film ist in jedem Fall sehenswert. Da bald die ruhige Weihnachtszeit ansteht, erlaubt sich die Seitenwahl-Redaktion an dieser Stelle einen Filmtipp.