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Nürnberg, 2. Januar 1945 – die vergessene Katastrophe

Von Astrid Sigena

Im Laufe des 02.01.2025 wurde bekannt, dass der frühere Bundesbauminister Oscar Schneider am vorangegangenen Sonntag im gesegneten Alter von 97 Jahren verstorben war. Das Nürnberger Urgestein hatte sich vor allem um die Errichtung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und um die Durchsetzung der Reichstagskuppel in Berlin verdient gemacht. Im Nachruf (hinter Bezahlschranke) des VNP-Chefredakteurs Michael Husarek heißt es außerdem, Schneider hätte sich auch einen Erinnerungsort gewünscht, der "die Zerstörung der Nürnberger Altstadt während des Zweiten Weltkrieges auch für die nächsten Generationen anschaulich darstellen" solle. Er habe damit ein Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung errichten wollen. Nun müsse dieser Plan das Vermächtnis Oscar Schneiders bleiben.

Ganz korrekt ist das nicht, denn es gibt eine Gedenkstätte für die Bombenopfer in Nürnberg, allerdings außerhalb der Altstadt, auf dem Südfriedhof. Dort gibt es auch ein Massengrab für die am 2. Januar 1945 ums Leben gekommenen Nürnberger. Auf dem ebenfalls dort befindlichen, zweiteiligen Glockenturm, der in den Jahren 1957 und 1958 errichtet wurde, ist zu lesen: "Als Mahnung und zum Gedenken an 6.621 Männer, Frauen und Kinder, Opfer des Bombenkrieges und der Kämpfe in der Heimat in den Jahren 1941-1945".

Leider ist dieses imposante Mahnmal in verschiedener Hinsicht ungeeignet: Zum einen wirkt der Doppelturm mit den Glocken abstrakt und unpersönlich. Wenn man nicht wüsste, dass es sich um ein Denkmal für Nürnberger Bombenopfer handeln soll, würde man es ohne zusätzliche Informationstafeln nicht erkennen. Das Leid der Nürnberger Bevölkerung wird nicht dargestellt. Ein weiteres Manko: Es gibt zwar ein Gestell, auf dem der Nürnberger Stadtrat oder der Bürgermeister Kränze befestigen kann – ein Podest jedoch, auf dem die Nürnberger ihre Blumen oder Erinnerungsgaben ablegen könnten, fehlt.

Offensichtlich gilt die Anteilnahme der Bevölkerung als Störfaktor. Wer dennoch Blumen mitbringt, muss sie auf der flachen Steinbasis niederlegen. Was aber diesen Gedenkort hauptsächlich belastet: Die damals zum Bau der Glockentürme verwendeten Steine sollen aus der ehemaligen Nürnberger Synagoge stammen. (Die Nürnberger Synagoge – einst der Stolz eines selbstbewussten, emanzipierten deutschen Judentums – wurde bekanntlich schon im Sommer 1938, vor der "Reichskristallnacht" im November, auf Befehl des selbsternannten "Frankenführers" und berüchtigten Hetzers Julius Streicher abgerissen)Jüdische Stimmen beklagen diese Zweckentfremdung der Steine der einstigen Synagoge. Was für einen Zweck hat aber ein Gedenkort, den nicht alle Teile der städtischen Gesellschaft gleichermaßen bejahen können?

Der 2. Januar 1945 war ein einschneidendes Erlebnis in der Geschichte der Stadt Nürnberg. Man kann das Ausmaß der Zerstörung nur mit der Bombardierung Dresdens und des (damals deutschen) Königsbergs vergleichen, deren spätmittelalterliche beziehungsweise barocke Stadtkerne und Wohnviertel ebenfalls dem "moral bombing" der Briten zum Opfer fielen. Die Nürnberger Innenstadt bestand noch Jahre nach dem Krieg aus einem der ursprünglichen Bebauung beraubten, in Grund und Boden planierten, flachen Gelände mit Trampelpfaden, das im fränkischen Volksmund "Sebalder Steppe" genannt wurde.

Dass Nürnberg einmal bewundernd als "des Reiches Schatzkästlein" bezeichnet worden war, davon war nichts mehr zu sehen. Die Zerstörung war so vollkommen, dass der vor der nationalsozialistischen Verfolgung geflohene Kunstkritiker Alfred Kerr an einen Wiederaufbau der Altstadt nicht glauben konnte und vorschlug, Nürnberg auf einem benachbarten Gelände neu zu erbauen und die Trümmer der Stadt als ein modernes Pompeji zu betrachten. Nur den aus alten Zeiten stammenden, soliden Felsengängen unterhalb der Burg und der frühzeitigen Warnung des Flakfeldwebels Arthur Schöddert (von den Nürnbergern wegen seiner beruhigenden Stimme liebevoll "Onkel Baldrian" genannt) ist es zu verdanken, dass die Zahl der Todesopfer beim Januarangriff "nur" 1.800 Menschen betrug, nicht Zehntausende wie in Dresden.

