Wie die Zeitung The New York Times berichtet, hat US-Präsident Joe Biden eine geheime Nuklearstrategie genehmigt, die sich auf mutmaßliche Bedrohungen durch Länder wie China und Russland konzentriert. In einem geheimen Dokument, das im März genehmigt wurde, wies der Präsident die US-Streitkräfte an, sich auf mögliche koordinierte nukleare Konfrontationen mit Russland, China und Nordkorea vorzubereiten.
Im März billigte Biden einen streng geheimen nuklearen Strategieplan für die Vereinigten Staaten, der erstmals die Abschreckungsstrategie der USA auf die rasche Erweiterung des chinesischen Atomwaffenarsenals ausrichtet. Das Pentagon geht davon aus, dass Chinas Atomwaffenarsenal in den nächsten zehn Jahren in Umfang und Vielfalt mit dem der Vereinigten Staaten und Russlands konkurrieren wird.
Das Weiße Haus gab nicht bekannt, dass Biden die überarbeitete Strategie, die sogenannte "Nuclear Employment Guidance", gebilligt hat, mit der die Vereinigten Staaten zum ersten Mal auch auf mögliche koordinierte nukleare Herausforderungen durch China, Russland und Nordkorea vorbereitet werden sollen. Das Dokument, das etwa alle vier Jahre aktualisiert wird, ist so streng geheim, dass es keine elektronischen Kopien gibt, sondern nur eine kleine Anzahl von Ausdrucken, die an einige wenige nationale Sicherheitsbeamte und Pentagon-Kommandeure verteilt werden.
In ihren jüngsten Reden durften jedoch zwei hochrangige Regierungsbeamte auf die Änderung anspielen – in sorgfältig begrenzten, einzelnen Sätzen. Dies erfolgte im Vorfeld einer detaillierteren, nicht klassifizierten Mitteilung an den US-Kongress, die erwartet wird, bevor Biden sein Amt verlässt.
"Der Präsident hat vor kurzem aktualisierte Leitlinien für den Einsatz von Atomwaffen herausgegeben, um mehreren nuklear bewaffneten Gegnern Rechnung zu tragen", sagte Vipin Narang, ein Nuklearstratege des M.I.T., der im Pentagon diente, Anfang des Monats. "Insbesondere berücksichtigen diese Waffenrichtlinien‚ die erhebliche Zunahme an Größe und Vielfalt" von Chinas Atomwaffenarsenal, so Narang.
Im Juni verwies auch Pranay Vaddi, der leitende Direktor für Rüstungskontrolle im Nationalen Sicherheitsrat, auf das Dokument hin, in dem erstmals detailliert untersucht wird, ob die Vereinigten Staaten darauf vorbereitet sind, auf gleichzeitig oder nacheinander auftretende nukleare Krisen mit einer Kombination aus nuklearen und nicht-nuklearen Waffen zu reagieren. Die neue Strategie, so Vaddi, betone "die Notwendigkeit, Russland, die Volksrepublik China und Nordkorea gleichzeitig abzuschrecken".
Es sei "nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein grundlegend anderes nukleares Umfeld die amerikanischen Kriegspläne und -strategien verändern würde", sind sich die Beamten einig. Die neue Herausforderung sei "die reale Möglichkeit der Zusammenarbeit und sogar der geheimen Absprache zwischen unseren nuklear bewaffneten Gegnern", so die Behauptung im Artikel der New York Times. Bislang waren die neuen Herausforderungen für die US-amerikanische Nuklearstrategie im Präsidentschaftswahlkampf kein Thema der Debatte. Biden hatte sich nie öffentlich dazu geäußert, ebenso wenig wie Vizepräsidentin Kamala Harris, die jetzt als Präsidentschaftskandidatin für die Demokratische Partei antritt.
Auf seiner letzten Pressekonferenz im Juli, nur wenige Tage bevor er bekannt gab, dass er sich nicht mehr um die Nominierung für eine zweite Amtszeit bemühen werde, räumte Biden ein, dass er "eine Politik der Einmischung in die breitere Partnerschaft zwischen China und Russland" verfolgt.
"Ja, das tue ich, aber ich bin nicht bereit, in der Öffentlichkeit über die Details zu sprechen", sagte Biden. Er erwähnte nicht – und wurde auch nicht danach gefragt –, wie diese Partnerschaft die US-amerikanische Nuklearstrategie verändert.
Seit der Präsidentschaft von Harry Truman war diese Strategie überwiegend auf das Arsenal ausgerichtet, das Russland von der zusammengebrochenen Sowjetunion übernommen hatte, so die Zeitschrift. Bidens neue Leitlinien deuteten darauf hin, dass sich dies schnell ändert.
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