Provokation als Stilmittel und Erfolgsrezept: Oliver Pocher beherrscht dieses Handwerk auf geradezu perfide Art. Wäre da nur nicht diese Heuchelei. Eine Glosse von Steven Sowa "Sei schlau, stell dich dumm", lautet der Buchtitel einer gewissen Daniela Katzenberger . Das Werk veröffentlichte sie vor 13 Jahren. Es war so etwas wie eine Gebrauchsanweisung für eine Medienkarriere und zugleich eine Beschreibung ihres eigenen Aufstiegs zur Prominenten. "Der Spiegel" sprach seinerzeit von der "blondesten Medienkarriere des Jahres". Diese mediale Zuschreibung war in ihrer Zuspitzung sicherlich fragwürdig, wenngleich dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Denn was genau soll blond in diesem Zusammenhang bedeuten, könnte man nun nach bester Katzenberger-Devise fragen und vorgeben, sich an die Zeit der Blondinenwitze nicht mehr zu erinnern. Da hatten Kalauer wie diese Konjunktur: "Warum lassen Blondinen die Milch fallen?" Na, na? "Weil sie nicht haltbar ist." Brüller. Zum Glück ist die Zeit vorbei, in der solche billigen Pointen Lachsalven auslösten – und glücklicherweise ist ein Intelligenztest noch nie bei zu viel Wasserstoffperoxid ins Negative ausgeschlagen. Pochers Schrei nach Liebe Womit wir bei Oliver Pocher wären. Der produziert derzeit mal wieder Negativschlagzeilen im Akkord und befolgt dabei eine Formel, die eigentlich seit mindestens 13 Jahren ihr Verfallsdatum überschritten hat: die Katzenberger-Formel. Dabei sei an dieser Stelle sogleich eine Entschuldigung vorausgeschickt: Liebe Frau Katzenberger, Sie trifft keine Schuld. Doch Oliver Pocher scheint auf seiner "Liebeskaspar"-Tour durch Deutschland in einer der Bahnhofshallen gelandet zu sein, in denen es stets diesen einen, traditionell schlecht sortierten Bücherladen gibt. Dort hat er offenbar unter den aussortierten Segmenten ein Schnäppchen gemacht und das Katzenberger-Lexikon ergattert. Ob der 46-Jährige hoffte, dort die Telefonnummer seiner Promikollegin zu finden, um vor lauter Kummer und Frust über die Trennung von Amira Pocher Trost zu finden, ist nicht überliefert. Moment mal, unkt da der geschulte Promikopf und Liebhaber deutscher Unterhaltungsshows. Ist es nicht seltsam, dass sich ausgerechnet Cora Schumachers Handynummer in "Sei schlau, stell dich dumm" befindet? Egaaaal, wie Pochers Lieblingssänger sagen würde: Zurück zum Thema. Pochers Lieblingsbeschäftigung neben der Balz ist das Schlagzeilen-Produzieren. Seit mindestens einem Jahr nimmt dieses Hobby ungesunde Züge an. Amira Pocher scheint ein enorm wichtiges Korrektiv für den ohnehin umtriebigen Comedian gewesen zu sein – denn seit der Trennung des Paares im Sommer 2023 ist Oliver Pocher nicht mehr nur der Provokateur von einst. Inzwischen mutiert er zum Heuchler. Im Sinne der erwähnten Erfolgsformel: Pocher tut dümmer, als er in Wahrheit ist. Rammstein, Rammstein: Alles muss provokant sein Dass seine offensichtliche Verletztheit wegen der Trennung vor einem Jahr in ständige Seitenhiebe gegen seine Ex mündet, und das trotz der gemeinsamen Kinder, die das dann in ein paar Jahren mal minutiös nachlesen dürfen: geschenkt. Die Medienöffentlichkeit hat schnell die Lust an den Spitzen gen Amira Pocher verloren, und die meisten Menschen haben verstanden, dass sich dort ein in seinem Ego gekränkter Dampfplauderer wie das sprichwörtliche Balg im Sandkasten benimmt, dem die Buddelschippe weggenommen wurde. Aber kaum ist Pocher mit seiner "Sei schlau, stell dich