Frankreichs Regierungschef Michel Barnier ist nur noch auf Abruf im Amt: Die Nationalversammlung werde am Mittwoch über die beiden inzwischen eingereichten Misstrauensanträge abstimmen, hieß es am Dienstag in Parlamentskreisen. Da die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) erklärt hat, für den Antrag der linken Opposition zu stimmen, scheint der Sturz der Regierung sicher. Regierungschef Barnier will sich am Dienstagabend um 20.00 Uhr in einer TV-Ansprache an das Land wenden.
Gegen die Regierung zu stimmen, sei "leider unsere einzige Möglichkeit, die uns die Verfassung gibt, um die Franzosen vor einem gefährlichen, ungerechten und bestrafenden Haushalt zu schützen", betonte RN-Fraktionschefin Marine Le Pen am Dienstag im Onlinedienst X. Am Vortag hatte sie Präsident Emmanuel Macron vorgeworfen, für die politische Krise verantwortlich zu sein, und ihm den Rücktritt nahegelegt.
Barnier hatte den Weg zu dem Misstrauensantrag geebnet, indem er am Vortag erstmals auf den Verfassungsartikel 49.3 zurückgegriffen hatte. Dieser erlaubt eine Verabschiedung ohne Abstimmung in der Nationalversammlung, wenn die Regierung ein anschließendes Misstrauensvotum übersteht.
Haushaltsminister Laurent Saint-Martin warf Le Pen vor, keine sachlichen Gründe für den Misstrauensantrag vorzubringen. "Abgeordnete beider Extreme wollen einen Text zensieren, der auf einem parlamentarischen Kompromiss beruht", sagte Saint-Martin dem Sender RTL. Er verwies darauf, dass der Gesetzesentwurf von einem Vermittlungsausschuss ausgehandelt worden war.
"Es ist klar, dass diejenigen, die den Misstrauensantrag stellen, nur einen politischen Vorwand suchen und nicht am Dialog interessiert sind", erklärte er. Tatsächlich war die Regierung zuvor bereits auf mehrere Forderungen des RN eingegangen. Kurz vor der Debatte in der Nationalversammlung am Dienstag hatte Barnier den Verzicht auf höhere Zuzahlungen für Medikamente angekündigt und damit einer Forderung des RN entsprochen.
Wirtschaftminister Antoine Armand warnte davor, dass ein Sturz der Regierung das Land in Gefahr bringe. "Wenn morgen die Zinsen steigen, wenn es den Franzosen an das Ersparte geht und die Einkommenssteuer steigt - wer ist dann dafür verantwortlich?", fragte er rhetorisch mit Blick auf die Opposition. Das Land befinde sich an einem "Wendepunkt".
Barnier hatte die Verknüpfung des Sozialhaushalts mit der Vertrauensfrage damit begründet, dass "der Dialog am Ende" sei. "Wir haben den entscheidenden Moment erreicht, der jeden vor seine Verantwortung stellt", hatte Barnier gesagt. Es sei an den Abgeordneten zu entscheiden, ob sie das Land mit "verantwortungsvollen und notwendigen Finanzgesetzen" ausstatten oder "ob wir in unbekanntes Terrain eintreten".
Links- und Rechtspopulisten reichten umgehend Misstrauensanträge ein, die am Mittwoch ab 16.00 Uhr debattiert werden. Voraussichtlich wird über den Antrag der Linkspopulisten zuerst abgestimmt. Mit einem Ergebnis wird am Abend gerechnet. Wenn die Rechtspopulisten ihn wie angekündigt unterstützen, wäre die Regierung damit gestürzt. Sie bliebe geschäftsführend im Amt, bis Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine neue Regierung einsetzt.
Macron ist derzeit auf einem dreitägigen Staatsbesuch in Saudi-Arabien und hat die Lage in der Heimat noch nicht öffentlich kommentiert. Er wird am Mittwoch zurück in Paris erwartet.