„Das riesige Gesicht verschwand fast unter der zotteligen, bereits ergrauten Haarmähne und seinem wuchernden Bart, aber die Augen waren immer noch sichtbar und glitzerten unter all den Haaren, wie zwei große schwarze Käfer.“ So sieht der Leser der Harry-Potter-Bücher Hagrid, den Hüter der magischen Geschöpfe und Förster der Hogwarts-Schule. Der Satz aus dem Roman von J. K. Rowling beschreibt haargenau einen Mann, den die MDZ inmitten von Wäldern und Feldern im Moskauer Umland traf.
Der russische Hagrid lebt im Dorf Ogarkowo, 80 Kilometer westlich von Moskau. Hier gibt es kein Gas und wird es auch nicht geben, denn hier sind nur drei Personen gemeldet. Es gibt keine Busse, Yandex schlägt vor, von Moskau aus mit dem Zug nach Istra, dann mit dem Bus ins Dorf Sagorje zu fahren und von dort aus 4 Kilometer zu Fuß nach Ogarkowo zu gehen. Aber hier gibt es wunderschöne Natur, einzigartige Pflanzen, die an anderen Orten nicht wachsen, und den Geist der alten Zeiten – das Dorf wurde erstmals 1624 urkundlich erwähnt. Sogar die Ruinen des vorrevolutionären Landguts Ogarkowo sind hier erhalten geblieben.
Nicht weit davon entfernt hat der russische Hagrid seine „Hütte“. In der Garage steht ein fliegendes Motorrad, es gibt ein Portal zur magischen Welt, eine Peitschenweide und viele andere Dinge, die Hagrid von „Harry Potter“ hat. Aber ich verrate ein Geheimnis: Alle wundersamen Harry-Potter-Dinge hat der Russe vor etwa sechs Jahren erworben. Damals fand er heraus, dass ein Märchen über ihn als Förster des verbotenen Waldes geschrieben worden war und erkannte, dass er Rubeus Hagrid war. Er begann, jungen Zauberern zu helfen, ihre Flügel auszubreiten und keine Angst vor Fehlern zu haben, sie zu lehren, böse Wesen mit gutem Essen und Liebe zu zähmen. Also half er ihnen, in die Märchenwelt einzutauchen. In moderner Sprache ausgedrückt, begann er, Harry-Potter-Workshops und Themenfeste für Kinder zu organisieren. Und all dies, um das hier ansässige Zentrum für traditionelle Kunst und Handwerk Russlands „Sen“ zu erhalten.
Alexander Biletzki (60) gründete es in den frühen 2000er Jahren. Damals beschloss der Absolvent der philosophischen Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität, von der Hauptstadt aufs Land zu ziehen. Er verbrachte viel Zeit damit, einen Ort auszuwählen, bis er sich zufällig in Ogarkowo wiederfand. Er hielt hier an, um ein Glas Wasser zu trinken, sprach mit den alten Leuten vor Ort, und es stellte sich heraus, dass sie gerade ein Haus verkauften. Biletzki kaufte es und baute es um. Ein paar Jahre später verkaufte er seine Wohnung in Moskau. Er sagt, er habe das getan, „um sich den Weg zurück in die Stadt abzuschneiden“. Aber es gab noch einen anderen Grund: Er brauchte dringend Geld für den Aufbau des Zentrums für traditionelle russische Kunst und Handwerk.
„In unserem Land gibt es keine Gesetze, um Handwerker wie mich und meine Frau zu unterstützen: Ich mache Axtarchitektur, von uns gibt es nur 20 bis 30 in Russland, meine Frau Marina macht alte russische Stickerei“, sagt Alexander Biletzki bei einer Tasse Tee. „Es gibt keine Beamten, die solche Meister zertifizieren können. Und wenn sie sie nicht zertifizieren können, können sie ihnen auch keinen Status verleihen“.
Wir sitzen in einem Holzhaus, in dem Alexander alles mit seinen Händen gemacht hat. Der Förster ist Tischler in 14. Generation. Alle ältesten Söhne in seiner Familie väterlicherseits waren Tischler, und jeder von ihnen hat eine Kirche der Himmelfahrt des Herrn gebaut. Und Alexander errichtete auch seine eigene Himmelfahrtskirche – im Dorf Kojdinowo in der Region Twer. Dieser Auftrag gab ihm in den 2000er Jahren Mittel für die Entwicklung des Handwerkszentrums.
Hierher nach Ogarkowo kommen Frauen, die die alte russische Stickerei üben. Das ist eine sehr komplizierte Technik. Das Bild sieht dann aus, als wäre es lebendig. Solche Bilder zu sticken, dauert oft jahrelang und dient nicht dem Gelderwerb. Es ist eine Arbeit, die von Gebeten begleitet wird, ein Geschenk an Gott. Hierher kommen auch Meister, die töpfern, Kokoschniks herstellen und russische Sarafane nähen. Alexander selbst unterrichtet diejenigen, die die Holzbearbeitung mit der Axt erlernen wollen.
„Wir beschäftigen uns mit etwas, das heute niemand braucht“, sagt er. „Nun, wer braucht schon die altrussische Tischlerei? Ein bekannter Tischler von mir unterrichtet an einer Handwerksschule. Er bildet jedes Jahr fünf Restauratoren aus. Aber das ist alles nur der Form halber. Denn niemand kauft Baumstämme für ihre Ausbildung. Diese Kunst kann nur individuell und mit Gottes Hilfe bewahrt werden“.
Bevor Biletzki die Feierlichkeiten zum Thema „Harry Potter“ organisierte, holte er sich den Segen seines Bischofs. „Ich habe ihm erklärt, dass das Harry-Potter-Märchen ein christliches Märchen ist, in dem es um Nächstenliebe, Selbstaufopferung und Barmherzigkeit geht“, sagt der Tischler. „Wir bringen den Kindern bei, Tassen aus Ton zu formen, Spielzeug aus Holz zu schnitzen, also mit ihren eigenen Händen zu zaubern. So leben wir dank des Märchens und mit Gottes Hilfe“.
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Olga Silantjewa
Запись Zu Besuch beim russischen Hagrid aus „Harry Potter“ впервые появилась Moskauer Deutsche Zeitung.