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Wie man nicht für den Frieden mobilisiert

Von Dagmar Henn

Es gibt immer wieder Situationen, die wie Wiederholungen von Momenten erscheinen, die man bereits erlebt hat. Der Beschluss, neue US-Raketen in Deutschland zu stationieren, erscheint wie eine Wiederauflage der Auseinandersetzung um die Stationierung der Pershing II-Raketen in der Bundesrepublik ab 1979. Aber es wirkt wie eine schlechte Kopie, auf einem Kopierer mit zerkratzter Glasplatte und leerem Toner. Weil es wirkt, als seien bei allen sichtbaren Beteiligten in Deutschland die Erfahrungen, die einmal bereits vorhanden waren, gelöscht worden.

Dabei rede ich nicht von den Politikern in Berlin, die sich benehmen, als hätten sie nie etwas vom Kalten Krieg gehört, nichts von der Kuba-Krise, von den Abrüstungsverträgen, als wäre einzig Ronald Reagans Rhetorik von Russland als dem "Reich des Bösen" hängengeblieben, eine Formulierung, die damals zu Recht in weiten Teilen auch der bundesdeutschen Bevölkerung auf Unverständnis traf. So, als hätte sie damals nur die Tatsache bei Verstand gehalten, dass jede Auseinandersetzung zwischen den beiden Blöcken und somit zwischen den beiden deutschen Staaten, auf deutschem Boden ausgetragen worden wäre.

Es gab jedenfalls ein Gegengewicht, und in der damaligen BRD mit ihren 61 Millionen Einwohnern waren vier Millionen Unterschriften unter dem "Krefelder Appell" eine ganze Menge. Vier Millionen, die möglich waren, weil die Unterzeichner nur einem ganz kurzen Text zustimmten:

"Ich schließe mich dem Appell an die Bundesregierung an,

- die Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen;

- im Bündnis künftig eine Haltung einzunehmen, die unser Land nicht länger dem Verdacht aussetzt, Wegbereiter eines neuen, vor allem die Europäer gefährdenden nuklearen Wettrüstens sein zu wollen."

Ja, mehr war da nicht. Deshalb konnten diesen Appell auch Menschen unterzeichnen, die sonst ganz unterschiedlicher Meinung waren. Und es war nicht so, als gäbe es dazu keine Anlässe, auch wenn die Niederlage in Vietnam erst wenige Jahre zurücklag und die Vereinigten Staaten gerade für ihre Verhältnisse wenig Krieg führten.

Genau zu dieser Zeit wurde ständig vom sowjetischen Einmarsch in Afghanistan berichtet, und die von der CIA ausgerüsteten afghanischen Stämme wurden zu Freiheitskämpfern erklärt; ein Schritt, der der Einstieg in über 30 Jahre Krieg, eine NATO-Besetzung war und letztlich das Land völlig zu Grunde richtete, weshalb man heute die damalige Rhetorik vielleicht mit etwas mehr Nüchternheit betrachten kann. In Nicaragua hatten die Sandinisten gesiegt, und die Vereinigten Staaten machten sich sofort daran, das Land in einen Bürgerkrieg zu ziehen. Und es gab schließlich noch den anderen deutschen Staat, die DDR, über die man ebenfalls geteilter Meinung sein konnte.

Was alles nicht Bestandteil des Appells war. Er wurde sogar von Menschen unterschrieben, die US-Präsident Ronald Reagans "Reich des Bösen"-Geschichte glaubten: weil sich dieser Appell auf die Punkte beschränkte, die im unmittelbaren deutschen Interesse waren.

Wenn man aus der Geschichte um den Krefelder Appell eine Lehre ziehen will (und das ist im Grunde die entscheidende Lektion für jede Art eines politischen Bündnisses), dann die, dass man sich auf die Punkte beschränkt, die entscheidend sind, und Differenzen, selbst Gegnerschaft in anderen Fragen hinnimmt. Genau hier ist ungeheuer viel verloren gegangen. Das zeigte sich schon 2014, als die Proteste, die damals entstanden, als der Bürgerkrieg im Donbass begann, erfolgreich durch den "Querfront"-Vorwurf blockiert wurden. Seitdem wurde diese Position exzessiv propagiert.

