In Israel wächst nach der Bergung von sechs getöteten Hamas-Geiseln im Gazastreifen der Druck auf die Regierung. Bei landesweiten Protesten forderten Demonstranten am Montag ein sofortiges Abkommen, um die noch lebenden Geiseln aus der Gewalt der Hamas freizubekommen. Zur Unterstützung eines Geisel-Deals beteiligten sich zahlreiche Menschen an einem Generalstreik - der allerdings auf Antrag des rechtsextremen Ministers Bezalel Smotrich per Gerichtsanordnung vorzeitig beendet wurde.
Er hoffe, dass der Tod der sechs Geiseln ein "Wendepunkt" sei, sagte Gil Dickmann, dessen Cousine Carmel Gat unter den am Wochenende geborgenen Geiseln war, in Tel Aviv. Bis Sonntag seien die Gewerkschaftsführer noch nicht bereit gewesen, einen Generalstreik auszurufen. "Es ist schrecklich, dass wir den Preis dafür zahlen mussten und dass Carmel nicht hier bei uns ist, um das zu sehen."
Aufgerufen zu dem Generalstreik hatte Israels Gewerkschafts-Dachverband Histadrut. Er folgte damit Forderungen von Geisel-Familien und der Opposition, mit weiteren Protestaktionen den Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Sie werfen Netanjahu und seiner Regierung vor, eine Vereinbarung seit Monaten zu verzögern, durch die das Leben der nun getöteten Geiseln hätte gerettet werden können.
Die getöteten Geiseln waren am Samstag in einem Tunnel bei Rafah im Süden des Gazastreifens gefunden worden. Nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums waren die vier Männer und zwei Frauen laut Obduktion "ungefähr 48 bis 72 Stunden" vor der gerichtsmedizinischen Untersuchung am Sonntag "von Hamas-Terroristen mit mehreren aus nächster Nähe abgefeuerten Schüssen ermordet worden".
Fünf von ihnen waren am 7. Oktober bei dem Hamas-Überfall auf das Nova-Musikfestival verschleppt worden, eine der Frauen wurde an dem Tag aus dem Kibbuz Beeri entführt. Knapp elf Monate nach dem Hamas-Großangriff auf Israel befinden sich nach israelischen Angaben noch immer 97 Geiseln in der Gewalt der Hamas und anderer militanter Palästinensergruppen, 33 von ihnen sind demnach vermutlich tot.
Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass sich unter den von der Hamas verschleppten Personen immer noch eine niedrige zweistellige Anzahl von Personen mit Deutschlandbezug befindet.
Mitarbeiter von Verwaltung, Krankenhäusern und Verkehrsbetrieben im ganzen Land waren seit dem frühen Morgen aufgerufen, ihre Arbeit niederzulegen. Geschäfte, Restaurants, Märkte und Schulen sollten geschlossen bleiben. Nach Angaben der Histadrut sollte "die gesamte israelische Wirtschaft in einen vollständigen Streik treten". Die in den Gazastreifen Verschleppten dürften nicht länger "im Stich gelassen" werden, erklärte Histadrut-Chef Arnon Bar David am Sonntag.
Die Küstenstädte Tel Aviv und Haifa folgten dem Streikaufruf und erklärten, dass die städtischen Dienststellen geschlossen bleiben würden. Der Hafen von Haifa stellte seinen Betrieb teilweise ein, wie Histadrut-Sprecher Peter Lerner im Onlinedienst X mitteilte. Die Jerusalemer Stadtverwaltung hingegen schloss sich dem Streik nicht an.
Am internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurden am Morgen sämtliche Abflüge für zwei Stunden vollständig ausgesetzt, der Flugbetrieb verlief anschließend aber wieder normal, wie eine Flughafen-Sprecherin sagte.
Der teilweise von Privatfirmen betriebene Nahverkehr funktionierte zumindest teilweise. In den Regierungsbehörden wurde die Arbeitsniederlegung uneinheitlich befolgt. Die Behörden seien für Besuche geschlossen, in den Büros werde allerdings gearbeitet, sagte ein Mitarbeiter der staatlichen Sozialversicherungskasse.
Ein Arbeitsgericht in Tel Aviv ordnete allerdings wenige Stunden nach Streikbeginn das Ende des Ausstands an. "Wir erlassen eine landesweite Anordnung, um den begonnenen Streik zu verbieten", hieß es am Mittag in dem Gerichtsentscheid. Der Streik müsse "heute" beendet werden.
Zur Begründung erklärte das Gericht, dass es "klar" gewesen sei, "dass es sich um einen politischen Streik handelte". Die Richter verwiesen dabei auf Äußerungen von Histadrut-Chef Bar David, der gesagt hatte: "Wir können nicht tatenlos zusehen, wie unsere Kinder in den Tunneln von Gaza ermordet werden."
Dem Gerichtsbeschluss war ein Antrag von Finanzminister Smotrich vorausgegangen. Er hatte den Generalstaatsanwalt aufgefordert, das Gericht mit dem Argument anzurufen, dass der Streik politisch motiviert sei und nichts mit einem Tarifkonflikt zu tun habe.
Demonstranten blockierten in Tel Aviv auch nach dem juristisch erzwungenen Streikende weiter wichtige Straßen, nachdem es bereits am Sonntag zu Massenprotesten gekommen war.