Fast die Hälfte der Stimmen gingen in Sachsen und Thüringen an puren Protest. Die Ampelparteien haben sich nur teilweise mit Müh und Not ins Parlament gehangelt. Und Sahra Wagenknecht hat nun alle Trümpfe in der Hand. In Thüringen und Sachsen ist die Berliner Ampel nicht abgewählt worden. Sie ist regelrecht abmontiert worden, wie ein lästiger Blitzautomat bei einem Wutanfall eines Autofahrers. Nur gerade eben so haben sich manche der drei Ampelisten ins Parlament gehangelt. Aber alle sind einstellig geblieben, die FDP nur mehr in Spurenelementen nachzuweisen. In den beiden Ländern hat sich bei diesen Wahlen etwas polithistorisch nie Dagewesenes ereignet: Fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hat Protest gewählt. Dem etablierten Parteiensystem ist die kalte Schulter gezeigt worden, um nicht zu sagen: der Mittelfinger. Nur die CDU hält die Unterlippe einigermaßen über Wasser. Aber das alte Spiel von Regierung und Opposition, die einen werden stark, wenn die anderen schwächeln, funktioniert auch für die Konservativen nicht mehr. Wie Ebbe und Flut haben sich in diesem Land bisher die beiden großen Blöcke aus Union und FDP auf der einen Seite und SPD-Grün auf der anderen abgewechselt. Dann aber war schon die Große Koalition ein vorletzter Ausweg. Die dysfunktionale Ampel war der vorläufig letzte. Ein Bündnis ohne jeden Zusammenhalt Vollends wild könnte es nun mindestens in Thüringen werden. Wenn sich tatsächlich CDU, SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht zusammentun würden, dann eint diese Dreiertruppe nur eines: mit letzter Kraft eine wie auch immer geartete AfD-Regierung nach dem Bilde von oder sogar in Person des Faschisten Björn Höcke zu verhindern. Das ist als Grundlage für ein einigermaßen auskömmliches Regieren miteinander viel zu wenig. Das trägt nicht weit. Deshalb sollte man sich vielleicht auch mal für einen Moment freimachen von diesem einzigen Motiv: alles, nur nicht AfD . Einmal den Gedanken zulassen: Wenn ein Drittel aller Wählerinnen und Wähler diese bei Trost unwählbare Partei gewählt hat: Dann ist das eben so. Und wenn ein weiteres Sechstel bis Fünftel eine Vulgärpopulistin im intellektuellen Tarnjäckchen obendrein, dann erst recht. Demokratie ist oder war jedenfalls mal: Die stärkste Partei stellt den Ministerpräsidenten oder die Präsidentin, und sie sucht sich ihre Koalitionspartner. Wenn sie nicht genügend findet, wie auch bis jetzt Bodo Ramelow in Thüringen, dann versucht man es eben mit einer Minderheitsregierung. So ist Demokratie Sachsen wie auch Thüringen sind tüchtige und wirtschaftlich starke ostdeutsche Bundesländer. Es fühlt sich nicht gut an, sich etwa Thüringen als das Labor für einen solchen Versuch vorzustellen. Aber so ist Demokratie. Wenn die Leute so wählen, dann sollen sie idealerweise bekommen, was sie gewählt haben. Deshalb wäre, wenn man ehrlich ist, eine AfD/BSW-Regierung ungleich mehr entlang des Wählerwillens als dieses krampfig-verschraubte Ding aus CDU, SPD und BSW. Man kann mit gutem Willen und guten Adaptern schon viel verschrauben. Aber erstens ist da nicht bei allen guter Wille zu unterstellen und zweitens haben auch Adapter zwischen Unverbindbarem ihre Grenzen. Das Konstrukt sieht so aus, als wolle man einen Gardena-Gartenschlauch in die Klinkenbuchse eines Kopfhörereingangs pressen. Eine AfD an der Macht in einem Ost-Land hieße auch lange nicht, dass von Erfurt aus der Marsch nach Berlin begänne. Die Wählerinnen und Wähler könnten zum ersten Mal auch über die Landesgrenzen hinweg beobachten und überprüfen, ob sich eine Kluft zwischen großen Worten und Taten auftäte. Sie könnten erleben, wie sich ihre Maulhelden in der Verantwortung entzaubern. Und bei der nächsten Wahl ihren Irrtum wieder korrigieren. Mit ihr steht und fällt jede Regierung in Thüringen Wenn an einer Straßenkreuzung eine Ampel über den Haufen gefahren wird, wie die Berliner Ampelkoalition bei dieser Doppelwahl, dann stehen alsbald mindestens ein, meist mehrere Schutzpolizisten an deren Stelle. Diese Dienstmütze an der Kreuzung mit der kaputten Ampel haben aus Berliner Sicht nun Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht auf. Vor allem Letztere hat für die kommenden Tage eine ideale Verhandlungsposition. Mit ihr steht und fällt jedenfalls in Thüringen jede Regierung. Sie muss sich jetzt entscheiden: Will sie eher beim etabliert-bürgerlichen Bündnis dabei sein, mit CDU und SPD (fast wäre sie auch in Sachsen in diese Schlüsselposition gekommen). Oder geht sie ein Bündnis mit dem anderen Protestlager, der AfD, ein. Politische Schnittmengen sind dort ungleich mehr zu finden. Ob es aber nun dieses schräg-verschraubte Ding aus CDU, SPD und BSW wird oder das radikalpopulistische aus AfD und BSW, was Wagenknecht mit Höcke jedenfalls ausschließt: Thüringen und, wie es aussieht auch Sachsen, werden sich schnell nach geordneten Verhältnissen sehnen. Und bei der nächsten Wahl, dann ernüchtert und wieder bei Trost, vielleicht ebendiese geordneteren Verhältnisse wählen. Bis dahin möchte man nicht mit ihnen tauschen. Aber man löffelt immer selbst die Suppe aus, die man sich ins Schälchen geschöpft hat.