Die Aufrufe und Erklärungen, die jetzt für die am 3. Oktober in Berlin geplante Friedensdemonstration kursieren, tragen deutlich die Spuren dieser Entwicklung. Der Aufruf selbst ist ein wildes Sammelsurium an Forderungen. Das mag auch eine Folge der Tatsache sein, dass das alte Verfahren, in dem eine Reihe verschiedenster Organisationen einen Aufruf aushandelte, der dann nur das beinhaltete, auf das sich alle einigen konnten, offensichtlich zerbrochen ist, weil die Organisationen nicht mehr existieren, und Aufrufe für bundesweite Demonstrationen von Einzelpersonen unterzeichnet werden. Aber selbst dann müssten jene, die jahrzehntelange Erfahrungen haben, wissen, dass Forderungen fokussiert sein müssen. Es würde völlig genügen, knapp und bündig "Keine Waffenlieferungen, keine Aufrüstung, keine Raketenstationierung" zu verlangen.

Aber das widerspricht der andressierten Neigung, nur ja nicht mit den Falschen gesehen zu werden, die Falschen auf die Demonstrationen zu locken und sich irgendwie eine Rüge einzufangen, "rechtsoffen" zu sein. Weshalb sicherheitshalber in der langen, bunten Forderungsliste auch steht, es solle Geld in "Klimaschutz" investiert werden, in dem Wissen, dass damit schon all jene fernbleiben, die den ganzen "Klimaschutz" für Unfug halten. Genauso, wie ich persönlich die Forderung, keine Waffen nach Israel zu liefern, für richtig halte, aber diese Formulierung eben, anders als die allgemeine Forderung "keine Waffenlieferungen", schon wieder die Zahl der möglichen Teilnehmer verringert, indem sie ein weiteres Thema ins Spiel bringt.

Ja, wollte man tatsächlich eine Bewegung schaffen, der es gelingen könnte, die geplante Stationierung zu verhindern, müsste man womöglich sogar auf die Forderung "keine Waffenlieferungen" verzichten. Früher hätten sich solche Punkte in den langwierigen, mühsamen Verhandlungen geklärt. Lange Einkaufslisten auf Aufrufen jedenfalls erfüllen vor allem eine Funktion – sie sollen die Menge der möglichen Teilnehmer begrenzen, nicht vergrößern.

Im wirklichen politischen Leben, dem, das es einmal gab, ehe die ganzen NGOs zuschlugen und das, was einmal vorhanden war, zersetzt wurde, funktionierte das anders herum. Es gab eine zentrale Forderung, und um die herum sammelte man alle und jeden, die bereit waren, genau diese Forderung zu unterstützen, egal, ob es um "Enteignet Springer" oder um "Weg mit dem § 218" ging. In dieser Zusammenarbeit stellte sich dann heraus, ob man vielleicht auch bei anderen Punkten zusammenarbeiten konnte. Das heißt, auch die Frage, mit wem man kooperiert und mit wem nicht, klärte sich ganz konkret. Das Vertrauen, das mit dieser Art der Zusammenarbeit aufgebaut wurde, war zwar begrenzt, aber tragfähig.

Doch heute ist noch nicht einmal klar, was die eigentlich zentrale Forderung sein soll. Eine der objektiv wichtigsten, "Raus aus der NATO", findet sich in weiten Teilen dessen, was von der Friedensbewegung übrig ist, nicht einmal auf der Speisekarte. Schlimmer noch, der Kotau vor der herrschenden Erzählung ist weit verbreitet. So findet sich in einer Presseerklärung zu jener geplanten Demonstration am 3. Oktober, deren Personenkreis sich mit den Aufrufern überschneidet, auch der Satz "dass die unmittelbare Kriegsschuld Russlands außer Frage steht, ändert nichts daran, dass es zuerst um den Frieden gehen muss." Als hätte es die acht Jahre Donbasskrieg davor nicht gegeben. (Eine sehr genaue Betrachtung dieser Erklärung und ihrer Autoren findet sich bei den Freidenkern).

