Der Iran und Israel überziehen sich mit Drohungen, ein regionaler Flächenbrand scheint näher zu rücken. Diplomaten bemühen sich um Deeskalation. Lässt sich eine folgenschwere Eskalation noch abwenden? Israel und der Iran schüren mit ihren jüngsten Drohungen die Furcht, dass im Nahen Osten bald ein größerer Krieg ausbrechen könnte - mit Folgen weit über die Region hinaus. Die sieben großen westlichen Industrienationen (G7) mahnen eindringlich zur Deeskalation, doch zwischen den verfeindeten Führungen in Teheran und Jerusalem scheinen die Fronten verhärtet. Angesichts eines angekündigten iranischen Vergeltungsangriffs beriet sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit seinen Militär- und Geheimdienstchefs. Bislang zeichne sich "kein definitives Bild" über die zu erwartenden Attacken ab, berichtete der israelische Fernsehsender Channel 12. Anderen Berichten zufolge könnte der Iran womöglich schon am Montag losschlagen. Auslöser der gefährlichsten Krise in der Nahost-Region seit Jahrzehnten waren die tödlichen Anschläge auf zwei hochrangige Ziele des israelischen Sicherheitsapparats in der Vorwoche. In der Nacht zu Mittwoch tötete eine Explosion im Zimmer eines Gästehauses der iranischen Regierung in Teheran den Auslandschef der islamistischen Hamas, Ismail Hanija. Wenige Stunden zuvor hatte ein Luftangriff den ranghohen Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukr in der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet. Zum Angriff auf Schukr bekannte sich Israel, zum Anschlag auf Hanija gab es bislang keine offiziellen Äußerungen dieser Art aus Jerusalem. Der Iran und die mit ihm verbündete Hamas machen den jüdischen Staat in beiden Fällen verantwortlich. Die Führung in Teheran und die von ihr unterstützte Schiiten-Miliz Hisbollah drohten Israel mit massiver Vergeltung für die Anschläge. Netanjahus Regierung warnte für diesen Fall vor schweren Konsequenzen. Es wird ein regionaler Flächenbrand befürchtet, sollten sich auch - wie von Teheran angekündigt - die mit dem Iran verbündeten Milizen in der Region beteiligen. Dazu zählen neben der Hisbollah im Libanon und der Hamas im Gazastreifen auch die Huthi im Jemen sowie Milizen im Irak und in Syrien . Diplomaten in Teheran - G7-Beratungen über Video Arabische Diplomaten sollen einem Zeitungsbericht zufolge in Teheran vorstellig geworden sein und sich dort für eine möglichst maßvolle Reaktion auf die Attentate eingesetzt haben. Die iranische Führung habe den Emissären jedoch beschieden, es sei ihr gleichgültig, ob der geplante Vergeltungsschlag einen Krieg auslöst, berichtete das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Personen, die mit den Inhalten der Gespräche vertraut seien. Irans Präsident Massud Peseschkian empfing den jordanischen Außenminister Aiman al-Safadi und sagte ihm im Zusammenhang mit der Tötung Hanijas: "Diese feige Tat war ein Verstoß gegen alle internationalen Gesetze und ein großer Fehler der Zionisten (Israel), der nicht unbeantwortet bleiben wird." Seine Regierung wolle zwar Frieden und Stabilität in der Region, aber die Voraussetzung dafür sei "ein Ende der israelischen Verbrechen, insbesondere in Gaza", wurde Peseschkian vom Präsidialamt zitiert. In einer gemeinsamen Videokonferenz riefen die G7-Außenminister alle Konfliktparteien zur größtmöglichen Zurückhaltung auf, um eine zusätzliche Eskalation zu verhindern. In der aktuellen Situation brauche es Dialog und Mäßigung, sagte Italiens Außenminister Antonio Tajani. Sein Land führt derzeit den G7-Vorsitz und organisierte die kurzfristig einberufene Konferenz der Gruppe, der auch Deutschland angehört. Wann greift der Iran an? Unklar bleibt, wann der angedrohte Vergeltungsschlag erfolgen könnte. In den Erklärungen Teherans und der Hisbollah war immer wieder von den "nächsten Tagen" die Rede. Das Nachrichtenportal "Axios" berichtete unter Verweis auf die Einschätzungen drei amerikanischer und israelischer Regierungsbeamter, dass der Iran bereits ab Montag angreifen könnte. Dies