In wenigen Tagen kämpft Steven van de Velde bei Olympia um eine Medaille. Im Fokus steht dabei aber nicht seine Leistung – sondern seine Vergangenheit. Der ehemalige Straftäter Steven van de Velde, der vor acht Jahren wegen Vergewaltigung einer Zwölfjährigen verurteilt wurde, steht kurz davor, bei den Olympischen Spielen in Paris anzutreten. Van de Velde, der bei der Tat 19 Jahre alt war, hat sich für das niederländische Beachvolleyballteam qualifiziert und wird mit seinem Partner Matthew Immers auf Medaillenjagd gehen. Aufgrund seines sportlichen Erfolges darf der heute 29-Jährige antreten, dennoch spielt seine Vergangenheit nach wie vor eine große Rolle. Der niederländische Volleyballverband (Nevobo) versucht ihn weitgehend gegen Anfeindungen zu schützen sowie aus Diskussionen herauszuhalten, ob seine Teilnahme moralisch vertretbar sei. Das war passiert Über die sozialen Medien hatte van de Velde 2014 ein Mädchen kennengelernt. Er war 19 Jahre alt, sie erst 12. Der Niederländer reiste aus Amsterdam ins britische Milton Keynes, um sie zu besuchen. Die Mutter des Mädchens war nicht vor Ort, van de Velde gab ihr Alkohol und vergewaltigte sie – dreimal. Zwei Jahre später gestand van de Velde die Tat, die Niederlande lieferten den Sportler im Januar 2016 aufgrund eines internationalen Haftbefehls an England aus. Der Richter sagte damals bei der Verkündung des Urteils: "Bevor Sie in dieses Land kamen, trainierten Sie als potenzieller Olympionike. Ihre Hoffnungen, Ihr Land zu vertreten, sind nun ein geplatzter Traum." Van de Velde, der das Alter seines Opfers kannte, wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Doch nach nur zwölf Monaten kam van de Velde wieder frei. Während das Opfer einem Bericht von "Fox News" zufolge in Selbstverzweiflung und Drogen versank, setzte er seine Karriere als Beachvolleyballer fort. Van de Velde sei ein "Musterprofi" 2018, nach einem Jahr in Haft, sagte er über seine Tat: "Ich habe getan, was ich getan habe. Ich kann es nicht rückgängig machen, also werde ich die Konsequenzen tragen müssen. Es ist der größte Fehler meines Lebens." Er sei ein Teenager gewesen und versuche immer noch, die Dinge zu verstehen. Nun steht er vor seinem Olympia-Debüt. Seine Nominierung löste heftige Kritik aus, die sich gegen den niederländischen Verband und auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) richtete. Auf "change.org" wurde eine Petition gegen die Teilnahme van de Veldes gestartet. Bis Dienstagabend unterschrieben mehr als 65.000 Menschen (Stand: 23. Juli, 19-15 Uhr). Denn reicht es, dass van de Velde rechtlich und sportlich alle Voraussetzungen erfüllt, um an Olympia teilzunehmen? Was ist mit dem moralischen Aspekt? Nevobo-Geschäftsführer Michel Everaert sagte nach der Bekanntgabe: "Wir kennen Stevens Geschichte." Man habe sich intensiv mit dem internationalen Volleyballverband und dem niederländischen Olympischen Komitee ausgetauscht. Van de Velde habe seine Strafe abgesessen: "Seit seiner Rückkehr hat er sich als Musterprofi und vorbildlicher Mensch ausgezeichnet." Darum habe er die volle Unterstützung für die Teilnahme an den Olympischen Spielen. "Es gibt keinen Grund mehr, an ihm zu zweifeln", so Everaert weiter. Auch das niederländische Komitee steht hinter ihm. "Van de Velde erfüllt alle Qualifikationsanforderungen für die Olympischen Spiele und ist somit Teil des Teams", hieß es in einer Mitteilung Ende Juni. Van de Velde habe sich zudem professionell beraten lassen, Experten schätzen seine Rückfallquote auf null Prozent. Resozialisierung sei außerdem ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaats. Van de Velde verzichtet auf eigenen Wunsch darauf, im olympischen Dorf zu wohnen. Stattdessen wird er in einer separaten Unterkunft in Paris untergebracht, wie das niederländische Olympische Komitee am vergangenen Mittwoch mitteilte. Warum er sich selbst vom Rest des Teams und anderen Sportlern isoliert, ist zunächst unklar. Der 29-Jährige wolle sich aber noch vor der Eröffnungsfeier zu seinen Beweggründen äußern – von weiteren Begegnungen mit den Medien ist er allerdings befreit. Gegenwind von allen Seiten Im Gegensatz zur Unterstützung des Verbandes und des Komitees steht unter anderem die britische Kinderschutzorganisation "National Society for the Prevention of Cruelty to Children" (NSPCC). Diese äußerte sich kurz nach der Nominierung des Beachvolleyballers: "Van de Veldes Mangel an Reue und Selbstmitleid sind unglaublich." Auch die amerikanisch-britische Rechtsanwältin Dr. Ann Olivarius äußerte auf der Onlineplattform X ihre Zweifel: "Ich würde gerne wissen, wie der niederländische Verband glaubt, dass Steven van de Velde die siebte Anforderung an Olympioniken erfüllt." Diese sieht vor, dass jeder Olympiateilnehmer eine Erklärung über die Rechte und Pflichten der Athleten unterschreiben muss. In der Erklärung werden sie dazu aufgefordert, als Vorbilder zu agieren. Die US-Organisation Safesport bekämpft sexuellen Missbrauch im Sport und zeigte sich "tief besorgt", dass ein Sportler wie van de Velde an den Sommerspielen teilnehmen dürfe. Ingo Fock, erster Vorsitzender des Vereins "Gegen Missbrauch", sagte der Rheinischen Post: "Er hat eine Straftat begangen und seine Strafe bekommen. Ob es taktisch klug ist, so jemanden dorthin zu schicken, steht auf einem anderen Blatt." Denn immerhin haben Athleten auch die bereits angesprochene Vorbildfunktion zu erfüllen – auf und neben dem Platz.