Das wäre kein Problem, wenn dieser Text von jungen Leuten ohne politische Erfahrung verfasst worden wäre. Aber insbesondere Reiner Braun und Willy van Ooyen, die beide bereits seit Jahrzehnten in allen möglichen Friedensinitiativen unterwegs sind, wissen genau, dass derartige Sätze begrenzen, und die Kunst in der Schaffung von Bündnissen eben darin besteht, sich auf das in der konkreten Sache Entscheidende zu konzentrieren, auf das, was eint, nicht trennt. Der kühnste Satz in dieser Erklärung lautet: "Die Strategie, den Gegner niederzurüsten, ist von den Militärs der NATO-Führung vorgegeben und verfolgt in erster Linie die Interessen der USA." Ansonsten "droht Deutschland in den Krieg abzurutschen", oder "vieles erinnert schmerzhaft an den Juli des Versagens 1914".

Das kann man alles meinen. Doch wenn bei genauem Lesen der einzige Akteur, dem auch noch "unmittelbare Kriegsschuld" zugewiesen wird, Russland ist, und die übrigen Akteure eher irgenwie in etwas hineinrutschen, dann wird damit Position bezogen, und all jene, die genau diese Position nicht teilen, sind unerwünscht. Wenn Braun und van Ooyen Sätze unterbringen, die auf eine NATO-kompatible Sicht begrenzen, dann wissen sie, was sie tun. Gleiches gilt, wenn sie mit der Formulierung, das EU-Europa müsse "wieder zu einer eigenständigen Friedensmacht werden", auf die vielfach verhasste EU einschwören, die noch nie eine Friedensmacht war und deren Militarisierung bereits in den Gründungsdokumenten, dem Lissabon-Vertrag, festgelegt war.

Die Friedensbewegung, die es bräuchte, wenn man auf die reale Lage blickt, müsste sich anhand anderer Forderungen bilden. "Raus aus der NATO, Wiederherstellung der deutschen Souveränität" wäre das, was nötig wäre. Die Ablehnung der Raketenstationierung wäre eine deutlich kleinere Münze, aber vermutlich im gegenwärtigen Zustand zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Doch dann muss man sich auch darauf konzentrieren und jeden willkommen heißen, der dieses Ziel teilt.

Tut man dies nicht, folgt man nicht den schwierigen und strengen Regeln, die bei politischen Bündnissen nun einmal von der Wirklichkeit vorgegeben sind (und das gilt selbst dann, wenn die Aufrufenden nur noch Einzelpersonen sind), dann erreicht man nur eines – man sabotiert selbst die politische Wirksamkeit dieses Aufrufs und des eigenen Handelns. Formell werden alle Schritte vollzogen, aber ein wirklicher Erfolg, in dem Sinne, die Breite zu gewinnen, die erforderlich ist, um tatsächlich etwas am gegenwärtigen Kurs des Landes zu ändern, wird nicht einmal mehr angestrebt.

Das ist kein erfreulicher Zustand, denn er belegt, dass aus den Reihen der "alten" Friedensbewegung nichts zu erwarten ist. Der eine Teil der damaligen großen Bewegung, derjenige, der sich von den Grünen einfangen ließ, hat sich inzwischen in die Speerspitze der Kriegstreiber verwandelt, und der andere Teil schielt immer noch mit einem Auge auf sie und auf die SPD, und beschäftigt sich mehr mit der Einschläferung als mit der Mobilisierung für den Frieden.

Mehr zum ThemaIm Interview: Aufruf für den Frieden – der "Neue Krefelder Appell"

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