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Migration: Warum Zurückweisungen an den Grenzen so umstritten sind

Beim heutigen Migrationsgipfel soll es vor allem um Zurückweisungen an den Grenzen gehen. Vieles ist noch unklar – ein Überblick. An diesem Nachmittag werden sich erneut Vertreter der Ampel, Union und Bundesländer treffen, um über die Migrationspolitik zu beraten. Ein Kernpunkt dabei sind die Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen. Die Union fordert das, die rechtliche Lage ist heikel und die bisherigen Aussagen von Innenministerin Nancy Faeser dazu lassen viel Raum für Spekulation. Ein Überblick: Worum geht es beim Streit zwischen Union und Ampel? CDU-Chef Friedrich Merz hatte der Ampel vergangene Woche ein Ultimatum gestellt: Wenn es einen weiteren gemeinsamen Migrationsgipfel geben solle, dann müssten Zurückweisungen an der Grenze Teil des Pakets sein. Innenministerin Nancy Faeser teilte schließlich am Montag mit, dass sie Grenzkontrollen an allen Außengrenzen Deutschlands anordnen und es dabei zu einer "massiven Ausweitung der Zurückweisungen" kommen werde. Die Kontrollen sollen ab dem 16. September zusätzlich an den Grenzen zu Frankreich , Luxemburg , den Niederlanden, Belgien und Dänemark möglich sein. Im Süden und im Osten ist dies bereits seit längerer Zeit möglich. Zudem sollen die Kontrollen intensiviert werden. Alleine das könnte dafür sorgen, dass mehr Menschen zurückgewiesen werden. Mehr dazu lesen Sie hier. Die Union forderte daraufhin, dass dies schriftlich festgehalten werde. Am Dienstagmorgen wurde bekannt, dass die Union ihre Teilnahme zusagte. Schriftlich habe Faeser zwar nichts vorgelegt, teilte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten, Thorsten Frei (CDU), mit. Faeser habe ihm aber mündlich etwas gesagt, was nun dazu geführt habe, dass man an dem Treffen teilnehme. Aus dem Innenministerium gab es dazu keine Reaktion. Wie wird die Forderung nach Zurückweisung begründet? Generell gilt in der EU die Dublin-Verordnung: Sie sieht vor, dass Asylsuchende in dem ersten EU-Staat, den sie betreten, Asyl beantragen müssen. Die sogenannte Ersteinreise nach Deutschland ist nicht möglich: Wer Deutschland über eine Landgrenze betritt, muss vorher bereits in einem EU-Staat gewesen sein. Darauf wies etwa FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hin. Es werde Zeit, dass das Dublin-System auch an den deutschen Grenzen wieder konsequente Anwendung finde, sagte er der "Rheinischen Post". Ausnahmen von der Dublin-Regel gibt es etwa für Minderjährige oder bei Familienzusammenführungen. Die Union fordert, dass für die Zurückweisungen an der Grenze eine Notlage ausgerufen wird. Denn aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion befindet sich das Land in einer Ausnahmesituation: "Die seit zwei Jahren andauernde Migrationskrise hat zu einer völligen Überlastung unserer Aufnahme- und Integrationskapazitäten geführt", sagte Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) der dpa. Wie sehen SPD und Grüne das? Faeser hatte am Montag offen gelassen, wer genau und auf welcher Grundlage an der Grenze abgewiesen werden soll. Das solle an diesem Dienstag bei dem Treffen zwischen Union, Ampel und Vertretern der Bundesländer besprochen werden, hieß es. Wie der "Tagesspiegel" kurz vor dem Treffen berichtete, wolle Faeser die Notlage nicht anwenden. Das Innenministerium habe die Möglichkeit geprüft, aber sei zu dem Schluss gekommen, dass das keinen Bestand vor dem Europäischen Gerichtshof habe. Ein Ausschnitt des Prüfungsberichts kursierte in Berlin und liegt t-online vor. Dort wird der Weg, die pauschalen Zurückweisungen mit Verweis auf die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" zu begründen, als überaus heikel eingeschätzt. Mehr dazu lesen Sie hier. Ähnlich verlautete es auch in grünen Regierungskreisen, wie t-online erfuhr. Nach der Prüfung im Innenministerium sei klar, dass die Vorschläge von Merz "europarechtskonform eindeutig nicht machbar" seien, hieß es von dort. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte t-online dazu, dass die Ausrufung einer nationalen Notlage an hohe rechtliche Hürden gebunden sei. "Wir können nicht einfach europäisches Recht aushebeln, weil uns gerade danach ist." Wiese weist darauf hin, dass neben dem Bund auch die Bundesländer klarstellen müssten, dass ihre öffentliche Ordnung schwerwiegend gefährdet sei. "Ich möchte sehen, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärt, dass der Freistaat Bayern die innere Sicherheit nicht mehr aufrechterhalten kann." Wie lautet der Status quo? Bereits jetzt führt die Bundespolizei an einigen Grenzen – während der Fußball-Europameisterschaft und der Olympischen Spiele im Sommer sogar an allen – Kontrollen durch und weist Menschen zurück. Im ersten Halbjahr 2024 etwa wies die Bundespolizei mehr als die Hälfte der illegal eingereisten Menschen zurück, bei mehr als 42.000 festgestellten unerlaubten Einreisen. Das geht aus einer Anfrage der Linken an die Bundesregierung hervor. Die Zurückweisungen werden derzeit dann durchgeführt, wenn jemand beispielsweise mit einer Einreisesperre belegt ist. Wenn ein Ausländer sich in einem anderen EU-Staat in einem Asylverfahren befindet, genießt er in der Regel die Reisefreizügigkeit in der EU nicht und darf nicht nach Deutschland einreisen. In der aktuellen Debatte aber geht es nun darum, wie mehr Menschen abgewiesen werden können – und wie man mit den Menschen umgeht, die irregulär nach Deutschland einreisen, um hier Asyl zu beantragen. Auf welcher Grundlage lehnt Österreich den Vorstoß ab? Kaum waren in Deutschland die Forderungen nach Zurückweisung laut geworden, hielt Österreich dagegen. "Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Da gibt es keinen Spielraum!", sagte Innenminister Gerhard Karner der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Er habe die Bundespolizei angewiesen, "keine Übernahmen durchzuführen". Karners Begründung: Wer an der Grenze einen Asylantrag stelle, dürfe nicht einfach so zurückgewiesen werden. Denn auch das sieht die Dublin-Verordnung vor. Zurückweisungen sind nicht ohne Weiteres möglich, wenn jemand um Asyl bittet. Es muss stattdessen formell geprüft werden, welcher Staat für das Asylverfahren der betreffenden Person nach Dublin-Regeln zuständig ist. Sollte sich dann ergeben, dass ein anderer Staat verantwortlich ist, muss ein Verfahren eingeleitet werden: Deutschland stellt ein Übernahmegesuch, der betreffende Staat muss zustimmen. Dann hat Deutschland in der Regel sechs Monate Zeit, die Person zu überstellen. Verstreicht die Frist, ist Deutschland offiziell zuständig. Was sagen Experten? Unter Experten gehen die Meinungen auseinander, ob und inwiefern die Rechtslage dazu eindeutig ist. Ex-Verfassungsrichter Peter Huber vertritt in einem Gastbeitrag für die "FAZ" die Auffassung, dass Zurückweisungen von Asylbewerbern zulässig seien. Seine Argumentation: Wenn das Dublin-System funktionieren würde, dürfte es in Deutschland praktisch keine Asylbewerber geben – was offensichtlich nicht stimme. Das System leide deswegen unter einem "strukturellen Vollzugsdefizit", was es nichtig mache. Dadurch werde die deutsche Regel über sichere Drittstaaten anwendbar. Auf diesen Paragrafen 18 des Asylgesetzes beruft sich auch Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier. Anders sieht es der Völkerrechtler Daniel Thym von der Universität Konstanz . Er argumentiert wie auch andere Juristen, dass nach der Dublin-Verordnung keine Zurückweisungen von Asylsuchenden erlaubt sind. Das liege unter anderem daran, dass Grenzkontrollen nicht gleichsam auf der Grenzlinie stattfinden, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. "Faktisch ist das meist irgendwo mehrere Meter hinter der Grenze." Die Person ist in dem Moment der Kontrolle bereits eingereist. Es müsse ein kurzes Verfahren durchgeführt werden, mit erkennungsdienstlicher Behandlung und Befragung. Dem schließt sich auch der Rat für Migration an, ein Zusammenschluss von etwa 200 Migrationsforschern aus dem deutschsprachigen Raum: "Aus der geltenden Gesetzeslage ergibt sich unzweifelhaft, dass eine Zurückweisung von schutzsuchenden Personen rechtswidrig ist." Ausweg: Notlage ausrufen? Allerdings, so Thym, könne sich Deutschland auf eine Ausnahmeregel der EU-Verträge berufen und eine Notlage ausrufen – was die Union auch fordert. Er weist darauf hin, dass nicht feststehe, ob diese Argumentation die EU-Richter überzeuge und ob das deutsche Verhalten als verhältnismäßig eingestuft wird. "Eine definitive Rechtssicherheit kann Ihnen hier niemand geben." Die Politik müsse also im Bewusstsein entscheiden, dass die Rechtmäßigkeit nicht endgültig feststehe. Der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus prognostiziert in der "Rheinischen Post", dass Deutschland das rechtliche Risiko wohl nicht eingehen werde. "Das kann und wird die Bundesregierung nicht machen, denn das würde zu einem rechtlichen Chaos in Europa führen", sagte er. "Wenn man wegen dieser Situation jetzt das EU-Recht aushebelt, dann bricht das dem Rechtssystem in Europa das Genick, weit über dieses Thema hinaus."

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