Lange flog Nick Woltemade in der Bundesliga unter dem Radar. Beim VfB Stuttgart entwickelt er sich nun zu einer Schlüsselfigur. Wie kam es zur Leistungsexplosion des Stürmers?
Ohne Nerven zu zeigen, lief Nick Woltemade bei seinem Elfmeter im Auswärtsspiel gegen Heidenheim am Wochenende an – und verwandelte trocken in die Mitte zum 3:1-Endstand. Als hätte er beim VfB Stuttgart nie etwas anderes gemacht. Dabei war es sein Liga-Startelfdebüt für die Schwaben.
Während vor wenigen Wochen noch keiner von Nick Woltemade sprach, ist er auf einmal das Bindeglied in der Offensive der Stuttgarter. Nachdem Deniz Undav sich verletzt hatte, fehlte Trainer Sebastian Hoeneß ein weiterer Topstürmer neben Ermedin Demirović. In Woltemade hat er ihn gefunden.
Die Bilanz des 22-Jährigen aus den letzten zwei Ligaspielen lässt sich sehen: Drei Tore, eine Vorlage. Der ohnehin große Stürmer (1,98 Meter) befindet sich auf einem Höhenflug. Beim VfB ist er der Überraschungsspieler der bisherigen Saison.
Nur einer ahnte schon lange, was in ihm schlummert. Lothar Matthäus habe schon von Woltemade geschwärmt, als er in Bremen noch als Joker für die letzten Minuten diente – das erzählte Sport-Kommentator Wolff-Christoph Fuss, der regelmäßig mit Matthäus zusammenarbeitet, im Sky-Podcast "Glanzparade". "Und als Stuttgart den holte, sagte er zu mir – expressis verbis: Da haben sie eine Granate verpflichtet", so Fuss.
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Nach Matthäus ist nun auch Wolff-Christoph Fuss Fan von Woltemade geworden und vergleicht ihn mit einer englischen Fußballlegende: "Er hat sowas Peter-Crouch-artiges." Genauso wie Crouch sei Woltemade ein "Schlaks", aber "trotzdem technisch beschlagen, sehr geschmeidig, relativ schnell." Nicht umsonst lautete einer seiner Spitznamen in Bremen "Crouchie".
Woltemade ist aber nicht die erste Überraschung, die der VfB Stuttgart aus dem Hut zaubert. Seit der letzten Saison machen die Verantwortlichen des Vereins generell einiges richtig. Beispiele für Durchstarter, die vorher keiner – außer vielleicht Lothar Matthäus – auf dem Zettel hatte, gibt es in Stuttgart zuhauf: Deniz Undav, Chris Führich, Enzo Millot. Und allen voran Serhou Guirassy, der in der letzten Saison die Bundesliga kurz und klein schoss (39 Tore in 50 Spielen).
Dass Spieler wie Guirassy und jetzt Woltemade in Stuttgart auf einmal funktionieren, spricht für die Transferpolitik der Schwaben – und für Trainer Sebastian Hoeneß. Der 42-Jährige versteht es, Spieler nach ihren Stärken einzusetzen und ins System einzufügen. So auch Nick Woltemade.
Bei Werder Bremen durchlief Woltemade sämtliche Nachwuchsteams des Leistungszentrums und reifte zum Profi. Dabei lernte er auch, geduldiger zu sein. "Wenn es nicht lief, konnte ich richtig sauer werden, und es sind immer mal Tränen geflossen", erzählte Woltemade im Interview mit Werder. "Ich war sehr ehrgeizig. Heute bin ich eher in mich gekehrt, mache vieles mit mir aus."
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Woltemade ist ein echter "Bremer Jung". Es wäre die perfekte Geschichte gewesen: eine Bundesliga-Karriere beim Verein in seiner Geburtsstadt. Das trieft beinahe vor Fußball-Romantik. Aber es kam bekanntlich anders. Woltemade wollte mehr, fühlte sich in Bremen nicht immer wertgeschätzt – und zog weiter zum VfB.
In Stuttgart bekommt Woltemade nun diese Wertschätzung: "Ich hatte ehrlich gesagt schon die ganze Zeit ein gutes Gefühl. Es wurde sehr gut mit mir gearbeitet", sagte Woltemade nach dem Heidenheim-Spiel am "Dazn"-Mikrofon. "Ich wusste, dass nur der Moment kommen muss, dass ich auf dem Platz stehen kann und das Vertrauen des Trainerteams bekomme."
Anders als in Bremen, wo er sein erstes Bundesligator erst nach 39 Einsätzen erzielte, brauchte Woltemade bei den Stuttgartern nicht lange, um sich einzugewöhnen. Dass Woltemade erst nach seinem Abgang aus Bremen groß aufspielt, nehmen manche Werder-Fans mit Humor. "Woltemade seitdem er nicht mehr für Werder spielt", heißt es in einem Post, der den jungen Rudi Völler im Trikot der Grün-Weißen zeigt – mit Woltemades Gesicht.
Der Vergleich zwischen Völler in seinen besten Zeiten und Woltemade wird in letzter Zeit häufig herangezogen. Wegen des Talents der beiden – aber auch aufgrund der strubbeligen Langhaar-Frisur. Unter Woltemades letztem Instagram-Post schrieb Teamkollege Chris Führich etwa: "Es gibt nur .." – eine Anspielung auf den Text eines berühmten Schlagersongs: "Es gibt nur einen Rudi Völler". In Stuttgart gilt das offenbar auch für Nick Woltemade.
Wenn Woltemade beim VfB weiterhin überzeugt, könnte er in Hoeneß' Team langfristig eine wichtige Rolle übernehmen. Sein Vertrag läuft bis 2028. Für die Schwaben ist Woltemade also eine Personalie mit Zukunft. Sämtliche U-Nationalmannschaften hat der 22-Jährige bereits durchlaufen. Womöglich ist er irgendwann auch eine Option für Bundestrainer Julian Nagelsmann.