Eines hat Tomáš Čvančara schon jetzt sicher: Er reiht sich mit seinem 1:0-Siegtreffer in der Nachspielzeit des Bundesliga-Heimspiels gegen den 1.FC Union Berlin in eine leider nicht allzu lange Liste von Spielern ein, die im gleichen Stadion für ähnlich späte Tore und damit ekstatische Jubelstürme sorgten: Roberto Colautti, Granit Xhaka, Vaclav Sverkos, Manu Koné oder natürlich der ewige Igor de Camargo. Während bei den Vorgenannten jeweils rückblickend klar ist, welche Bedeutung die jeweiligen Tore hatten (tatsächlich oft eine sehr große), wird sich das bei Čvančaras Treffer noch zeigen. Immerhin schreiben wir erst Spieltag 5.
Sicher ist nur eins: Wohlwollend betrachtet könnte dieser Treffer ein weiterer kleiner Hinweis darauf sein, dass die laufende Spielzeit genau diesen Tick erfolgreicher verläuft als die vergangene. Nun neigen Fans qua definitionem freilich dazu, Spielverläufe zu verklären und arg einseitig zu betrachten, gerade retrospektiv. So wird man dieses Spiel schon ab morgen mit diesem Tor in Verbindung bringen, nicht mit den zähen 96 Minuten vorher. Und dennoch: Borussia steht nach fünf Spieltagen mit sechs Punkten irgendwie im Soll dessen, was der Kader gerade hergibt. Die drei Niederlagen kamen gegen Europapokal-Mannschaften zustande, und trotzdem waren in jedem dieser Spiele Punktgewinne möglich. Dass Borussia nun ein solches Kampf- und Krampfspiel wie gegen Union Berlin für sich entscheidet, das sie in den vergangenen Jahren entweder nicht mehr entschieden oder gar verloren hätte, werten wir an dieser Stelle einfach als gute Laune des Fußballgottes und ganz banal als sichtbare Entwicklung der Mannschaft.
So lange alle Fans der Borussia auf den Treffer warten mussten, so schnell sind die rund 96 Minuten vorher erzählt. Trainer Gerardo Seoane entschied sich einmal mehr für Nathan Ngoumou und nicht für Robin Hack, Moritz Nicolas vertrat erneut Jonas Omlin und im Mittelfeld entschied Philipp Sander das Wechselspiel mit Rocco Reitz für sich. Ebenso kehrte Alassane Plea zurück in die Startelf. Die Gäste aus der Hauptstadt, bei denen Ex-Borusse Jordan Siebatcheu in der Startelf begann, taten mit Anpfiff dann exakt das, was Seoane vor dem Spiel in der Pressekonferenz und noch im TV-Interview wenige Minuten vorher prophezeit und irgendwie auch befürchtet hatte: sehr hohes Pressing, aggressives Anlaufen und schnelles Umschalten. Obwohl der eigene Trainer dies hatte kommen sehen, schien seine Mannschaft in den Besprechungen vorher nicht zugehört zu haben, denn Union war in den ersten 20 Minuten die deutlich bessere, weil aggressivere und spielbestimmende Mannschaft, ohne sich - zum Glück - hochkarätige Chancen herauszuspielen. Einzig der umtriebige Benedict Hollerbach traf nach einer Kombination über Gladbachs rechte Abwehrseite das Außennetz von Nicolas' Tor. Dennoch lag ein früher Gegentreffer irgendwie in der Luft, bei Borussias nach wie vor wackliger Defensive ohnehin. Borussia wirkte fahrig, spielte zu viele Fehlpässe und selbst die Aktivposten der vergangenen Wochen, Kevin Stöger und Tim Kleindienst, fanden nicht ins Spiel.
Das änderte sich dann Mitte der ersten Halbzeit ebenso plötzlich wie überraschend. Union zog sich leicht zurück, was Borussia mehr Ballbesitz und ebenso augenscheinlich mehr Sicherheit gab. Viel lief in dieser Phase über Plea, der, obgleich auf dem linken Flügel spielend, sehr viele gute Angriffe initiierte und immer wieder in die Mitte zog. Der weitaus beste dieser Angriff dieser Art, einmal mehr von Plea initiiert, brachte Stöger in Minute 26 in bester Schussposition, doch selbst sein starker linker Fuß half nicht, der Ball strich knapp über die Latte. Zuvor hatte Sander eine gute Schusschance, wirkte nach einer Flanke jedoch überrascht, zum Abschluss gekommen zu sein (17.). In der Folge versuchten sich der insgesamt verbessert zeigende Ngoumou (35.) sowie Plea (42.), doch mit einem in dieser Phase schmeichelhaften 0:0 für Union ging es in die Pause.
