Der ideale Zeitpunkt, der ideale Weg, das ideale Bild – damit gliedert die FDP im sogenannten "D-Day"-Papier den Ausstieg aus der Ampel. Nun wurde das Papier öffentlich.
Ein von der FDP selbst veröffentlichtes Papier bringt die Partei in Erklärungsnot. Überschrieben ist es mit: "D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen". Entstanden ist es vor dem Ampel-Aus, vorbereiten soll es aber wohl genau das. Haben die Liberalen gezielt den Koalitionsbruch vorbereitet?
Die "Süddeutschen Zeitung" und die "Zeit" hatten im Vorfeld Recherchen zu dem Papier veröffentlicht, das Nachrichtenportal "Table.Briefings" berichtete am Donnerstag über die vorliegende Präsentation. In einem Interview bei RTL/ntv hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai Mitte November noch bestritten, den Begriff "D-Day" benutzt zu haben. Doch in der Präsentation die am Donnerstagabend auf der Homepage der Partei veröffentlicht wurde, ist der Begriff zentral.
Zum Hintergrund: Am sogenannten "D-Day", den 6. Juni 1944, begann die Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. Auch deshalb wurde der Begriff im FDP-Papier in den vergangenen Wochen vielfach kritisiert.
Nun unterscheiden sich die Lesarten ganz wesentlich.
In der Kanzlerpartei äußerte sich als einer der Ersten SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. Er forderte eine Entschuldigung von FDP-Chef Lindner und sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND): "Solch ein verantwortungsloses Handeln zerstört das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Institutionen". Der Begriff "D-Day" und weitere Kriegsrhetorik sei zynisch.
Parteichef Lars Klingbeil sagte bei X, vormals Twitter, es sei gut, dass "langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein eigenes Bild machen können".
Angriffslustiger äußerte sich der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, ebenfalls via X. Er nennt den ehemaligen Koalitionspartner einen "Totalausfall", spricht von "Charakterlosigkeit", und dem gezielten Bruch von Verträgen und Vereinbarungen.
Auch die Grünen reagieren auf das veröffentlichte Papier. Fraktionschefin Britta Haßelmann kritisierte bei X das "Mackergehabe" der FDP: "Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen."
Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang ärgerte sich über die Kriegsrhetorik und meinte, wer Zerstörung zum eigenen Nutzen herbeiführen wolle, solle keine politische Verantwortung tragen.
Lang zeigte sich aber auch humorvoll und schrieb zu einem Bild der sogenannten "D-Day-Ablaufpyramide": "Wie ich plane, meinen Mann von einem Hund zu überzeugen".
Die Partei, um die es geht, wurde augenscheinlich bei einer Lüge ertappt. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bestreitet das bis jetzt. Das Papier sei auf Ebene der Mitarbeitenden entstanden, sagte er der Zeitung "Welt": "Niemand aus der Führung der FDP kannte das Papier". Einen Grund zurückzutreten, sehe er nicht.
Warum die Partei das Papier am Ende selbst veröffentlichte? Aus "Transparenzgründen", so die FDP am Donnerstag in sozialen Netzwerken. "Wenn die gesamte deutsche Medienlandschaft zu diesem Zeitpunkt bereits über das Ende der Ampel spekulierte, dann ist es nur professionell, sich auf diese Option einzustellen", heißt es von Djir-Sarai weiter. Das erklärt jedoch nicht, wieso im verbreiteten Papier zum Beispiel von einem "avisierten Ausstieg" mit gezieltem Datum rund um die US-Wahl Anfang November die Rede ist.
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Wolfgang Kubicki, selbst kein großer Fan der Ampel, sagte bei X, die Empörung sei albern: "Ich habe immer offen kommuniziert, dass die Koalition keine Existenzberechtigung hat, wenn sie nicht die Kraft findet, die drängenden Probleme zu lösen."
Bundestagsmitglied Max Mordhorst lobte seine Partei. Er sei positiv beeindruckt, teilte er bei X, "wie professionell man sich im Maschinenraum auf mögliche Enden der unbeliebtesten Bundesregierung aller Zeiten eingestellt hat. Da kann man Worte unpassend finden, in der Sache sollte man viel öfter so klug agieren."
Einzig Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann zeigte sich selbstkritisch. Sie sei bei dem Treffen zur mutmaßlichen Vorbereitung des Ampel-Bruchs nicht dabei gewesen. Sich auf einen möglichen Ausstieg vorzubereiten sei richtig, doch die "Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar": "Jetzt ist ausschließlich Selbstkritik und Aufarbeitung gefragt".
Eingeleitet worden war der Bruch der Ampel-Koalition durch ein 18-seitiges Wirtschaftspapier der FDP, dass der stern veröffentlichte. Kurz danach entließ Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Finanzminister Christian Lindner und die weiteren FDP-Minister, bis auf Volker Wissing. Was folgte, war der Kampf um die Deutungshoheit.
Quellen: FDP, X, mit Informationen der Nachrichtenagentur DPA