Man sollte meinen, dass dieses wohl schlimmste Ereignis in der neueren Stadtgeschichte zum 80. Jahrestag in Nürnberg würdig begangen würde. Mit Ausstellungen, Wettbewerben mit Schüleraufsätzen oder Zeichnungen, Theaterstücken, Interviews mit den letzten Zeitzeugen, vielleicht sogar mit einem Kongress zum Thema. Stattdessen wird die Bombardierung Nürnbergs nahezu totgeschwiegen. Man tat nur das, was man aus Pietätsgründen nicht unbedingt vermeiden konnte: eine Kranzniederlegung um 12 Uhr mittags am Glockenturm, Glockenläuten um 19:20 Uhr (der Zeitpunkt des Angriffs) und abends dann – wie schon in den Vorjahren – einen "Weg des Friedens" mit Abschlussgottesdienst in Sankt Sebaldus, wo "aller Opfer des Krieges" gedacht werden sollte und "Menschen mit aktuellen Kriegserfahrungen zu Wort kommen" sollten.

Man merkt die Absicht, vom eigentlichen Anlass des Gedenkens abzulenken. Warum? Weil es peinlich ist, dass es die heutigen NATO-Verbündeten USA und Großbritannien waren, die Nürnberg zerstört haben? Weil man angesichts wieder aufkommender Forderungen nach erneuter "Kriegstüchtigkeit" nicht wahrnehmen möchte, wie sehr der Krieg auch die nicht an Kampfhandlungen beteiligte Zivilbevölkerung leiden lässt? Passen die Toten von Nürnberg nicht mehr zur Zeitenwende?

Ach ja, ein Nürnberger Förderverein "Felsengänge e. V. – Nürnberger Unterwelten" bot wie jedes Jahr Führungen anlässlich der Katastrophe des 2. Januar an. Thema der Führung war jedoch – ausweislich der Veranstaltungsankündigung ‒ "Menschenraub und Kunstraub", also der Raub von Kunstwerken aus den besetzten Gebieten und die Verschleppung von Menschen als Zwangsarbeiter in das von den Nationalsozialisten beherrschte Deutschland. Wichtige Themen, gewiss, auch Themen, über die viele Deutsche noch zu wenig wissen – aber auch sie führen weg vom eigentlichen Anlass.

In den regionalen und überregionalen Medien war der 80. Jahrestag der Bombardierung Nürnbergs kein großes Ereignis. Das örtliche VNP-Medienhaus (Verlag Nürnberger Presse) brachte zwar Online-Beiträge (hinter Bezahlschranke), aber der jahrelang vorhandene, bis in den Dezember 2024 noch verfügbare Zeitraffer der Bombardierung in Form eines Newstickers mit vielen wertvollen Zeitzeugenberichten ist jetzt hinter der Meldung "404 – Liveblog not found" verloren gegangen.

Auch die Nürnberger Politiker übten sich weitgehend in Stillschweigen. Zwar postete der Nürnberger Bürgermeister Marcus König einen Beitrag des Nürnberger Stadtarchivs auf Facebook, aber auffallend war vor allem das mediale Schweigen einer bedeutenden Nürnberger Persönlichkeit: Der wohl bekannteste Sohn der Stadt, der stets medienaffine bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der sonst jedes Bratwürstlein in die Kamera hält, das er zu vertilgen geruht – sei es in Nürnberg, Warschau oder Prag –, fand diesmal keine Worte zur Vernichtung seiner Heimat. Hat ihm etwa die harsche Kritik an seinem Warschauer Kniefall die Lust am Gedenken genommen? Immerhin, am Gedenkmarsch in Nürnberg soll er teilgenommen haben.

Ansonsten finden sich noch ein Post des SPD-Stadtrats Thorsten Brehm und ein Beitrag der Nürnberger AfD-Landtagsabgeordneten Elena Roon auf X, der dazu aufruft, angesichts der Leidensgeschichte der Opfer nunmehr Frieden und Heimat zu bewahren. Auch ihr Fraktionskollege Matthias Vogler gedenkt auf Facebook der Bombardierung Nürnbergs. Und Michael Ziegler, der Kulturpolitische Sprecher der SPD im Stadtrat, freut sich, wie schön das Pilatushaus wieder aufgebaut wurde.

Es ist nun nicht so, als ob es in Nürnberg überhaupt keine positiven Entwicklungen gäbe. Der Verein der Altstadtfreunde widmet sich mit viel Herzblut der Bewahrung und dem Wiederaufbau ererbter Nürnberger Bausubstanz. Auch Nürnberger Privatleute beklagen durchaus den Verlust der romantischen, mittelalterlichen Altstadt. Es wäre eine Aufgabe der Stadt und der bayerischen Landesregierung, dieses Engagement für ein würdigeres Gedenken an den 2. Januar 1945 zu bündeln.

Nürnberg hat in den vergangenen Jahren viel getan, um seine unrühmliche Vergangenheit als Stadt des "Frankenführers", als Stadt der Reichsparteitage aufzuarbeiten. Das Memorium Nürnberger Prozesse und das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände sind Beispiele dafür. Es wird Zeit, dass die selbsternannte Stadt des Friedens und der Menschenrechte auch der eigenen Mitbürger gedenkt, die dem Racheexzess der Angelsachsen zum Opfer gefallen sind.

Mehr zum Thema ‒ Besucheransturm auf Soldatenfriedhof Halbe nach Polizeieinsatz – Grabkerzen erneut aufgestellt

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