Martin, welche Erfahrungen hast du bereits mit Jugendmannschaften gemacht und wie unterscheidet sich das vielleicht für dich auch im Bezug auf die Euro League Teams, die du bisher gecoacht hast? Hast du vielleicht andere Ansätze?
Also eine ganz konkrete Erfahrung mit U-Mannschaften, Europameisterschaften war eine U-16 Europameisterschaft mit Österreich. Das ist schon richtig lange her. Es war 2009 oder 2010 und dann glaube ich noch 2013 oder 2014 mit der U20. Da war ich bei der Vorbereitung dabei. Und dann noch die Lehrgänge. Ich bin jetzt diese Saison bei mehreren Lehrgängen der U16 und U17 dabei gewesen, aber nicht bei Endmaßnahmen. Meine ganzen Nationalmannschafts-Erfahrungen in Turnieren sind eben viel mehr mit der A-Herren-Nationalmannschaft gewesen.
Was hat deine Entscheidung beeinflusst, jetzt für diesen einen Sommer als DBB Trainer dabei zu sein?
Dirk Bauermann und Alan Ibrahimagic haben mich gefragt. Und da habe ich nicht lange nachgedacht, weil das für mich eine Ehre ist. Ich bin im DBB groß geworden und mit deutschem Basketball aufgewachsen en und sehe mich was Basketball angeht als deutsch. Daher ist das eigentlich für mich keine Frage, sondern vielmehr ein Privileg, wenn jemand gebraucht wird, da auch zu helfen und mich der Aufgabe zu stellen.
War es für dich eine Herausforderung das Team zusammenzustellen? Die U20 ist meist ein Schwellenalter zwischen Jugendspieler und Herrenspieler und du hast einen wilden Mix aus College Spielern, BBL Spielern, sowohl ProA als auch ProB. Wie bist du bei der Auswahl genau vorgegangen?
Na ja, wir haben schon sehr früh – also vier Monate vorher – angefangen alle Spieler zu kontaktieren, haben sie alle ins Boot geholt und haben auch im Grunde alle Spieler bekommen, die wir wollten. Es gab dann doch einige Ausfälle, alles aus persönlichen Gründen. Aber das ist komplett nachvollziehbar. Alle anderen haben wir zusammenbekommen mit Kommunikation und Rekrutierung und das war und ist natürlich erfreulich. Es sind aber immer mehr Spieler geworden, die wegen Verletzungen ausfallen und wir müssen nun darauf reagieren. Beispielsweise sind uns im Laufe der letzten Monate die Center ausgegangen und so springen dort nun Flügelspieler ein. Das ist schon eine Herausforderung. Aber wir haben uns da bei den Vorbereitungsturnieren in der Türkei und in Spanien sukzessive gesteigert und konnten an einigen Stellschrauben drehen.
Wie schätzt du die Stärken und Schwächen deines EM-Kaders ein?
Durch die Ausfälle müssen wir Leute positionell anders spielen lassen und das ist eine Umstellung. Wir haben einzelne Spieler dabei, bei denen wir noch abwarten müssen, wie genau wir sie einsetzen werden.
Aber basierend auf den Vorbereitungsspielen war eine unserer Stärken ein defensives Fundament, ein solides defensives Fundament, aus dem wir agiert haben. Eine weitere Stärke ist das Rebounding auf beiden Seiten des Feldes. Wir haben außerdem eine sehr gute Athletik, besonders auf den Guard-Positionen mit Justin Onyejiaka und mit Martin Kalu. Luis Wulff kann damit auch defensiv punkten.
Wie sieht deine Prognose für die Gruppenkonstellation mit Italien, Tschechien und Israel aus? Was kommt da auf euch zu?
Da kommen drei sehr verschiedene Spiele auf uns zu. Mit Italien erwarten wir eine sehr physisch agierende Nation. Mit Israel und mit Tschechien antizipieren wir relativ viel Zonenverteidigung, die wir zu attackieren haben. Gegen Tschechien haben wir in der Vorbereitung gespielt. Diese Mannschaft hat sich aber jetzt sehr geändert. Der wichtigste Spieler für Tschechien hat dort noch gefehlt. Es werden aber mit Sicherheit drei verschiedene Stile auf uns zukommen. Und ja, unser Ansatz ist, uns aufs erste Spiel zu konzentrieren und dann einfach wirklich Spiel für Spiel zu gehen. Alles andere ist in so einem Turnier sinnfrei.
Wie ist denn jetzt die Stimmung in deinem Team nach den ganzen Ausfällen und wie fühlst du dich selbst? Habt ihr ein großes Gefühlschaos zu ordnen?
Man hat zwei Möglichkeiten. Man kann lamentieren, aber das bringt einen ja nirgendwo hin, sondern ich habe die Verpflichtung und die Aufgabe, mich auf alle Athleten zu konzentrieren, die da sind. Natürlich fehlt uns etwas durch diese Ausfälle, das ist selbstverständlich, aber im Gegenzug sind die Rollen und die Rotation klar verteilt. Was wichtig wird für uns ist, dass die Jungs körperlich fit bleiben und wir sie dabei unterstützen müssen. Mit sieben Spielen in neun Tagen erwartet uns da ein tougher Schedule. Unsere Stimmung ist aber konzentriert und wir freuen uns jetzt darauf, dass die Spiele beginnen.
Eine allerletzte Frage noch. Ich spreche jetzt mal metaphorisch vom Trainer als „Dirigenten“. Du hast ja quasi eine große Gruppe, wie eine Art Orchester aus ganz vielen unterschiedlichen Spielern. Manche sind noch formbar und manche haben vielleicht schon ein festes Ego, einen festen Charakter. Jeder ist ja für das Team wertvoll auf seine Art und Weise, aber nicht jeder kann die „erste Geige“ spielen. Wie gehst du denn in dem Fall mit solchen Spielern um oder wie versuchst du, das Team aufzubauen?
Das ist richtig. Gerade in so einer Nationalmannschaft gibt es sehr verschiedene Charaktere. In manchen Gruppen ergibt sich dieses Gefüge von allein, wie viele Arten von Charakteren eine Mannschaft hat und wie viele nicht. In unserem Fall geht es schon um eine klare Rollenzuteilung. Das ist eine Rollenzuteilung, die die Spieler untereinander kennen. Das klären wir in einem offenen Gespräch in der Gruppe. Und über diese Rollendefinierungen und auch über dieses klare Kommunizieren hoffen wir, dass wir Akzeptanz gewinnen. Besonders in dieser Situation, in der man erst kurz zusammen ist, ist es keine leichte Aufgabe, vor allem wenn sich eine Mannschaft auch noch nicht so gut kennt. Aber gerade deshalb ist es umso spannender.