Die altehrwürdigen Riten und Gebräuche innerhalb Seitenwahls gebieten es, dass kein Vorbericht zu einem Gladbachspiel in Augsburg erscheinen darf, der nicht eingehend auf die verheerende Bilanz der Borussia in diesen Auswärtsspielen eingeht. 13-mal reisten die Borussen in der Bundesliga in die schwäbische Enklave innerhalb Bayerns an und konnten dabei nur ein einziges Mal gewinnen. Jener Sieg unter Marco Rose im Jahr 2020 war ähnlich selten wie das Datum, an dem er sich ereignete (29. Februar) und wurde mit drei Niederlagen in Serie in den Folgejahren auch gleich bitter bestraft. Da spricht man dann schon mal ganz gern von einem „Angstgegner“. Neigt man aber nicht zu sehr zum Aberglauben und glaubt auch nicht daran, dass Jakob Fugger dereinst einen Fluch über die Stadt Mönchengladbach verhängt hat (oder war es doch Helmut Haller oder gar Alfons der Viertelvorzwölfte? Die Zeugenaussagen widersprechen sich an dieser Stelle!), so gibt es rein rational betrachtet, eher wenig Anlass dem Spiel in Augsburg am Freitagabend ängstlich entgegenzusehen.
Natürlich ist es etwas verwegen, Optimismus und Zuversicht hauptsächlich aus einem nicht mehr erwarteten Siegtreffer tief in der Nachspielzeit zu ziehen und zugegebenermaßen wäre der Ton dieses Artikels vermutlich ein anderer, wäre das Spiel gegen Union nicht gewonnen worden, aber der späte Sieg gegen die Köpenicker war zwar duselig, aber der Dusel war in den bisherigen Partien auch hart erarbeitet worden. Vier der bisherigen fünf Gegner der Borussia haben in dieser oder der letzten Saison europäisch gespielt (drei sogar in der Champions-League) und trotzdem konnte der VFL alle Spiele über weite Strecken offenhalten und phasenweise sogar dominieren. Erfreulich dabei vor allem, dass man mehrfach nach schlechtem Start (und auch Rückständen) noch ins Spiel fand. Es scheint, als habe die Mannschaft jetzt endlich jene Widerstandsfähigkeit erreicht, von der gewisse gern mit Fremdwörtern herum werfende Ex-Trainer nur geschwafelt haben. Und was man phasenweise offensiv an Kombinations-Fußball vom Team gesehen hat (hier macht sich vor allem die Verpflichtung Stögers bezahlt), gibt Hoffnung, dass die Borussia einem dieses Jahr doch mal wieder etwas mehr Spaß machen könnte. Und selbst die viel (meist zu Recht) gescholtene Defensive hat es immerhin zum zweiten Mal in dieser Saison geschafft, ein Spiel gegentorlos zu halten.
Etwas getrübt wurde die gute Laune nach dem zweiten Saisonsieg durch Verletzungssorgen. Nicht nur stellte sich die Verletzung Franck Honorats als Muskelfaserriss heraus, der noch eine Weile brauchen wird um komplett zu verheilen, sondern bei Honorats Vertreter auf der rechten Außenbahn Ngoumou stellte sich nach dem Spiel am Samstag eine ähnliche Verletzung heraus. Auch wenn viele sich immer noch fragen, warum Borussia jemals 8 Millionen für den Franzosen ausgegeben hat und wie er es zuletzt mehrfach in die Startelf schaffte, schränkt es das Gladbach Offensivspiel schon etwas ein, wenn gleich die beiden schnellsten Spieler im Kader fehlen.
Zum Ende des Union-Spiels bekleidete Thomas Cvancara Ngoumous Position auf der rechten Seite. Wie die Kollegen vom Pfostenbruch in ihrer aktuellen Folge schön herausarbeiteten, kann der Tscheche bei Angriffen von der linken Seite dann auch als zweite Sturmspitze in die Mitte ziehen (was ja auch das Siegtor einbrachte), eine für den Gegner überraschende Variante. Für ein Auswärtsspiel jedoch, wo es auch auf schnelle Konter ankommt, scheint ein Cvancara auf rechts eine eher suboptimale Lösung zu sein. Natürlicher wäre es da, Robin Hack von links auf rechts zu verschieben. Trotz seiner Stammposition ist der Ex-Bielefelder ein Rechtsfuß, wie seine 6 Tore mit rechts im Vorjahr beweisen, sollte also in der Lage sein auch diese Position zu bekleiden. Eine unwahrscheinliche, aber interessante Variante wäre auch Rocco Reitz auf dieser Position einzusetzen. Mit seiner Dynamik und Aggressivität brächte Reitz einige der nötigen Attribute mit. Allerdings ist zu vermuten, dass Seoane Reitz gern weiterhin im Wechselspiel mit Sander auf der Doppelsechs einsetzen möchte, was sich zu einem interessanten Kniff entwickelt hat, bei dem eigentlich keiner der beiden die Nummer Eins ist, sondern der Trainer situationsbedingt (und manchmal auch etwas zufällig erscheinend) einen der beiden in der Startelf bringt, um mit dem anderen dann in der zweiten Hälfte eine etwas andere Dynamik ins Spiel bringen zu können.