habe US-Außenminister Antony Blinken auch seinen Kollegen in der G7-Videoschalte gesagt und als Zeitfenster von den kommenden 24 bis 48 Stunden gesprochen. US-Präsident Joe Biden wird nach Angaben des Weißen Hauses am Montag ein Treffen mit seinen Sicherheitsberatern zur Lage in Nahost abhalten, an dem auch Vizepräsidentin Kamala Harris teilnimmt. Vorher werde Biden mit dem jordanischen König Abullah II. sprechen. Israel dürfte fest mit der Unterstützung der USA und wohl auch anderer Verbündeter rechnen können, wenn es darum geht, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen des Irans sowie seiner Stellvertretergruppen mit modernen Abwehrsystemen abzufangen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin telefonierte am Sonntag (Ortszeit) mit seinem israelischen Kollegen Joav Galant und sicherte ihm "eiserne Unterstützung" bei der Selbstverteidigung zu, wie das Pentagon anschließend mitteilte. Gesprochen wurde demnach auch über Truppenverlegungen als Sicherheitsmaßnahme. Austin habe sich zudem für eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und ein Abkommen zur Freilassung der im Gazastreifen verbliebenen Geiseln starkgemacht, hieß es aus Washington . Israels Bürger sollen wachsam bleiben Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Sonntagabend, die israelische Zivilbevölkerung solle wachsam bleiben. "Die Abwehr ist nicht hermetisch", betonte er. Die Lage sei unverändert, im Bedarfsfall müssten aber schnell Schutzräume aufgesucht und alle Anweisungen befolgt werden. In der Nacht zu Montag meldete das israelische Militär zwar einen nächtlichen Angriff aus dem Libanon mit mehreren verdächtigen Luftobjekten, doch schien es sich dabei nicht um eine größer angelegte Attacke zu handeln. Die Luftabwehr sei eingesetzt worden und eines der Objekte nahe dem Kibbuz Ajelet Haschahar niedergegangen, teilte die Armee am frühen Morgen über die Plattform Telegram mit. Dabei seien zwei Soldaten leicht verletzt worden. Bei Luftalarm in anderen Gegenden Nordisraels handelte es sich demnach um Fehlalarm - keine Seltenheit in diesen Tagen. Regierungschef Netanjahu blieb am Sonntagabend bei seiner scharfen Rhetorik. "Der Iran und seine Klienten versuchen uns, mit einem Feuerring des Terrorismus einzukreisen", sagte er bei einer Gedenkveranstaltung für den rechten Zionistenführer Zeew Jabotinsky (1880-1940). "Wir sind bereit, ihnen an jeder Front entgegenzutreten - ob in der Nähe oder in der Ferne. Wer auch immer uns zu schaden versucht, wird einen hohen Preis bezahlen." Die jüngste Eskalation ist eine Folge des Kriegs, den Israel seit fast zehn Monaten gegen die Hamas im Gazastreifen führt. Dieser wiederum wurde durch das beispiellose Massaker ausgelöst, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres im Süden Israels verübten. Dabei töteten sie 1200 Menschen und verschleppten weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen. Israel setzte es sich zum Ziel, die Hamas als militärische und politische Organisation zu zerschlagen. Dem Krieg sind aber auch unzählige palästinensische Zivilisten im Gazastreifen zum Opfer gefallen, außerdem wurde ein großer Teil der Bausubstanz und Infrastruktur in dem abgeriegelten Küstengebiet zerstört. Israel steht deshalb weltweit umso stärker in der Kritik, je länger der Krieg dauert. Stillstand in Gesprächen über Gaza-Waffenruhe Indirekte Verhandlungen Israels mit der Hamas, die zu einer Waffenruhe und Freilassung der Geiseln führen sollen, drehen sich seit Monaten im Kreis. Da beide Seiten nicht direkt miteinander verhandeln, vermitteln die USA, Ägypten und Katar. Eine weitere Gesprächsrunde einer israelischen Delegation mit ägyptischen Unterhändlern endete am Wochenende in Kairo ohne Ergebnisse, wie israelische Medien berichteten. Für den Stillstand der Gespräche machen nicht nur Kritiker, sondern zunehmend auch der Verbündete USA Regierungschef Netanjahu verantwortlich. Ihm wird vorgeworfen, durch immer wieder neu erhobene Forderungen eine Übereinkunft unmöglich zu machen.