An dieser Stelle würden wir gerne über ähnliche Höhepunkte in der zweiten Halbzeit sprechen, doch diese zweiten 45 Minuten glichen einem einzigen Krampf - auf beiden Seiten. Berlins Trainer Bo Svensson hatte in der Halbzeit die Schwachstelle seiner Defensive erkannt und brachte Leopold Querfeld für den jungen Tom Rothe, der bei einigen Gladbacher Angriffen im ersten Abschnitt oft falsch stand und so vor allem Ngoumou und Joe Scally auf rechts häufiger Flanken gestattete. Dieser Wechsel zahlte sich aus Union-Sicht aus, denn fortan war es mit Chancen für Borussia vorbei. Als Seoane gegen Mitte der zweiten Hälfte seine obligatorischen Wechsel vornahm, erlag das Spiel Borussias fast völlig. Auch wenn Stöger nicht seine beste Leistung im neuen Dress zeigte, so wirkte er neben Plea noch am ehesten als der, der etwas Überraschendes kreieren könnte. Und dennoch war es die Einwechslung von Hack für eben Stöger, die letztlich den Unterschied machte. Als sicher viele Borussen schon mit dem Last-Minute-Nackenschlag Unions rechneten oder mindestens frustriert ob eines 0:0, zog Hack eine Flanke vom linken Flügel vors Tor, wo sich Čvančara wuchtig per Kopf durchsetzte und die eingangs erwähnte Ekstase mit seinem Treffer verursachte (90.+6).
Was bleibt, sind ein paar positive Notizen: Borussia hat nicht nur gewonnen und damit einen Fehlstart vermieden, sondern kassierte zudem kein Gegentor. Das ist bei einem - bitte einmal Luft holen - Gegentorschnitt von fast zwei über die letzten vier (!) Saisons eine Erwähnung wert. Gefallen konnte vor allem Ko Itakura, der nicht nur stark im Zweikampf war, sondern auch einige Situation fußballerisch hübsch löste. Sorgen bereiten weiterhin die defensiven Außenbahnen. Man darf zwar nie vergessen, dass Scally tatsächlich immer noch erst 21 ist, dennoch tut es weh zu sehen, wie nahezu jeder Gegner Borussias rechte Abwehrseite als Schwachstelle nicht nur ausmacht, nein, viel schlimmer, auch konsequent ausnutzt. Doch zurück zum Positiven: Die Mannschaft hält inzwischen weitestgehend dagegen, auch in Duellen mit eklig zu bespielenden Gegnern wie Union. Sie tut es nicht konsequent über 90 Minuten, aber die Verbesserung zur Vorsaison ist offensichtlich. Wenn Plea, Stöger oder Hack in guter Form sind, sieht vieles tatsächlich nach schönem Fußball aus. Man kann an dieser Stelle nur hoffen, dass alle drei mal a) zusammen in der Startelf stehen und dann auch b) gemeinsam in guter Form sind. Und zu guter Letzt kann es nicht schaden, wenn auch die Spieler, die zurzeit in der zweiten Reihe stehen wie Čvančara, solche Momente wie heute haben dürfen.
Die nächsten Gegner heißen Augsburg, Heidenheim, Mainz und Bremen. Hoffen wir, dass Seoane mit der Mannschaft zusammen an diesen kleinen Stellschrauben drehen wird, dann sollte eine halbwegs ruhige Saison möglich sein und weiter einige Redaktionskollegen hier bei SEITENWAHL zu lyrischen Ergüssen bewegen: "Schwanne hautse in die Pfanne" hat es zwar heute nicht in die Überschrift geschafft wie intern spontan nach Abpfiff vorgeschlagen, aber ich wollte diesem hübschen Einlass am Ende dennoch die nötige Bühne geben. Das Beste kommt ja oft zum Schluss. Weiß seit heute auch Schwanne Čvančara.