Beim Gegner aus Augsburg beginnen schon ziemlich früh in der Saison die Alarmglocken leise zu läuten. Ähnlich wie bei seinem dänischen Landsmann Bo Henriksen in Mainz beginnt nach glanzvollem Einstand auch bei Jess Thorup so langsam der Lack abzublättern. Saisonübergreifend hat der FCA nur eines seiner letzten 10 Spiele gewonnen (gegen Aufsteiger St. Pauli) und 8 davon verloren bei einer Gegentorquote von 2.8 pro Spiel. So gut Thorup es kurzfristig schaffte, das Team wachzurütteln und aus der Abstiegszone zu führen, so scheinen ihm langfristig Ideen zu fehlen, der Mannschaft eine dauerhafte Struktur zu verpassen. Schon die Tatsache, dass die Augsburger in 5 Spielen bereits 6 Gegentore in der ersten Viertelstunde kassieren mussten deutet an, wie sehr es dem Team momentan an Stabilität mangelt. Auch die Hoffnung, die Offensive werde es schon richten (Neuzugang Essende gelangen immerhin schon 2 Treffer) wurde diese Woche durch die Nachricht vom längeren Ausfall des Schweizer Nationalspielers Ruben Vargas arg getrübt. Auf einen angeschlageneren Gegner als die Augsburger könnte die Borussia im Moment also kaum treffen.
Natürlich sehe ich jetzt, wie einige unsere Leser zum Kommentar ansetzen und Word schon nach dem ersten Buchstaben automatisch die Ergänzungen zu den Worten „Aufbaugegner“ und „Murmeltier“ leistet und auch der „Zwei-Siege-in-Folge“-Fluch bleibt natürlich weiterhin aktuell, aber Fakt ist, dass die Borussia am Freitagabend eine große und realistische Chance hat, sich mit einem Sieg vor der Länderspielpause einen schönen Puffer vor den Abtiegsrängen zu verschaffen und vorerst in der Tabellenmitte zu etablieren. Dass das auf dem Platz und vor allem in Augsburg am Ende ganz anders aussehen könnte, sollte natürlich auch jedem bewusst sein.
Seitenwahltipps:
Claus-Dieter Mayer: Ich weiß: da schreibe ich einen wirklich hoffnungsvollen Ausblick auf das Spiel, basierend auf einer rationalen Analyse der Fakten, aber jetzt wo ich einen Tipp abgeben soll, meldet sich das Bauchgefühl (oder System 1 wie Kahnemann es nennt). Und da sagt mir, es ist immer noch ein Auswärtsspiel in Augsburg und es ist immer noch Borussia und auch wenn der Tisch noch so wunderschön gedeckt ist, wird das kein Festmahl. 1:0 für den FCA.
Christian Spoo: Borussia gewinnt nicht zweimal hintereinander. Punkt. Den holen sie aber immerhin. 1:1.
Michael Heinen: Borussia gewinnt endlich mal wieder 2x in Folge, und zwar mit 2:1.
Volkhard Patten: Nach dem 3:1-Sieg ist auch die zweite schwarze Serie Geschichte.
Kevin Schulte: Die Horror-Serie geht weiter, aber auch ein Punkt ist auswärts okay, solange Heimspiele gewonnen werden. Augsburg und die Borussia trennen sich 2:2.
Mike Lukanz: Es wird mal wieder Zeit für ein 0:0 der schlechteren Sorte. Das liefert uns die Partie. Zweimal in Folge zu Null ist auch mehr wert als zwei schnöde Siege in Folge.
Michael Oehm: Gemäß der Saisonprognose müsste Thorup seinen Hintern durch den Heimsieg am Freitag noch einmal retten. Irgendwie glaube ich trotzdem eher an ein 2:2.