Die Wahlen in Sachsen und Thüringen sind für die SPD ein Denkzettel. Die Genossen müssen sich jetzt endlich bewusst werden: Mit Olaf Scholz werden sie wohl keine Wahlen mehr gewinnen. 7,3 Prozent in Sachsen, 6,2 Prozent in Thüringen – dieses Ergebnis ist für die SPD ein Alarmsignal. Zumal für eine Kanzlerpartei, die ansonsten gerne ihren Anspruch betont, auch im Osten Deutschlands Volkspartei sein zu wollen. Da bringt es auch wenig, wie jetzt von der Parteispitze zu hören ist, auf die historisch schwache Verankerung der SPD im Osten zu verweisen. Ja, in Sachsen gab es für die Sozialdemokraten seit der Wende nie viel zu holen. Aber schon für Thüringen stimmt der Befund nicht mehr, denn dort gab es noch bis in die 00er-Jahre satte zweistellige Ergebnisse. Den jetzigen Wahlausgang mit der komplizierten Ausgangslage zu entschuldigen, hilft also niemandem weiter, ebenso wenig wie eine isolierte Betrachtung der jetzigen Ergebnisse. Sicher, es war noch Schlimmeres befürchtet worden – der Rauswurf aus dem Landtag. Aber auch wenn sogar eine Regierungsbeteiligung in beiden Bundesländern möglich scheint: Nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass die SPD ihrem Anspruch schon lange nicht mehr gerecht wird. Unheilvolle Zeitschleife Denn die Ergebnisse der Wahlen in Sachsen und Thüringen sind nur die letzten Beispiele einer langen Liste von Wahlniederlagen, die zwar nicht erst mit der Kanzlerschaft von Olaf Scholz begonnen, sich seither aber verlängert hat. Die SPD hat den Großteil der Wahlen seit Amtsantritt von Olaf Scholz verloren oder blieb unter ihren Erwartungen. Ausnahmen, wie im Saarland oder in Bremen , bestätigen hier nur diese bittere Erkenntnis. Die SPD lebt seit Ende 2021 in einer unheilvollen Zeitschleife, bei der sie immer wieder dasselbe Trauma erlebt: Die Menschen gehen an die Urnen und strafen die Sozialdemokraten ab. Strafen den Kanzler ab, den unpopulärsten seit Helmut Kohl in seiner Spätphase. Aber auch die deutsche Öffentlichkeit lebt, ungewollt, in einer Zeitschleife: Denn nach jeder verlorenen oder halbwegs überstandenen Wahl beschwört die SPD mit denselben Stehsätzen und Floskeln den Kampfgeist der Partei. Man kann viel erklären, wenn der Tag lang ist Auch nach der historischen Schlappe bei der Europawahl im Juni, als die Partei mit 13,9 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte bei einer gesamtstaatlichen Wahl einfuhr, hieß es im Willy-Brandt-Haus: Man wolle jetzt kämpfen, sich noch mehr anstrengen oder, der Evergreen, die eigene "Politik besser erklären". Zwei Einwände: Das Kommunikationsproblem ist in Wahrheit ein Politikproblem. Vor allem in der Migrationsfrage haben die Genossen zu lange ihre Augen vor der Realität im Land verschlossen, haben ihre Kursänderung viel zu spät vollzogen. Man kann viel erklären, wenn der Tag lang ist, aber vielleicht sollte man bisweilen auch einfach mal zuhören, wenn die andere Seite bessere Argumente hat. Der zweite Einwand: Die Kommunikation der Regierung ist tatsächlich ein Problem, aber keines, das die SPD lösen können wird. Zumindest nicht in der jetzigen personellen Aufstellung. Denn die mantraartigen Rufe der SPD-Spitze nach einer besseren, kämpferischen Kommunikation stoßen regelmäßig an ihre objektiven Grenzen. Die eine ist die Ampel, die in ihrer Gesamtheit dysfunktionaler wird, je selbstbewusster ihre Einzelteile auftreten. Die FDP legt mittlerweile fast wöchentlich Zeugnis davon ab. Die andere objektive Grenze verläuft um das Grundstück des Kanzleramtes. Der Kanzler hat offensichtlich nicht die Fähigkeit oder den Willen, seine Politik so zu erklären, wie es sich die meisten Deutschen erhoffen. Fehlt der Wille zur Macht? Diese Tatsache ist schwer verdaulich, sollte aber ernst genommen werden. In der Tiefe ihres Herzens wissen das vermutlich auch die Genossen. Nicht zufällig haben sie – allen voran Kevin Kühnert und Saskia Esken – Scholz 2019 als Parteichef erfolgreich verhindert. Doch noch halten die Sozialdemokraten zu ihrem Kanzler. Das Dogma der Geschlossenheit scheint alles zu überlagern – selbst den Willen zur Macht. Denn wie die SPD die Bundestagswahl 2025 gewinnen will, wird immer schleierhafter. Bisher fehlt es an Konzepten, Ideen, Strategien. Die bisherige Strategie, auf Ausrutscher eines möglichen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zu setzen und den Leuten Scholz als sichere Bank zu verkaufen, erscheint mittlerweile als kaum mehr tragfähig. Ja, im Wahlkampf 2021 hat das geklappt, obwohl schon damals kaum jemand Scholz wollte und eigentlich alles gegen einen Sieg sprach. Aber ob Merz so viel Angriffsfläche bietet wie seinerzeit Annalena Baerbock und Armin Laschet , muss sich noch zeigen. Auch steckten den Deutschen 2021 keine vier Jahre Ampel in den Knochen. Die SPD sollte den tief verankerten Frust, den Scholz als Architekt dieses Experiments mittlerweile hervorruft, nicht unterschätzen. Im Zweifel verzeiht man einem Friedrich Merz eher seine "Dämonen" , als dass man dem unbeliebten Ampelchef zu einer zweiten Amtszeit verhilft. Mittlerweile wissen die Leute, was sie an Scholz haben, und: Sie mögen es nicht. Zudem: Es war schon immer die riskantere Wette, auf die Schwäche des gegnerischen Kandidaten zu vertrauen als auf die Stärke des eigenen. Dass die SPD genug fähige Leute hätte, um mit einem anderen Kandidaten in den Bundestagswahlkampf 2025 zu ziehen, weiß sie – hoffentlich – selbst. Nur: Allzu viel Zeit sollte sie sich mit der Entscheidung nicht lassen.