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Syrien: Türkei unterstützt Milizen gegen Kurden – was hat Erdoğan vor?

Verbündete der Türkei greifen die Kurden in Syrien an. Erdoğan verfolgt dort zwei große Ziele. Doch kann er beide gleichzeitig erreichen? Syriens früherer Diktator Baschar al-Assad war kaum gestürzt, da schlugen die von der Türkei gesteuerten Milizionäre zu: Im Norden Syriens nahm die "Syrische Nationale Armee" (SNA) die Stadt Manbidsch ein, die zuvor jahrelang unter kurdischer Kontrolle gestanden hatte. Rund 70.000 Menschen leben dort. In Syrien sind seit dem Machtwechsel laut UN 100.000 Menschen allein in den Nordosten vertrieben worden. Die islamistischen Rebellen der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) sind zwar eine Terrororganisation. Doch sie sollen bei ihrer Blitzoffensive mit der Zivilbevölkerung verhältnismäßig schonend umgegangen sein. Kurdische Kämpfer, die den Flughafen in Aleppo besetzt hatten, brachten sie durch Verhandlungen zum Abzug. Die von Erdoğan gesteuerte SNA geht offenbar deutlich brutaler vor. Die Städte, die sie erobert hatte, hinterließ sie verwüstet. Derzeit flöhen Tausende von Menschen aus Angst vor der SNA aus der nordsyrischen Grenzstadt Kobane, berichtete die französische Zeitung "Le Monde" am Donnerstag und bezog sich auf Berichte von Rebellen. Diese erklärten demnach, was die SNA dort mache, sei nichts Geringeres als die "Vernichtung der Kurden". Zudem flog die türkische Luftwaffe Angaben der US-amerikanischen Denkfabrik "Foundation for Defense of Democracies" (FDD) zufolge Luftangriffe gegen kurdische Milizen. Eine türkische Drohne hätte etwa elf Mitglieder einer Familie getötet, darunter sechs Kinder. Am Mittwoch wollen die von Kurden angeführten Kräfte im Nordosten Syriens nun einen Waffenstillstand mit pro-türkischen Kämpfern vereinbart haben. Die kurdischen Kämpfer zogen sich aus Manbidsch zurück. Erstes Ziel: die kurdischen Kräfte zurückdrängen Die Türkei will die Kurdenmilizen bis östlich des Flusses Euphrat drängen, möglicherweise für einen weiteren Vormarsch bis zur syrisch-kurdischen Grenzstadt Kobane. Die Türkei hat seit 2016 mehrere Offensiven in Syrien durchgeführt und kontrolliert bereits Gebiete im Norden. Das Ziel des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan: ein 30 Kilometer langer "Sicherheitskorridor" auf der syrischen Seite der Grenze. Die Kurden will er von der Grenze wegdrängen. Denn die Türkei sieht in der kurdischen Miliz YPG einen Ableger der verbotenen PKK, die sie für schwere Anschläge in der Türkei verantwortlich macht. "Die Türkei wird vorbeugende Maßnahmen gegen alle Terrororganisationen ergreifen, die in Syrien operieren und eine Bedrohung für die Türkei darstellen", sagte Erdoğan nach einem Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken in Ankara . Dabei gehe es vor allem um die YPG und die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Sinan Ciddi, Türkeiexperte bei der Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies (FDD), sagt dazu: "Erdoğan stellt dies im Rahmen der Terrorismusbekämpfung dar. Doch es ist ein Trick, um sein Ansehen bei den Wählern im Inland zu stärken." Sein Kollege Seth J. Fantzman fügt hinzu: "Die Angriffe der SNA zeigen einmal mehr, wie die Türkei die Situation in Syrien ausnutzt." Dies sei katastrophal für die Zivilbevölkerung, es gebe eine "schreckliche Bilanz an Menschenrechtsverletzungen". Erdoğans zweites Ziel: Stabilität Das Chaos in Syrien nutzt Erdoğan nun offenbar, um seine Macht zu sichern. Und bislang scheint das aufzugehen. Die Türkei gilt nach dem Machtwechsel in Syrien als einflussreichster ausländischer Akteur. Die Türkei scheint zwar keine direkte Kontrolle über die islamistische Gruppe HTS haben, aber soll ihr deutlich gemacht haben, was sie will: einen friedlichen Übergang und ein neues, inklusives Syrien. Denn das brächte Erdoğan entscheidende strategische Vorteile. Sollte es in Syrien sicher genug werden, könnten viele der drei Millionen syrischen Geflüchteten, die in der Türkei leben, dorthin zurückkehren. Das könnte Erdoğan innenpolitisch stark nützen. Denn auch, wenn die Türkei mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat als jedes andere Land: Deren Akzeptanz ist in der türkischen Bevölkerung gesunken, seit türkische Nationalisten vermehrt Stimmung gegen sie machen. Erdoğan selbst kündigte noch am Montag die Öffnung eines seit 2013 geschlossenen Grenzpostens an der Grenze zu Syrien an. Hunderte waren nach Assads Flucht dorthin geströmt, um in ihr Heimatland zurückzukehren. "Der starke Wind des Wandels in Syrien wird allen Syrern, insbesondere den Flüchtlingen, zugutekommen", erklärte Erdoğan. "In dem Maße, in dem Syrien an Stabilität gewinnt, wird die freiwillige Rückkehr zunehmen." Nicht zuletzt erhofft sich Erdoğan wohl auch wirtschaftliche Vorteile von einer ruhigen Situation in Syrien und guten Beziehungen zur neuen Regierung: Türkische Bauunternehmen könnten beim Wiederaufbau des Landes eine Schlüsselrolle einnehmen. An der Istanbuler Börse steigen deren Aktien bereits. Am Ende könnte alles von den USA abhängen Ruhige Zustände in Syrien und ein Sieg gegen die Kurden – diese Ziele könnten sich widersprechen. Denn türkisch unterstützte Milizen hinterlassen derzeit wohl genau das Gegenteil von Stabilität. Ob Erdoğan beides schaffen kann, könnte vor anderem von einer entscheidenden Frage abhängen: Wird die Türkei die nächste US-Regierung überzeugen, dass sie den iranischen Einfluss in Syrien effektiv eindämmen kann? Denn für die USA ist die kurdische Miliz YPG ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Noch rund 900 US-Soldaten sind in Ostsyrien stationiert, um die Region zu stabilisieren. Würden die USA die Türkei als Partner in Syrien akzeptieren, könnten sie ihre Unterstützung der YPG herunterschrauben. Dann hätte Erdoğan wohl alles erreicht.

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