Der Hauptvorteil der Ausstellung liegt darin, dass sie über Trends und individuelle Lebensgeschichten zugleich erzählt. Unter anderem präsentiert das Ausstellungsprojekt eine Reihe unterschiedlicher Rollen, die den Frauen nach der sozialistischen Revolution plötzlich zufielen und wie sich die neuen Entwicklungen im Leben und in der Arbeit berühmter Kulturschaffender jener Zeit widerspiegelten. Darüber hinaus sei es erwähnt, dass die Autorinnen der Ausstellung wirklich große Arbeit geleistet haben. Sie sammelten Exponate aus mehr als 30 Museen, von denen sich mehr als ein Dutzend nicht in der Hauptstadt befindet.
Die sozialen Veränderungen in Russland in den 1910er Jahren betrafen nicht zuletzt die Frauen, wobei sie im Alltag und im Beruf die gleichen Rechte wie die Männer erhielten. Für sie waren beispielsweise Heirats- und Scheidungsprozesse waren einfacher geworden. So konnten sie einseitig und per Postbescheid vollzogen werden. Und das Bild dieses neuen Menschen, der aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes teilnimmt, fand sich sofort in der Werbung, im Kino und in den Werken der Künstler wieder. Ein Blick auf diese Werke genügt, um die Zeit ihrer Entstehung eindeutig zu bestimmen. In welcher anderen Epoche trugen Mädchen in Russland Kleidung, die an die Uniformen der deutschen Jugendorganisation Roter Jungsturm erinnerte und danach benannt wurde?
Derzeit suggeriert allein das Wort „Frauenrollen“ oft, dass es sich um etwas Aufgezwungenes und Einschränkendes handelt, worüber die Frauen nicht unbedingt begeistert sind. In den 1920er und 1930er Jahren jedoch akzeptierten die Frauen diese Rollen bereitwilliger als je zuvor. Das Bild der Stoßarbeiterin war eine direkte Folge der Mitte der 1920er Jahre einsetzenden Industrialisierung. Insofern kamen in den 1930er Jahren paramilitärische Sportarten in Mode – und sofort begannen sowjetische Frauen, die bis dahin weitgehend männlichen Berufe zu erlernen. Frauen auf Motorrädern, mit Funkgeräten oder in Fliegeruniformen wurden zu häufigen Motiven der Malerei jener Jahre.
Diese Tendenzen erstreckten sich über das ganze Land, aber das Wort „Moskauerin“ im Titel der Ausstellung kommt nicht von ungefähr. Es ist ein sehr gelungener Schachzug. In den Abteilungen, die den berühmten Frauen dieser Epoche gewidmet sind, werden neben ihren Fotos, ihren Werken und einer kurzen biografischen Notiz auch ihre Moskauer Adressen angegeben. Und es funktioniert. Eine solche Lokalisierung bringt dem Betrachter diese Kulturschaffenden näher, die Trends spiegeln sich in individuellen Lebensgeschichten wider.
Im Grunde genommen hätten die sowjetische Filmschauspielerin Ljubow Orlowa und die berühmte Malerin sowie die Ehefrau vom Fotografen Alexander Rodtschenko Warwara Stepanowa leicht die Heldinnen von Einzelausstellungen sein können. Dass sie in dieser Ausstellung miteinander und mit einer Reihe anderer prominenter Frauen der Kunst der 1920er und 1930er Jahre zusammengebracht werden, ergibt eine sehr interessante Momentaufnahme dieser Epoche.
In der Ausstellung finden auch diejenigen Erwähnung, die sich nicht in die neuen Realitäten der nachrevolutionären Jahrzehnte einfügen konnten. Dies zeigt die Gründlichkeit des Ansatzes der Autorinnen und ihre Ehrlichkeit im Umgang mit dem historischen Material.
Igor Beresin
Запись Trends und Lebensgeschichten впервые появилась Moskauer Deutsche Zeitung.