Das Schweizerische Bundesgericht hat am Mittwoch das Rechtsmittel der russischen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa gegen ihre Disqualifizierung durch den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) abgewiesen. Es sah keinen Fehler in der Entscheidung des Schiedsgerichts. Walijewa muss nun die Gerichtskosten zahlen und die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und die Internationale Eislauf-Union für deren Rechtsanwaltskosten und Spesen entschädigen.
In dem Dopingtest der russisch-tatarischen Sportlerin, die mit ihren Auftritten bei der Winterolympiade in Peking die Zuschauer begeisterte, waren im Dezember 2021 Spuren des verbotenen Stoffes Trimetazidin gefunden worden, das unter anderem in Arzneimitteln zur Behandlung der Angina pectoris verwendet wird.
Obwohl in Walijewas Körper die Substanz nur in einer geringen Konzentration nachgewiesen wurde, was laut im Verfahren beteiligter Experten auf lediglich vereinzelten Konsum der Substanz schließen lässt, griffen die Richter in Lausanne mit aller Härte durch: Am 29. Januar 2024 gab der Internationale Sportgerichtshof bekannt, die Eiskunstläuferin auf Antrag der Welt-Anti-Doping-Agentur rückwirkend ab dem 25. Dezember 2021 für vier Jahre zu sperren und alle Ergebnisse nach diesem Datum zu löschen. Dadurch verlor auch das russische Team der Eiskunstläuferinnen ihre Teammedaille, wovon die USA profitierten.
Walijewas Erklärung, sie habe versehentlich aus demselben Glas getrunken wie ihr Großvater, der ein trimetazidinhaltiges Medikament eingenommen hatte, ließ das CAS nicht gelten. Brisant an der Entscheidung des Bundesgerichts in Lausanne ist, dass Mitte September bekannt wurde, dass die WADA bewusst ein die russische Sportlerin entlastendes Gutachten unterdrückt hatte:
Laut den Enthüllungen der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hat Martial Saugy, der ehemalige Leiter des Anti-Doping-Labors, ein Experiment durchgeführt und herausgefunden, dass eine auf einer Tafel zerdrückte Tablette tatsächlich einen positiven Dopingtest verursachen könnte. Damit war die Einlassung der Athletin praktisch erwiesen und sie hätte freigesprochen oder zumindest mit einer geringeren Sanktion bestraft werden müssen.
Nachdem Olivier Niggli, der Generaldirektor der WADA, von dem Experiment erfahren hatte, schrieb er an Günter Younger, den Leiter der Abteilung "Intelligence and Investigations". Die AP zitiert Teile der Korrespondenz wie folgt:
"Günter, wir haben ein großes Problem. Wie kann es sein, dass Saugy eine Stellungnahme über Walijewa abgegeben hat, die ihr äußerst positiv gegenübersteht. Wenn das die Meinung der RUSADA ist, dann sollten wir absolut unbeteiligt bleiben. Mit einer solchen Meinung, die vor Gericht verwendet wird, in Verbindung gebracht zu werden, ist ein sehr großes Problem für uns. Wir müssen das dringend unterbinden."
Letztendlich wurde der Test nie erwähnt und Walijewas Verteidigung vor dem Schiedsgericht für Sport ohne ihn fortgesetzt. Dass der Bundesgerichtshof in Lausanne nun die unübersehbare falsche Verurteilung von Walijewa trotz der Enthüllungen der AP aufrechterhielt, wirft Fragen auf, von welchen sachfremden Erwägungen sich die Richter da leiten ließen.
Erwähnenswert ist, dass WADA und CAS bei Sportlern aller anderen Nationen weitaus abstrusere Erklärungen gelten lassen und die Sportler freisprechen. So durfte die polnische Kanutin Dorota Borowska bei den Olympischen Spielen in Paris antreten, obwohl in ihrem Körper das Dopingmittel Clostebol nachgewiesen worden war. Sie wurde Mitte Juli vorübergehend suspendiert, kehrte aber rechtzeitig in die polnische Olympiamannschaft zurück, nachdem sie dargelegt hatte, dass die verbotene Substanz über ihren Hund in ihren Körper gelangt ist. Das sei geschehen, als sie Verletzungen des Hundes behandelte, so die Erklärung der Sportlerin.
Borowska wurde daraufhin vom Vorwurf des Dopings freigesprochen. Das Urteil hat das Schiedsgericht für Sport in Lausanne rechtzeitig vor dem Start in Paris gefällt.
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