dumm"-Lektüre fertig, unterbietet er sich selbst. In der vergangenen Woche besuchte er ein Konzert von Taylor Swift und wählte dafür ein T-Shirt der Band Rammstein . Jeder Einäugige erkannte die Provokation : Höhö, diese Brachialrocker mit ihrem umstrittenen Frontsänger – Missbrauchsvorwürfe und so, Sie wissen schon – bilden die Antithese zu Taylor Swifts Einladung zu Harmonie und Diversität. Genial, höhö. Es hat sich ein Hype um die erfolgreichste Sängerin der Welt entwickelt. "In unseren gegenwärtigen Zeiten, in denen hypermaskuline 'alte weiße Männer' (wie Putin und Trump) auf Spaltung setzen, stellt das bunte Taylorverse einen Sehnsuchtsort dar", erklärte der Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp kürzlich bei t-online. Rammstein mit ihren düster-bedrohlichen Bühnenshows und den derben Liedtexten wirken wie ein Gegenprogramm – von den Vorwürfen gegen Till Lindemann im vergangenen Jahr mal ganz abgesehen. Der Einzige, der diesen Kontrast nicht erkennt, ist Oliver Pocher. Statt zu seiner Provokation zu stehen, zu sagen, "Klar war das ein Affront, aber es macht nun mal Spaß, euch ins Bockshorn zu jagen und anschließend durch den Shitstorm zu hechten", tut er so, als sei gar nichts gewesen. Nachdem deutschlandweit Medien berichtet hatten, Pocher in den Twittertrends gelandet war, behauptet dieser nun in seinem Podcast: "Ich hatte auf dem Taylor-Swift-Konzert ein Rammstein-T-Shirt an, weil ich dachte, das ist einfach lustig. Kann man mal machen." Die ganze Aufregung könne er gar nicht verstehen. Er imitiert die Stimme einer empörten Frau, sagt: "Also das geht ja mal wirklich gar nicht, weil so ein Taylor-Swift-Konzert ist ein Safe-Place (Anm. d. Red.: sicherer Ort) für Frauen." Ihm sei es "komplett neu", dass dieses Sicherheitsgefühl für Frauen durch ein Rammstein-Shirt zerstört werde. Pocher gibt eine Jungfrau der Lächerlichkeit preis Also nicht nur provokant, sondern heuchlerisch. Ist das die neue Methode Pocher? "Sei schlau, stell dich dumm" als Form der Midlife-Crisis-Bewältigung? Frei nach dem vorgegaukelten Motto: Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß? Pocher hat in der Comedy schon immer Grenzen ausgelotet und überschritten. So funktionierte seine Karriere. Doch zuletzt hat der 46-Jährige immer wieder nach unten getreten, andere bloßgestellt. So wie im Mai in Stuttgart , als er eine Frau vor Publikum wegen ihrer Jungfräulichkeit verspottete – und sich der übertragende Sender SWR von ihm distanzierte. Auffallend oft sind Frauen Ziel seiner Verbalattacken. Das Perfide ist: Pocher weiß, wie die Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert – und vor allem ist er intelligent genug, sich der Folgen seiner Taten bewusst zu sein. Als er sich das Shirt überzog und die Arena in Gelsenkirchen betrat, wollte er auffallen, anecken und Reaktionen provozieren. Schlagzeilen nimmt er gerne in Kauf. Sie sind die Währung seiner Aufmerksamkeitsökonomie. Um das einmal klar zu sagen: Oliver Pocher ist nicht auf den Kopf gefallen – im Gegenteil. Er war 2008 der erste Promi bei Günther Jauchs "Wer wird Millionär?"-Quizshow, der die Million gewann, und er zeigt mit seiner Rhetorik und seinem Hintergrundwissen immer wieder, dass er gebildet ist. Umso trauriger ist, was er daraus macht. Wie er Menschen mit seinen Aktionen vor den Kopf stößt, verletzt und anschließend das Unschuldslamm spielt. Oder es ist schlau – und die vielleicht "blondeste Medienkarriere des Jahres"?